Blickfänger*innen der Art Basel 2024 Messestand out of the box
15. Juni 2024 • Text von Lara Brörken
Messestand out of the box gedacht ist nicht leicht. Aussteller*innen präsentieren ihre Künstler*innen überwiegend auf weißen Wänden, ein Werk neben dem anderen. Dass es anders geht und dass sich eine mutige, ganzheitlich gedachte Koje lohnt, beweisen diese sechs Art-Basel-Hingucker.
Jahmek Contemporary Art, Luanda: Sandra Poulson
AK-47 getragen von körperlosen Anzügen, Aktentaschen, Bücher und Backsteine – diese überwiegend harten Objekte werden von Sandra Poulson zu genähten, weich gefütterten Kissen. Sie bilden eine Erinnerungslandschaft der angolanischen Kolonialgeschichte, dem Kampf eines Landes für die Unabhängigkeit verwoben mit Kindheitserinnerungen der Künstlerin. Alles ist in fein gestickten “Broderie anglaise” genäht, einem Stoff, der in Angola während der Besatzung durch Portugal zeitweise als Währung galt und auch im Tausch für versklavte Afrikaner*innen eingesetzt wurde. Sandra Poulsons Objekte sind Verweise auf die staubigen Wege abseits der befestigten Straßen, auf die Angolaner*innen im eigenen Land verdrängt wurden, auf Wände, die aus Geldnot nur halbfertig blieben und Waffen, die das Stadtbild einer bewaffneten Bevölkerung prägten. Sie erzählt wie eine Gruppe Jugendlicher die Mutter der Künstlerin aufgrund ihrer Aktentasche, mit der sie ihre Unikurse besuchte, für reich hielt und sie mit AK-47 bewaffnet ausraubten. In der Tasche waren Bücher. Eine großartige Praxis, kreativ, tiefsinnig, relevant.
Anne-Sarah Bénichou, Paris: Juliette Minchin
Wachs macht Pooldance, um- und verschlingt Metall, in breiten Bahnen wickelt es sich um die Stangen, tobt sich aus, umgarnt es, hängt oder tropft. Juliette Minchin schafft in der Koje der Galerie Anne-Sarah Bénichou ein Kuriositätenkabinett zwischen Vanitas Symbolik und flirty Candle-Light-Dinner. Die Wachsbahnen und Tropfen sind umgeben von Fragen danach, was wie lange bleibt. Was ist stabil? Wachs, das seinen Aggregatzustand alltäglich sichtbar abhängig von äußeren Einwirkungen ändert, wird zur zeitgenössischen Metapher der Bewegung, des Schwungs. Nur angelehnt an die das Düstere prophezeiende erloschene Kerze der Kunstgeschichte zeigt Minchin emanzipierten, verspielten, optimistischen Wachs. Die sich an Metall klammernden Wachsbahnen erinnern an Haut, Muskelstränge oder Seidentücher und öffnen den Verletzlichkeitsdiskurs: Wie hart muss ich sein? Wie weich darf ich? Juliette Minchins Praxis verrät, dass das Weiche, Zarte belastbar ist, dass ein jederzeit möglicher Wandel Schönheit bedeutet.
Croy Nielsen, Wien: Soshiro Matsubara, Georgia Gardner Gray, Sandra Mujinga, Nina Beier und Ernst Yohji Jaeger
Ein Messestand wie eine Traumlandschaft. Medusen und Harlekine als Wandleuchten, giftig grün und rosarot leuchtende Himmel, Stimmungsschwankungen. Ein bisschen unheimlich und dann ein Lichtblick, so, wie es in Träumen eben häufig ist. Mit Soshiro Matsubara, Georgia Gardner Gray, Sandra Mujinga, Nina Beier im Hauptraum und den märchenhaften Zeichnungen Ernst Yohji Jaegers im sogenannten “Kabinett”, gelingt der Croy Nielsen Galerie eine super kuratierte Koje mit magischer Stimmung. Georgia Gardner Grays Werke erzählen von Ängsten, Suizid und Schreckenssituationen. Sie sind beunruhigend toxisch, aber getragen von spielerischer Freude und feministischer Stärke – magisch! Von Nina Beiers “Female Nude” einer Installation aus der großen vulvaresken Frucht der Seychellenpalme und einem Haufen Erde leiten Soshiro Matsubaras Kerzenleucher-Fratzen am Kabinett vorbei hinzu Sandra Mujingas Wandobjekt “Change Will Prevail (I)” aus silbrig glänzenden Stoff Rechtecken und Bändern – ein objektgewordener Hoffnungsschimmer am Ende eines dämmrig beleuchteten Ganges.
ROH, Jakarta: Julian Abraham “Togar”
Am Anfang dieser besonderen Installation von Julian Abraham “Togar” steht die Beobachtung, dass Menschen zusammenkommen, wenn sie Musik hören. Seien es Melodien auf der Straße, die Neugierige locken oder größere Bühnen – hier kommen Menschen zusammen, bilden ein Kollektiv, auf kurz oder lang. Für die Art Basel schuf Togar einen immersiven Raum, der dazu einlädt, sich auf einen violett-gelben Teppich zu legen, den Tönen von sich selbstspielenden Instrumenten zu lauschen, gut zuzuhören und zu reflektieren. Mit dem Muster des Teppichs referiert Togar visuell auf das Buch des indonesischen Schriftstellers Danarto “Habis Tak Sudah (Over Yet Undone)”, der sich in seinen Texten mit akustischer Poesie auseinandersetzt. Togar erforscht mit dem fortlaufenden Projekt “OK_Space” die Möglichkeit eines Studios, das sich weniger den Produktionsprozessen, als dem Co-Existieren und der Ruhe verschreibt. Mit “OK_Space to Rest” bei ROH Projects wurde eine erholsame Insel inmitten des Messe-Dschungels geschaffen.
ChertLüdde, Berlin: Stephanie Comilang, Monia Ben Hamouda, Pauline Curnier Jardin u.a.
Wenn Werke vieler Künstler*innen zusammenkommen – in der Koje von ChertLüdde sind es 12 – besteht die Gefahr, dass es wuselig, überfrachtet und zusammenhangslos wirkt. Hier ist es anders! Jede Arbeit scheint der anderen die Hand zu reichen, ein begehbares Gesamtkunstwerk. Bewacht wird die Koje von Stephanie Comilangs Statuette, die eingehüllt in ein aus Ananasfasern gewebten Stoff wie ein freundlicher von Schmetterlingen getragener Dementor erscheint. Mit der Ananasfaser referiert Comilang auf Handelsrouten, die das spanische Kolonialreich nach Manila ausbaute und die Ananas fruchtiges Produkt wurde und immer weniger als Rohstoff der Textilproduktion diente. Mit ihrer Praxis untersucht die Künstlerin Bewegungen auf der Erde, Butterfly-Effects bilden ihr künstlerisches Forschungsfeld. Der Wandel, die Wirkung der Vergangenheit in die Gegenwart, Protest und Erbe in jeder Hinsicht sind die thematischen Scharniere, die alle Arbeiten in dieser Koje harmonisch zusammenfügen.
The Breeder, Athen: Georgia Sagri, Lyn Liu, Chrysanne Stathacos, Maria Hassabi, Katlego Tlabela
The Breeder kuratierte diesen Messestand buchstäblich mit ganzem Körpereinsatz. Georgia Sagris Metallskulpturen stellen schon aus der Ferne klar, dass es hier körperlich wird. Ein überdimensionales rotes Bein liegt waagerecht auf zwei Stützen. Dem Bein gegenüber ein ebenfalls sehr großes orangenes Ohr, anatomisch korrekt, inklusive Gehörgang. Nach vorne leicht geöffnet wie ein Trichter laden die beiden Gliedmaßen ein, einen Rundgang zu machen. Drum herum bleibt es physisch, intensiviert sich allerdings und streift mit Lyn Liu den Schmerz. Ein Rücken weist nach einem Allergietest Rötungen auf, die roten durchnummerierten Einschnitte erzeugen Gänsehaut. Mit Maria Hassabi wird die Welt in eine surreale gelbe Sphäre gehoben, in der sich Körper verzerren und Köpfe fehlen. In Katlego Tlabelas collagierter Bildwelt dominieren Stadt und Architektur das Bild, die beiden Figuren verschwinden beinahe in der durchgestylten, gradlinigen Welt, die organische Form wird beinahe gänzlich vom Geometrischen verdrängt. The Breeders Positionen gehen durch Mark und Bein, ohne, dass der Humor zu kurz kommt.
WANN: Die Art Basel kann noch bis Sonntag, den 16. Juni, besucht werden.
WO: Messeplatz 10, 4005 Basel, Schweiz.