Die Pistole am Kopf Anne Imhof im Kunsthaus Bregenz
13. Juni 2024 • Text von Julia Anna Wittmann
Provokante Gesten und ästhetische Destruktion erwartet die Besucher*innen im Kunsthaus Bregenz. Die umfassende Einzelausstellung “Wish You Were Gay” gibt einen intimen Einblick in Anne Imhofs künstlerische Praxis und zeigt bisher unveröffentliches Videomaterial aus den Jahren 2001 bis 2003 sowie neue Werkzyklen.

Das Erste, was die Besucher*innen sehen, ist die Künstlerin selbst. Groß an eine der grauen Betonwände im Erdgeschoss des Kunsthaus Bregenz projiziert, blickt eine junge Anne Imhof trotzig in die Kamera, begutachtet sich selbst und ihr Gegenüber. Die Aufnahme aus dem Jahr 2002 zeigt Imhof in einem rot ausgeleuchteten Raum, gekleidet in eine rote Lederjacke. Immer wieder kommt sie frontal auf die Kamera zu, deutet Boxbewegungen an, zieht sich zurück. Unterlegt mit theatralen Songs aus “West Side Story” verweist die Videoarbeit “Maria” auf das unglückliche Liebespaar des Musicals. Die boxende Künstlerin setzt sich selbst als den männlichen Part des Paares in Szene, sie kämpft um Maria, sie kämpft aber auch um und mit sich selbst.

Im Künstleringespräch erklärt Anne Imhof, dass der Titel der Ausstellung “Wish You Were Gay” wortwörtlich zu verstehen ist – die Welt wäre ein besserer Ort, wenn wir alle etwas mehr queer wären. Dabei verweist sie auch auf ihre eigene Biographie, die in der umfassenden Einzelausstellung im Kunsthaus Bregenz immer wieder durchblitzt. Imhofs Arbeiten sind kollaborative Projekte, die bereits seit mehr als 20 Jahren gemeinsam mit ihren Freund*innen, Liebhaber*innen und Mitarbeiter*innen entstehen. In Bregenz sind erstmals Videos aus den Jahren 2001 bis 2003, sowie neue Skulpturen, Rauminstallationen, großformatige Gemälde, Zeichnungen, Reliefs und Soundarbeiten zu sehen und zu hören.

Das rote Licht aus der Videoarbeit im Erdgeschoss zieht sich durch die Räume der Ausstellung, die sich über vier Stockwerke erstreckt. Das erste Obergeschoss ist vollständig in ein dichtes Rot gehüllt. Dunkle metallene Barrieren, angelehnt an Absperrungen, wie sie bei Konzerten verwendet werden, ziehen sich durch den Raum und verbauen den Blick. Die Besucher*innen werden geleitet, ihre Körper müssen sich den skulpturalen Gegebenheiten im Raum anpassen, sich ihren Weg bahnen. Hinter den stählernen Grenzsetzungen türmen sich apokalyptische Wolken auf. Die Malereien “Untitled (noon)”, “Untitled (7am)” und “Untitled (9am)” zeigen hyperrealistische, überstilisierte Wolkengebilde, die an Atompilze erinnern.

Die Cumulus-Gemälde erzeugen eine künstliche, statische Dynamik, deren harte Kanten unter dem sanften, roten Licht verschwimmen und zu einer anziehenden Momentaufnahme werden. In der Mitte des ersten Stockwerkes verweist Imhof auf die vergangene Ausstellung und Performance “Nature Mortes” aus dem Jahr 2021. Zu sehen ist ein abgeschlossener Raum im Raum, eine gläserne Box mit einer dünnen Matratze am Boden. Die einst offene Struktur macht die Abwesenheit von Performer*innen deutlich. Zurück bleibt der leere Raum, umgeben von destruktiver Schönheit und untermalt von den eindringlichen Klängen einer weiteren Videoarbeit.

Auf einem alten Röhrenbildschirm sind erneut Aufnahmen aus dem Jahr 2002 zu sehen. Anne Imhof filmt sich selbst mit nackten Oberkörper und präsentiert den Betrachter*innen ihren mit Engelsflügeln tätowierten Rücken, bevor sie sich abrupt umdreht und provokant in die Kamera blickt. Eine Geste, die später immer wieder Teil ihrer Performances werden wird. Die Bilder wechseln sich mit dokumentarischen Aufnahmen von kämpfenden Zebras ab und laute Heavy Metal Musik hallt durch den Raum. Rotes Licht, Malereien, Barrieren, archivarisches Videomaterial und atmosphärischer Sound – einige Elemente wiederholen sich und sind in abgewandelter Form auf allen vier Stockwerken des Kunsthauses zu finden.

Eine sich wiederholende Geste ist das Spiel mit dem Tod. Das momumentale Gemälde “Wish You Were Gay III” zeigt die verschwommene Aufnahme einer Person, die sich eine Pistole an den Kopf hält. Durch den Moiré-Effekt zusätzlich verfremdet erscheint die Abbildung wie ein flüchtiger Fiebertraum im roten Licht des zweiten Obergeschosses. Das Motiv gehört ins feste Repertoire der Künstlerin, die die Andeutung eines Freitodes immer wieder in Performances und Zeichnungen aufgreift. Auch in zwei skulpturalen Bronzereliefs scheint Imhofs Auseinandersetzung mit dem Tod allgegenwärtig. Ausgemergelte androgyne Körper, Totenköpfe und apokalyptische Landschaften zeichnen ein düsteres Bild. Eine traurige Realität: queere Menschen sind häufiger von suizidalen Gedanken betroffen als die übrige Bevölkerung.

Im dritten und obersten Stockwerk gibt schließlich ein helles, fast schon grelles Licht den unverfälschten Blick auf weitere Malereien und eine bühnenartige Situation mit zahlreichen Lautsprechern frei. Ein Klangteppich aus mit KI überarbeiteten Tonbandaufnahmen und improvisierter Soundsessions der Künstlerin aus den Jahren 2001 bis 2003 erzeugt eine träumerische Atmosphäre, die im starken Kontrast zu den Gemälden steht, welche ebenfalls das Motiv des Freitodes abbilden.
In Anne Imhofs skulpturalen Rauminstallationen, in denen normalerweise Performer*innen interagieren, wandeln im Kunsthaus Bregenz lediglich die Besucher*innen der Ausstellung. Sie bewegen sich durch eine leere Kulisse, werden von metallenen Absperrungen geleitet und in rotes Licht getaucht. Es ist ein Spiel von An- und Abwesenheit, von Ab- und Ausgrenzung. Der Besuch der Ausstellung wird zur körperlichen Erfahrung. Zurück bleibt ein Gefühl von jugendlichem Trotz und die provokante Aufforderung “Wish You Were Gay”.
WANN: Die Ausstellung “Wish You Were Gay” läuft noch bis zum 22. September.
WO: Kunsthaus Bregenz, Karl-Tizian-Platz, 6900 Bregenz, Österreich.