Auf Horizontlinie Grönlund-Nisunen, Ryoji Ikeda und Kaarel Kurismaa bei Esther Schipper
2. Februar 2023 • Text von Gast
In Berlin präsentiert Esther Schipper die neueste Arbeit des Duos Grönlund-Nisunen. Und weil es gemeinsam am schönsten ist, haben sich die beiden den befreundeten Sound-Artist Ryoji Ikeda dazu geholt. Ein gemütliches Kaffeetrinken ist die Schau allerdings nicht, stattdessen handelt es sich um eine ziemlich schaukelige Angelegenheit: Mit Strobo-Licht und rotem Flirren bringen die drei Künstler die Besuchenden aus dem Gleichgewicht. (Text: Alia Lübben)
Wie schön es doch ist, Freunde zu Besuch zu haben – noch dazu, wenn ihr Werk so gut mit dem eigenen korrespondiert. Etwas in der Art dürfte sich das Künstlerduo Grönlund-Nisunen gedacht haben, als es sich für die neue Ausstellung in der Galerie Esther Schipper den japanischen Soundkünstler Ryoji Ikeda ins Boot holte. Boot ist dabei ein gutes Stichwort, denn was die beiden Finnen in der Schöneberger Galerie präsentieren, fühlt sich stark nach Seegang an.
Seit 1993 arbeiten Tommi Grönlund und Petteri Nisunen im Doppel. Mit Magneten, Licht und Tech-fokussierter Spiellust befragen die beiden die Naturgesetze. Meer und Gezeiten sind wiederkehrende Themen, etwa in der Arbeit „Unstable Matter“, die sie 2013 bei Esther Schipper zeigten. Metallkugeln rollten damals auf einer abgeschlossenen Fläche umher. Als kleine Partikel lösten sie sich aus der Masse, bevor sie wieder aufeinanderschlugen und rauschten wie Kiesel in der Brandung.
Für andere Werke ließ das Duo mittels Magneten Rohre tanzen wie Kompassnadeln. In der Arbeit „Restless Horizon“, die als Prolog zum neuen, nun gezeigten Werk verstanden werden kann, wiegte Wasser langsam in einem Plexiglaskasten. In dem Versuch, sich auszutarieren, schwappte die Wasseroberfläche zu den Seiten und fand keine Ruhe.
Die Arbeit „Scattered Horizon“, die im vorderen Teil der Galerie Esther Schipper eingerichtet ist, greift in gewisser Weise diesen Gedanken neu auf, beschäftigt sich also mit dem Ausbalancieren in Referenz zum Raum, übersetzt ihn aber gleichwohl in eine ästhetische Erfahrung des Eintauchens. Mehrere rote Linien flirren an den Wänden des abgedunkelten Raumes. Während sich der Körper in der Dunkelheit verorten will, scheitern die Augen daran, die verschwommenen Linien scharf zu stellen, die sich langsam wiegen und überschneiden wie Wellen auf See. Tiefe Töne, mehr zu spüren als zu hören, untermalen diese Erfahrung; der Raum scheint zu schwanken, als stünde man in einem Schiffsbug. Die Horizontlinie, sonst Instrument der Orientierung, irritiert den Gleichgewichtssinn. Noch nach dem Verlassen der Installation bleibt die Benommenheit.
Ein Zimmer weiter ist das Gastspiel von Ryoji Ikeda zu sehen – oder eher zu erleben. Einigen mag Ikeda als Musikproduzent bekannt sein. Auf seinen experimentellen Alben knackt und rauscht es auf eine angenehm aufreibende Art. In den 1990er-Jahren trat der Soundkünstler dem japanischen Medienkunstkollektiv Dumb Type bei, deren Lichtinstallationen er mit elektronischen Geräuschkulissen unterlegte. Ähnlich konzeptuell wie die Arbeiten, die das Kollektiv – allerdings ohne Ikeda – zuletzt im japanischen Pavillon der Venedig-Biennale oder im Haus der Kunst in München präsentierte, ist Ikedas „point of no return“ eine sinnliche Auseinandersetzung mit theoretischen Fragestellungen, die sich trotz der ästhetischen Reduktion durch und durch erfühlen lässt. Es ist ein Werk, das den gesamten Leib durchdringt.
Einst geschaffen für eine Ausstellung im Eye Filmmuseum in Amsterdam, ist die Lichtinstallation hier um eine Soundkulisse ergänzt worden. Der Titel der Arbeit, der sich als „Punkt ohne Wiederkehr“ übersetzen lässt, ist der Astrophysik entlehnt. Dort meint der Begriff den Moment, an dem ein Körper die Schwelle eines Schwarzen Lochs passiert hat, an dem es also kein Zurück mehr gibt. Natürlich ließe sich das Ganze auch als Metapher auf die aktuelle Klimadebatte verstehen. Hier ist es tatsächlich ein „schwarzes Loch“, in das der Blick gesogen wird: Um die Projektion eines tiefschwarzen Kreises formen sich in unregelmäßigen Bewegungen spontan erzeugte, pulsierende weiße Ringe, die das Gefühl des Sogs verstärken, das Schwarz noch schwärzer, die Tiefe noch bedrohlicher machen.
„‚point of no return‘ ist eine sehr einfache, sehr intensive Arbeit,” erklärte der Künstler 2018 bei der Premiere des Werks. Es gehe ihm nicht um ein Zerdenken des Gezeigten, sondern um eine physische Erfahrung, die eine körperliche Auseinandersetzung mit der Materie eröffnet. „Was ich mache, ist sehr konzeptuell. Wie eine Reise mit meinem Geist. Es ist also wichtig, dass ich ein Konzept erarbeite. Aber dieses Konzept ist nicht wichtig für die Audience.“
Auf der Rückseite des Moduls, das mit den Lichtimpulsen förmlich beschossen wird, lässt sich der zweite Teil der Arbeit entdecken. Er bildet das Gegenstück zu der dynamischen Vorderseite. Ein heller Kegel trifft auf einen weißen Kreis, drum herum eine dunkle Fläche. „Der Kreis verändert sich nicht“, erklärt Ikeda. „Er steht still wie der Mond.“ Ein wenig erinnert die Installation an die immersiven Räume von James Turrell. Das Licht durchdringt die Fläche, als sei sie eine Pforte in ein helles Nirvana. Gebannt von der sakralen Erfahrung verliert sich der Blick, und aus dem Kreis scheint die Antwort auf die grundlegendste aller menschlichen Fragen zu flüstern: Was hinter dem Punkt ohne Wiederkehr liegt und ob da Licht ist nach dem Dunkel.
Die Werke von Grönlund-Nisunen und Ikeda bestechen durch sinnliche Erfahrungen. Im Bookstore-Bereich der Galerie werden zudem Werke des estnischen Künstlers Kaarel Kurismaa gezeigt. Diese zum Teil kinetischen Objekte im Seventies-Style sollen auch zu der Ausstellung gehören. Blinkend und leuchtend haben sie etwas von possierlichen Hausautomaten.
Auch der 1939 geborene Kurismaa hat sich als Klangkünstler einen Namen gemacht. Er gilt als wichtigster Soundartist Estlands. Doch so schön seine Arbeiten auch anzusehen sind, vis-a-vis der eindringlichen Licht- und Sound-Environments im Hauptteil der Schau, die in ihrer ästhetischen Reduktion und gleichzeitigen Eindringlichkeit so organisch ineinandergreifen, wirken seine bunten Ensembles etwas „out of place“
WANN: Die Ausstellung “Scattered Horizon” läuft bis Samstag, den 25. Februar.
WO: Esther Schipper, Potsdamer Strasse 81E, 10785 Berlin