Atemzug der Erkenntnis Joel Meyerowitz retrospektiv
15. Dezember 2017 • Text von Gast
Wem in einer Zeit der täglichen Bilderflut die Magie der Fotografie verwehrt bleibt, dem sei geraten, sich zur Abhilfe mit den Werken von Joel Meyerowitz auseinanderzusetzen. C/O Berlin macht es mittels einer retrospektiven Hommage an den Künstler möglich.
Text: Jana-Maria Mayer
Ein Mann im schwarzen Anzug, der Arm in Arm mit einem weißen Pudel langen Schrittes durch eine in Grautönen gezeigte New Yorker Straße schreitet. Eine wie ein Suchbild wirkende Strandkulisse mit Badegästen, deren Bekleidung, Handtücher und Sonnenschirme in knallbunten Farben strahlen. „Joel Meyerowitz. Why Color?“ ist der Titel der Foto-Ausstellung im C/O Berlin. Die Frage, warum der Künstler mal in Farbe und mal in Schwarzweiß fotografiert, stellt sich bei einem Blick auf seine Werke aber nicht, denn diese liefern selbst die einleuchtende Antwort. Als geradezu ikonisch gelten mittlerweile die teils sonderbaren Szenerien auf den Fotos von Joel Meyerowitz, deren Farbgebung eine eigentümliche Lebendigkeit erzeugt.
Meyerowitz, der Malerei studiert hat, bevor er sich erst als Werbegrafiker und dann als Fotograf neu erfand, gilt neben Joe Maloney, Stephen Shore und Joel Sternfeld als einer der Wegbereiter der New Color Photography der 1970er Jahre. Es galt, die Farbfotografie, die vor allem die Domäne von Werbung war und der ein vulgäres Image anhaftete, in die hohe Kunst zu übertragen. Dem 1938 in New York geborenen Joel Meyerowitz gelang dies vor allem als Straßenfotograf in seiner Heimatstadt und auf seinen Reisen quer durch Europa und an die Ostküste der USA. Die unterschiedlichen Wirkungsweisen von der Arbeit mit Kleinbildkamera und Plattenkamera mit schwerem Stativ verwendete er dabei als Stilmittel.
Die Ausstellung im C/O Berlin bietet einen Überblick über die verschiedenen Schaffensphasen im Leben Meyerowitz’ – sie zeigt zum Beispiel auch seine Dokumentation des Ground Zero nach dem 11. September 2001 – aber auch seinen Einfluss auf die Popkultur. So zieren seine Werke Plattencover von Musikern wie Everything But The Girl, Ben Folds oder Taking Back Sunday. Sein erstes Buch „Cape Light“ (1978) avancierte zu einem Klassiker der Farbfotografie.
Joel Meyerowitz’ Fotografien sind geprägt vom scheinbaren Zufall. Auf einem New Yorker Schwarzweiß-Foto aus den Sechziger Jahren stehen ein schwarz gekleideter Mann und eine weiß gekleidete Frau mittig unter einer Kino-Reklametafel, auf der „Kiss Me, Stupid“ steht – und küssen sich. In einem anderen Werk bedroht ein Junge mit einer Pistole ein in einem Kinderwagen liegendes Baby. Im Künstlergespräch mit Christoph Ribbat, das anlässlich der Retrospektive in Berlin veranstaltet wird, weicht Meyerowitz mehrfachen Fragen aus, inwiefern seine Bilder inszeniert worden seien. Fotografieren handle nur davon, aufmerksam zu sein: „When you feel that gasp of recognition, that’s where the photograph is“. Diesen Atemzug der Erkenntnis kann man auch als Rezipient seines Werks erfahren. Egal ob inszeniert oder nicht: In einer Zeit, deren alltägliche Fotografie von immer gleichen Smartphone-Selfies dominiert wird, ist Meyerowitz’ cleverer und teils ironischer Blick auf die Welt so einprägsam wie sein gelungenes Spiel mit Farbe, Form und Zufall.
WANN: Die Ausstellung ist noch bis 11. März 2018 zu sehen.
WO: C/O Berlin, Hardenbergstraße 22-24, 10623 Berlin.