Grenzen versanden lassen Anna Raczyńska und Michał Zawada bei Nebyula
19. Mai 2025 • Text von Julia Anna Wittmann
Anna Raczyńska und Michał Zawada reichen sich die Hand, umgeben von Wüstensand. Für ihre gemeinsame Ausstellung “The Inner Frontier” bei Nebyula nähern sich die Künstler*innen einander an, tasten geopolitische und gesellschaftliche Grenzen ab und öffnen einen Dialog zwischen Medium und Methodik.

In Polen gibt es eine Wüste, deren Entwicklung sich gegenläufig zur anhaltenden weltweiten Desertifikation verhält: die Błędów-Wüste schrumpft, anstatt zu wachsen. Unter dem Begriff “Desertifikation” versteht man die fortschreitende Wüstenausbreitung, die durch den menschengemachten Klimawandel verstärkt wird. Global betrachtet nimmt dieses Phänomen immer stärker zu – außer in Polen, denn diese Wüste ist durch den Bergbau entstanden. Dort wird die Błędów-Wüste immer kleiner, was bereits vor über zehn Jahren zu der ungewöhnlichen Situation führte, dass nun aktiv versucht wird, die Wüste durch gezielte Abholzung zu erhalten.
Ein durchlaufender oranger Horizont und sanfte, sandige Hügel zieren die Wände des Ausstellungsraumes. Zwei metallene, monumentale Skulpturen schweben im Raum, gerahmt von einer raumgreifenden Wandmalerei und drei dystopischen Landschaftsgemälden. Für ihre gemeinsame Ausstellung “The Inner Frontier” bei Nebyula wählen Anna Raczyńska und Michał Zawada eine malerische Wüstenlandschaft als Kulisse und Ausgangspunkt für eine gegenseitige, mediale und inhaltliche Annäherung. Die Wüste wird zum verbindenden Element und zur ästhetischen Spielwiese für Raczyńska und Zawada, die in der gemeinsamen Ausstellung verschiedene Grenzen abtasten.

Der leuchtend orange Himmel an den Wänden des Ausstellungsraumes irritiert – irgendetwas ist nicht ganz stimmig. Nach längerer Betrachtung wird klar, woran es liegt: Statt einer sind insgesamt fünf Sonnenuntergänge gleichzeitig zu sehen. Die Besucher*innen finden sich in einer spekulativen Landschaft zwischen Realismus und Surrealismus wieder. Zawadas Malereien verschmelzen nahtlos mit dem Mural und zeigen vertraute Naturabbildungen mit phantasmagorischen Elementen. Die Titel seiner Arbeiten beschreiben den Inhalt der Malereien sehr passend: “Landscape with Sixteen Sunsets and Twelve Moons” zeigt eine Gleichzeitigkeit von zahlreichen Sonnenuntergängen und Monden, während “Landscape with Sunset and Four Fists” eine, mit vier zu Fäusten geballten Händen gerahmte Landschaft abbildet.

Inmitten der dystopischen, posthuman anmutenden Landschaften schwebt Raczyńskas zweiteilige Arbeit “Embodied Bordering”. Bei den beiden diagonal im Raum verteilten Objekten handelt es sich um zwei monumentale Aluminiumhände, deren Umrisse an Venen erinnern und die mit glänzenden Harztropfen übersät sind. Von der Decke hängende, dunkelrote Textilbänder verstärken den organischen Eindruck des Fleisches – auch wenn es abwesend ist. Die Hände verweisen auf eine der berühmtesten Handgesten der Kunstgeschichte und quasi den Schöpfungsmythos des Patriarchats: Michelangelos “Die Erschaffung Adams”. Die beiden leicht ausgestreckten Zeigefinger nähern sich über die Breite des kompakten Ausstellungsraumes an und verweisen auf die biblische Entstehungsgeschichte des Mannes.

In der Edition “Sands of Undoing” macht Raczyńska den Verweis zur Błędów-Wüste noch einmal eindeutiger. Zu sehen ist eine digital animierte Kugel aus Sand, frei schwebend vor dunklem Hintergrund und bedeckt mit einer dicken Schicht Harz. Es scheint, als ob Raczyńska und Zawada sich die Hand reichen – Malerei und Skulptur im Dialog, umgeben von einer Wüste, die es eigentlich nicht mehr geben sollte. Gesellschaftliche Mythenbildung und Stereotype werden subtil hinterfragt und aufgebrochen. Gerade in den letzten Jahren war Polen von einer konservativen Politik geprägt, die nun von einer Welle der Liberalisierung abgelöst wird. Die Trennung von Kirche und Staat wird vorangetrieben, das Erbe kultureller Restriktionen kritisch hinterfragt.
“The Inner Frontier” ist ein kultureller Austausch zwischen Krakau und München, initiiert von Nebyula, dem Rosa Stern Space e.V. und der Piana Gallery Foundation. Obwohl beide Künstler*innen eine biografische und künstlerische Verankerung in Polen verbindet, unterscheiden sie sich in Medium und Methodik. Und auch wenn der Titel der Ausstellung auf Grenzen verweist, ist im engen Ausstellungsraum ein harmonisches und stimmiges Zusammenspiel von Skulptur, Installation und Malerei zu sehen. Die Grenzen zwischen den Arbeiten verschwimmen vor dem orangen Hintergrund und den Strahlen der untergehenden fünf Sonnen.
WANN: Die Ausstellung “The Inner Frontier” läuft noch bis Freitag, den 20. Juni.
WO: Nebyula, Schleißheimer Str. 42, 80333 München.