Von der Bibel bis nach Hogwarts Anna Ley in der Galerie Kai Erdmann
20. Juni 2024 • Text von Carolin Kralapp
Von “Harry Potter” und “Herr der Ringe” bis hin zu Brockhaus und der Bibel:
In der Ausstellung “Bibliografie” in der Galerie Kai Erdmann präsentiert Anna Ley eine persönliche Auswahl prägender literarischer Werke der letzten zwei Jahrhunderte, die ihre Aktualität und gesellschaftliche Relevanz bewahrt haben. Nostalgische Gefühle kommen dennoch auf. Zwischen Buchdeckeln, Geschichtsunterricht und “Top Light 250” werden die Millennials kurzerhand zurück in ihre Schulzeit katapultiert.
Die Künstlerin Anna Ley widmet ihre Werkserien bestimmten Oberthemen. Nach den Themen Geld und Arbeit beispielsweise beschäftigt sie sich in ihrer aktuellen Ausstellung “Bibliografie” in der Galerie Kai Erdmann mit Literatur und Lehre. Mit scharfem Auge und einem genauen Blick für Details hat sie die Buchcover sowohl sehr populärer als auch weniger bekannter Werke nachgemalt. Den Anfang der Serie bildet “Im Westen nichts Neues” von Erich Maria Remarque aus dem Jahr 1928 – ein Werk, das die Schrecken des Ersten Weltkriegs aus der Sicht eines jungen Soldaten schildert und noch heute als mahnendes Symbol gegen Krieg dient.
Die Auswahl der literarischen Werke ist persönlich. Die Publikationen haben das Leben von Anna Ley geprägt – nicht immer zwingend positiv. Die Bibel ist ohne Zweifel ein für den christlichen Westen prägendes Werk, das die Gesellschaft bis heute beeinflusst oder eben abschreckt. Dass man diesem Schriftstück sehr wohl kritisch gegenüber stehen kann, wird in der Ausstellung nur durch die bloße Darstellung des einfach gehaltenen Covers und der Platzierung neben Karl Marx’ und Friedrichs Engels’ “Manifest der kommunistischen Partei” deutlich – einem programmatischen Text von 1848, der den Klassenkampf zwischen der Bourgeoisie und dem Proletariat aufzeigt und den Kapitalismus kritisiert, internationale Solidarität und zum Ziel im Grunde folgendes fordert: Eine klassenlose, kommunistische Gesellschaft, in der es weder einen Staat, Ausbeutung noch Unterdrückung gibt. Der Titel des Kunstwerks “aus gegebenem Anlass” bedarf wohl keiner weiteren Erläuterung. Dafür müssen wir nur einen Blick in die Nachrichten werfen.
Von Marx und Engels ist die gesamte Bandreihe in der Ausstellung vertreten. Neben “schwere” politische Literatur gesellen sich auch echte Fantasy-Klassiker, deren Einfluss bis heute anhält. Die Rede ist von der “Harry Potter”-Serie und “Der Herr der Ringe”. Wer in den 90ern aufgewachsen ist, hat sicher die Abenteuer von Harry, Ron, Hermine sowie Frodo, Sam und Gandalf miterlebt. Wer jetzt auf eine kurze Inhaltsangabe hofft, wird enttäuscht – hinter welchem Stein habt ihr die letzten Jahrzehnte gelebt?
Nicht nur hier werden nostalgische Gefühle wach, nein, auch bei den Nachbarwerken wie dem Reklam-Heftchen “Die Leiden des jungen Werthers” von Goethe oder “Geschichte und Geschehen” aus dem Klett-Verlag, das stellvertretend für alle Geschichtsschulbücher der 2000er Jahre mit trashigen Titelbildern steht. Wir kennen sie noch gut. Was die Cover eigentlich darstellen sollen? Keine Ahnung. Das Bild “Heinrich-Böll-Gymnasium” – eines von zwei frei gestalteten Kunstwerken in der Ausstellung, das nicht nach der Vorlage eines Buchcovers gemalt wurde – reiht sich hier thematisch ein. Es zeigt den Tageslichtprojektor “Top Light 250”. Ja, mit solchen Geräten wurden damals Vorträge und Präsentationen vor der Klasse gehalten.
Eine Werkzusammenstellung, die abschließend unbedingt noch erwähnt werden muss, ist der Hunde-Band aus der “Was ist was?”-Sachbuchreihe neben der marxistisch-linken Tageszeitung “Junge Welt”. Anna Ley hat sich aus hunderten Ausgaben eine besondere ausgesucht – die vom 8. März 2024, dem feministischen Kampftag, auch Weltfrauentag genannt. Das Titelblatt zeigt Sprüche wie “Gegen Patriarchat und Kolonialismus”, “More Feminism Less Bullshit” und “Uno: Krisen machen Gleichstellung zunichte”. Die Verbindung von feministischen Forderungen und der Liebe zu Hunden lässt das Herz prompt höher schlagen.
Anna Ley schafft es, durch eine subjektive Auswahl von Büchern und Zeitungen, Werte, Interessen und politische Haltungen für das Publikum greifbar und ablesbar zu machen. Ihre einfachen, aber präzisen Stilmittel treffen genau den Punkt. Die behandelten Themen sind in Krisenzeiten aktueller denn je, obwohl sie oft seit langem bestehen. Die Werke vermitteln nicht nur politische Werte, sondern auch Humor und ein nostalgisches Generationsgefühl der 90er und 2000er Jahre. Feminismus neben süßen Hunden, “Das doppelte Lottchen” neben Marx und Engels – diese Kombination verleiht der Ausstellung Leichtigkeit und löst ein Schmunzeln aus, während sie gleichzeitig zum Nachdenken anregt.
In der Ausstellung zeigt sich die konzeptuelle Arbeitsweise mit präzisem Pinselstrich und detailreichem Blick der Künstlerin. Die zwei großformatigen Werke ohne Buchcover – der Projektor und das Bücherregal – betonen ihr Interesse an Grafik und Perspektivspiel. Auch ihre Leidenschaft für Typografie ist deutlich erkennbar.
In Anna Leys “Bibliografie” dominieren die Werke großer männlicher Autoren – ob bewusst oder unbewusst, bleibt offen. Eine Ausnahme bildet J.K. Rowling, die als Person heute aufgrund ihrer homo- und transphoben Äußerungen kritisch zu betrachten ist. Dennoch bleibt die “Harry Potter”-Reihe eine einflussreiche und prägende Buchserie. Diese Auswahl an Publikationen wirft Fragen auf: Was verrät uns das über die Lehre der 90er und 2000er Jahre? Und was sagt das über die Institution Schule aus? Wo sind die anderen Stimmen und weiblichen Perspektiven? Und wie würde wohl eine persönliche Auswahl von der Gen Z oder Alpha aussehen? Ein Blick ins Bücherregal lohnt sich ganz offenbar.
WANN: Die Ausstellung “Bibliografie” läuft nur noch bis Freitag, den 28. Juni und ist nach Vereinbarung zu besichtigen.
WO: Galerie Kai Erdmann, Schweidnitzer Straße 17, 10709 Berlin.