Auf Messers Schneide
Torbjørn Rødland bei Eva Presenhuber

30. Januar 2023 • Text von

Die Galerie Eva Presenhuber zeigt in ihrer Zürcher Dependance Fotografien von Torbjørn Rødland. Zu sehen sind Situationen des Übergangs, des Werdens und des Vergehens. Jeden Moment drohen die eingefangenen Zustände zu kippen.

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Torbjørn Rødland: Boy with Japanese Knife, 2019-23. Chromogenic print on Kodak Endura paper. Ed. 1/3 + 1 AP. Courtesy the artist and Galerie Eva Presenhuber, Zurich / New York / Vienna © the artist. // Torbjørn Rødland: The Self-Centered Life, 2020-23. Chromogenic print on Kodak Endura paper. Ed. 1/3 + 1 AP. Courtesy the artist and Galerie Eva Presenhuber, Zurich / New York / Vienna © the artist

Wie ein junger Ritter bewacht ein Junge von vielleicht drei Jahren den Eingang zum Ausstellungsraum. Er trägt einen beigen Wollpullover, darunter schaut ein kleiner roter Kragen hervor. Mit beiden Händen umklammert er den Griff eines breiten Japanmessers. Die scharfe Schneide ragt über seinen Kopf hinaus. Sein Blick drückt Unbehagen aus. Er wirkt bedrohlich und bedroht zugleich. „Schneidet er sich? Schneidet er mich?“, fragt man sich als Betrachter*in. Die Fotoarbeit „Boy with a Japanese Knife“ von Torbjørn Rødland birgt eine Ahnung, die über die Bildoberfläche hinausgreift und zwischen Realität und Imagination, zwischen jetzt und später changiert.

Rødlands Bilder erscheinen teilweise surreal, teilweise fast zu real. Die Ausstellung „Old Shep“ in der Zürcher Galerie Eva Presenhuber versammelt zwölf Fotografien des Norwegers, die zwischen 2019 und 2023 entstanden sind. Der Ausstellungstitel ist eine Referenz auf den gleichnamigen Song von Elvis Presley. Der melancholische Liedtext handelt von einem Jungen, der seinen geliebten Hund zu töten versucht, um ihm einen leidvollen Tod zu ersparen. Seine Tat erlöst nicht nur das Tier. Sie bedeutet auch einen Übergang für den Jungen selbst. Seine Kindheit kippt. Er wird erwachsen. Rødlands Fotografien bezeugen solche Kippmomente oder „Sollbruchstellen“, wie es im Ausstellungstext heißt.

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Installation view, Torbjørn Rødland, Old Shep, Galerie Eva Presenhuber, Maag Areal, Zurich, 2023. © Torbjørn Rødland Courtesy the artist and Galerie Eva Presenhuber, Zurich / New York / Vienna Photo: Stefan Altenburger Photography, Zürich.

Solch aufgeladene Momente finden sich auch in den elf weiteren Arbeiten. Große und kleine Fotoformate sind nebeneinander gehängt. Zwischen den einzelnen Fotografien ist genug Raum gelassen, sodass die Immersion bei der Betrachtung nicht gestört wird. Die großen Formate hängen ungewöhnlich tief. Steht man davor, hat man den Eindruck, man könnte direkt ins Bild hineingreifen.

Kollisionen von Texturen, unterschiedlichen Oberflächen und Materialien in den Fotografien erzeugen dabei einen eigenen taktilen Reiz. So gibt Rødland die Materialbeschaffenheit von Eierschalen in einem Format von 110 x 140 cm wieder. Der Moment, in dem die Oberflächenspannung die Eier zum Bersten gebracht hat, ist bereits verpasst. Zu sehen sind nur noch die Überreste der zerbrochenen Schalen, die geschlüpfte Küken zurückgelassen haben könnten.

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Torbjørn Rødland: Stolen Shells, 2022. Chromogenic print on Kodak Endura paper. Ed. 1/3 + 1 AP. Courtesy the artist and Galerie Eva Presenhuber, Zurich / New York / Vienna © the artist.

Bei genauerer Betrachtung ist zu erkennen, dass es sich nicht um die Reste einer Vogelgeburt handelt. Die Form der Eier ist noch zu intakt. Ihre Bruchstellen sind fast ausschließlich an den Unterseiten zu verorten. Das Gelb im Bild gehört nicht kleinen Vögeln, sondern einer grellen Plastikunterlage. Der Titel „Stolen Shells“ zeigt an, dass es sich nicht um organische Überreste eines natürlichen Vorgangs, sondern um recyceltes Bildmaterial handelt.

Rødland inszeniert die Motive in seinen Fotografien. Sie entstehen nicht zufällig, sondern sind das Ergebnis bewusst umgesetzter Imaginationen. Dennoch bleibt da eine Offenheit im Bildfindungsprozess, der er selbst nicht habhaft werden will. In einem Interview mit dem Onlineportal „artnet“ betont er die Bedeutung von analogem Fotomaterial für seine Arbeit. Digitale Fotografie könne man unendlich aufnehmen, speichern, verwerfen und verändern, so Rødland. Das Besondere an analoger Fotografie sei für ihn das Warten auf den richtigen Moment. Die zerbrochenen Eierschalen in Großformat erscheinen vor diesem Hintergrund wie ein Sinnbild für dieses Warten selbst. Eier sind erwartungsvolle Objekte, ihre Überreste ein Zeichen der Vergänglichkeit.

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Torbjørn Rødland: All our Pretty Songs, 2021-23. Chromogenic print on Kodak Endura paper. Ed. 1/3 + 1 AP. Courtesy the artist and Galerie Eva Presenhuber, Zurich / New York / Vienna © the artist. // Installation view, Torbjørn Rødland, Old Shep, Galerie Eva Presenhuber, Maag Areal, Zurich, 2023. © Torbjørn Rødland Courtesy the artist and Galerie Eva Presenhuber, Zurich / New York / Vienna Photo: Stefan Altenburger Photography, Zürich.

Vergleichbar lassen sich die rosafarbenen Blumen in „All our Pretty Songs” deuten. Zwischen den strahlenden Blüten der fotografierten Stauden sind bereits erschlaffte Knospen und welke Blätter zu erkennen. Wo sich die einen Blumen im Sonnenlicht zum Himmel recken, gehen andere bereits zu Boden. In der Bildmitte wird ein abgeknickter Stängel von einem Holzstab gestützt, um seinen Verfall noch eine kleine Weile hinauszuzögern.

Wie in einem Stillleben aus dem 17. Jahrhundert zeigt Rødland lebendige Potenz neben bereits Krankendem. So bricht eine Melancholie ins helle Blumenbild, der auch etwas Melodisches innewohnt. Wieder ist die Referenz für den Titel ein Liedtext. „All our Pretty Songs“ ist ein Vers aus dem Song „In Bloom“ von Nirvana. „Nature is a Whore, Bruises in the Fruit, Tender Age in Bloom“, heißt es darin. Besungen wird die aufkeimende Jugend und die Verletzungen des Lebens, die mit ihr einhergehen. Auf Rødlands Arbeit übertragen, lässt sich sagen: Das optisch Reizvolle birgt bereits seine eigene Vergänglichkeit.

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Installation view, Torbjørn Rødland, Old Shep, Galerie Eva Presenhuber, Maag Areal, Zurich, 2023. © Torbjørn Rødland Courtesy the artist and Galerie Eva Presenhuber, Zurich / New York / Vienna Photo: Stefan Altenburger Photography, Zürich. // Torbjørn Rødland: Mammary, 2022. Chromogenic print on Kodak Endura paper. Ed. 1/3 + 1 AP. Courtesy the artist and Galerie Eva Presenhuber, Zurich / New York / Vienna © the artist.

Rødland macht in seinen Fotografien verschiedene Lebensalter sichtbar. Zu sehen sind nicht nur junge Körper, sondern auch vom Leben gezeichnete Individuen. „Retired“ zeigt einen alten Mann, der sich im Schatten eines Baumes ausruht. Seinen massigen Körper stützt er mit der rechten Hand auf den festen Stamm des Baumes und mit der linken auf einen Stock. Er trägt einen weißen Bart, eine Fischerweste und eine dunkle Jacke darüber. Unter seiner schwarzen Hutkrempe sind ihm die Augen fast zugefallen. Im Hintergrund ist die bewegte Wasseroberfläche eines Sees zu sehen. Wie in einem Gemälde aus der Zeit der deutschen Romantik stehen Mensch und Natur in dieser Fotografie in stillem Einklang. Der alte Baum stützt den alten Mann: eine Allegorie auf das Alter und die Einsamkeit.

Im Galerieraum hängt diese Arbeit neben „Mammary“. Zwei große nährende Brüste ragen aus einer geöffneten Bluse und beugen sich über einen Säugling. Dieser liegt nur mit einer Windel bekleidet auf dem Rücken und blickt zu ihnen auf. Über die Wange läuft ihm ein Tropfen Milch wie eine Träne. Die Aufnahme ist im Gegenlicht fotografiert, sodass der Kopf des Säuglings zu strahlen scheint. Die Bildkonstruktion weckt Assoziationen zur Ikonografie christlicher Darstellungen von Madonna mit Kind. Auch hier ist die Repräsentation einer schützenden Mutter und eines fragilen Kindes zu sehen.

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Insbesondere mittelalterliche Darstellungen haben oft einen melancholischen Unterton: Dem angebeteten heilsbringenden Kind ist eine große Zukunft vorhergesagt, doch auch diese birgt bereits die Voraussicht seines Todes. Auf den ersten Blick wirkt „Mammary“ wie ein Gegensatz zu „Retired“: Hier sind ein alter Mann und ein Baum zu sehen, da ein Säugling und im Hintergrund frisches Gras. Doch die Atmosphäre beider Arbeiten ist vergleichbar. Die Isolation der Protagonist*innen, das einfallende Licht und der Zusammenklang von Mensch und Natur bergen einen ahnungsvollen, fast allegorischen Moment. Rødlands Fotografien entfalten kein Narrativ. Sie erzeugen eine vibrierende Spannung und stumme Erwartungen. Sie wecken stets eine kühne Vorahnung dessen, was wohl passieren mag.

WANN: Die Ausstellung „Old Shep“ von Torbjørn Rødland läuft bis Samstag, den 11. März.
WO: Galerie Eva Presenhuber, Zahnradstrasse 21, 8005 Zurich. 

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