Artivive Eine neue Dimension der Kunst
10. Mai 2017 • Text von Iris Kühn
Sergiu Ardelean und Codin Popescu, die Gründer des Start-ups Artivive, haben es sich zum Ziel gesetzt, den Kunstmarkt digital zu revolutionieren. Dabei soll die Haptik jedoch auf keinen Fall an Wichtigkeit verlieren, im Gegenteil. gallerytalk.net hat mit Codin über die Features von Artivive gesprochen.
Sergiu Ardelean und Codin Popescu, die Gründer des Start-ups Artivive, haben es sich zum Ziel gesetzt, den Kunstmarkt digital zu revolutionieren indem sie die Art und Weise wie Kunst geschaffen und erlebt wird, verändern. Dabei soll die Haptik jedoch auf keinen Fall an Wichtigkeit verlieren, im Gegenteil. Diese ist der Schlüssel, um den digitalen Inhalt zu aktivieren. Mit dieser Idee schaffen es die beiden Gründer den Ausstellungsraum virtuell zu erweitern. Ein tolles Konzept in einer Zeit, in der tausende Kunstwerke in Kellern und Lagerräumen aufbewahrt und so den BesucherInnen vorenthalten werden und digitale Inhalte in den Tiefen des Internets verschwinden.
gallerytalk.net: Wie seid ihr auf die Idee gekommen Artivive zu gründen? Was waren eure Beweggründe?
Codin Popescu: Es ist eine sehr interessante Aufgabe, die wir da übernommen haben. Die Idee zu Artivive entstand nach der Weltreise unseres Co-Founders Sergiu. Er ist ein leidenschaftlicher Fotograf und hat jahrelang für eine Werbeagentur im Bereich Augmented Reality als Creative Director gearbeitet und gesehen, wie sich der Sektor weiterentwickelt. Nach seiner Rückkehr hat er einen Raum organisiert und ausgewählte Bilder präsentiert. Einer seiner Freunde ist darauf auf ihn zugekommen und hat gefragt „ok, wo lad’ ich mir die App runter? Du arbeitest die ganze Zeit mit Augmented Reality, da muss irgendwas dahinter sein“. Außerdem haben wir bemerkt, dass Künstler nach neuen Möglichkeiten suchen, um sich und ihre Arbeit von anderen zu differenzieren und mit dem Betrachter zu kommunizieren. Seitdem bauen wir die Gesamtlösung auf. Ich bin eher der betriebswirtschaftliche Typ; aber ich bin kunstinteressiert, aus diesem Grund liegt mir etwas daran, Künstlern eine Möglichkeit zu geben, mit Neuem zu experimentieren und ihre Arbeit angemessen zu monetisieren.
Wie funktioniert Artivive? Ist die App kostenlos?
Die App ist gratis und wird auch immer gratis bleiben. Sie ist zum Download im Apple App Store und Google Play verfügbar. Sie ist das Visualisierungstool des gesamten Konzepts. Die Gesamtlösung besteht aus der App und einem webbasierten Content Management System – beide sind derzeit in der Beta Phase. Das heißt, wir stellen sie ausgewählten Künstlern zur Verfügung und sind laufend um neue Kooperationen bemüht. In weiterer Folge planen wir natürlich die Lösung für alle Künstler zugänglich zu machen. Ziel ist es, eine neue Dimension der Kunst zu eröffnen und Künstlern die Möglichkeit zu geben, klassische und digitale Kunst zu verbinden. Dadurch wird das haptische Werk um eine digitale Ebene erweitert und das wiederum eröffnet Künstlern vielfältige potenzielle Gestaltungsmöglichkeiten. Wir beobachten derzeit eine sanfte Revolution gegen das Digitale – Vinyl Platten erleben heute beispielsweise eine geradezu revolutionäre Rückkehr. Bei unserem Konzept dient immer das reale Kunstwerk als Schlüssel zum Öffnen des digitalen Inhalts. Man kann den digitalen Inhalt nicht ohne diesen Schlüssel sehen. Man muss stets das physische Bild vor sich haben.
Ihr wart bereits bei einigen Ausstellungen beteiligt, wie etwa bei „Film Stills“ in der Albertina. Gibt es weitere Anfragen und Kooperationsvorschläge?
Es spricht sich herum. Wir bekommen jeden Tag mehr Anfragen. Kunstschaffende beginnen immer mehr nachzuvollziehen, was man mit Artivive machen kann. Dass sie mit einer zusätzlichen digitalen Ebene eine Geschichte weitererzählen und ihre Werke weiterentwickeln können. Für Museen und Ausstellungen wird durch Artivive die Möglichkeit geschaffen, eine deskriptive Komponente hinzuzufügen. Schaffensprozesse können abgebildet oder gezeigt werden, in welchen Schritten ein Werk restauriert wurde. Man kann eine Serie von Kunstwerken im digitalen Raum platzieren und so das physisch ausgestellte Bild zu einer Serie erweitern. Außerdem kann Artivive eine Brücke zwischen einem Museum in Wien und einem Museum anderswo auf der Welt schlagen. Artivive kann als eine Erweiterung der Ausstellungsfläche dienen, denn Platzmangel ist eines der größten Probleme von Museen. Wir arbeiten zurzeit an einem Konzept, um die Sammlung Batliner des Albertina Museums mit Artivive digital zu erweitern und werden dieses spätestens bei der Vienna Art Week 2017 dem breiten Publikum vorzustellen.
Wie reagieren Künstler auf eure Idee?
Die meisten Künstler verstehen den Mehrwert und die sich ergebenden Möglichkeiten, die wir ihnen liefern können meist sofort. Wir bemerken immer wieder, dass bildende Künstler Berührungsängste haben, mit digitalen Inhalten zu arbeiten. Maler haben möglicherweise Angst mit einem Video zu arbeiten, mit einer Animation, da sie der Meinung sind, dass sie diese nicht erstellen können. Letztendlich hat fast jeder schon ein Video mit seinem Smartphone oder seiner Digitalkamera gemacht – viel mehr braucht man heutzutage nicht mehr. Wir unterstützen die Künstler jedoch am Anfang gerne und helfen ihnen auch komplexere Projekte umzusetzen. Wir möchten die digitalen Kompetenzen von Künstlern, die Interesse am Arbeiten mit Augmented Reality haben, stärken, und werden deswegen diesen Sommer eine Reihe von Workshops zum Umgang mit digitalen Inhalten veranstalten. Unsere Lösung bietet außerdem Künstlern unterschiedlicher Metiers die Möglichkeit, zusammenzuarbeiten und gemeinsam ein Kunstwerk zu kreieren. Ebenso ermöglichen wir es Künstlern, mit den Käufern ihrer Kunstwerke zu kommunizieren. Der digitale Inhalt, der ja im geistigen Eigentum des Künstlers steht, kann nur vom Künstler geändert werden. Das bedeutet, dass er oder sie den digitalen Inhalt, falls gewünscht, ändern kann. Es kann so eine aktive Kommunikation mit Sammlern aufrechterhalten werden. Kunstkäufer können erstmals digitalen Inhalt besitzen. Ohne dem physischen Teil des Kunstwerkes, kann der digitale Teil nicht angesehen werden – dies ist ein Novum. Unser Vorteil liegt auch darin, dass wir unsere Lösung einer breiten Schicht an Künstlern bereitstellen können.
Du sprichst von einer Applikation für eine „breite Schicht“. Das heißt, ihr müsst nicht immer an der Produktion beteiligt sein?
Für Künstler, die für gewöhnlich im zweidimensionalen Raum arbeiten, wie Maler, Fotografen oder Street-Art-Künstler, ergibt sich die Möglichkeit, eine neue Dimension hinzuzufügen, nämlich diejenige der Zeit. Künstlern, die bewegte digitale Kunst kreieren, bieten wir die Möglichkeit, ihre Kunst besser präsentieren zu können und somit in Galerien, Museen und Ausstellungen vorzudringen. Wir müssen nicht immer beteiligt sein, wir unterstützen die Künstler, wenn sie Unterstützung brauchen. Aus eben diesem Grund möchten wir die bereits genannten Workshops anbieten. Uns ist jedoch immer wichtig, dass der kreative Prozess bei den Künstlern bleibt. Wir ermutigen sie natürlich Verschiedenes auszuprobieren und ihre Inhalte selbst zu kreieren. Wir wollen ihrer Kreativität nicht im Weg stehen, ihnen nicht sagen, was sie nicht machen können und ihnen eigentlich nicht einmal zeigen, was sie mit Artivive machen können. Wir wollen ihnen lediglich ein auf sie zugeschnittenes Tool bieten, mit dem sie ihre Ideen umsetzen können. Artivive bietet ihnen Möglichkeiten, an die wir möglicherweise noch selbst nicht gedacht haben.
Wie wichtig kann Artivive für die Kunstvermittlung sein?
Im Museumsbereich ist seit einiger Zeit der Trend zur Digitalisierung zu erkennen. Museen versuchen sich zu positionieren und vom Überangebot an Kulturveranstaltungen abzuheben. Daneben spielt auch der Erlebnischarakter eine größer werdende Rolle bei Ausstellungen. Artivive bietet hier eine unkomplizierte Lösung, da die Besucher lediglich ihr Smartphone oder Tablet mit in die Ausstellung nehmen müssen. Dass Besucher Artivive und Augmented Reality sehr positiv annehmen, haben wir bei der Zusammenarbeit mit der Albertina sehr schön erleben dürfen. Die emotionale Bindung mit dem Museumsbesuch wurde gesteigert und wir haben durchwegs positive Kritik bekommen. Eine Umfrage im Rahmen unserer gemeinsam mit der Kunstvermittlungsabteilung der Albertina organisierten Spezialführungen hat ergeben, dass Museumsbesucher einer digitalen Erweiterung aller, also auch klassischer Werke von Sammlungen, sehr positiv gegenüberstehen. Wir haben gemerkt, dass die Besucher interessiert sind, etwas Neues zu erleben und sich über den nie ausbleibenden Wow-Effekt beim erstmaligen Betrachten freuen – es ist sicherlich eine Erfahrung, die schwer verbal zu beschreiben ist, man muss sie erleben. Für die Kunstvermittlung an sich ist Artivive sehr interessant, da in der digitalen Erweiterung bestimmte Details der Werke hervorgehoben oder der Prozess einer Restaurierung am Bild veranschaulicht werden kann. Führungen können so um eine digitale visuelle Ebene erweitert werden und die Kunstvermittlung präziser auf Details des Werkes eingehen.
Wann findet euer nächster Event statt?
In Österreich sind wir derzeit laufend auf Events dabei: Diesen Freitag, den 12.05. werden wir in Wien die im Rahmen einer Live-Performance des vom Kulturverein FOMP veranstalteten Literatur- und Kunst-Formats „BilderBücherBühne“ entstehende Arbeit des bildendenden Künstlers Simon Goritschnig mit Artivive erweitern. Außerhalb Österreichs sind wir seit Neustem bis November in Shanghai mit Wang Chienyang im Ying Art Center prominent vertreten. Seine Arbeit referenziert auf die Pop-Art, was hervorragend zu Artivive passt. Er hat ein paar Kreationen, die an Alice im Wunderland erinnern – ein sehr spannendes Projekt! Generell verfolgen wir das Ziel, Artivive international aufzustellen – dies ermöglicht uns, Kunstszenen aus unterschiedlichen Kulturen zusammenzubringen. Wir werden auf unserer Facebook-Seite einen Terminkalender mit laufenden und zukünftigen mit Artivive erweiterten Ausstellungen und Events erstellen – hin und wieder reinzuschauen zahlt sich jedenfalls aus!
Was sind eure nächsten Schritte?
Wir wollen die Lösung natürlich noch besser an die Bedürfnisse der Künstler und Kunstinstitutionen anpassen. Darum ist es uns auch sehr wichtig, Feedback von den Anwendern des Tools und Besuchern von Ausstellungen zu bekommen. Eine kontinuierliche Weiterentwicklung steht definitiv im Mittelpunkt unserer weiteren Planung. Weitere internationale Kooperationen sind geplant, da wir so unserem Ziel, die Kunstproduktion und -Rezeption nachhaltig zu verändern, näher kommen.