Dynamiken von Identität Anna Ehrenstein im VS
1. April 2025 • Text von Quirin Brunnmeier
Appropriation, Assimilation und Gentrifizierung. In ihrer aktuellen Ausstellung “Fully Automated Orientalism” im Interimsquariter der Villa Stuck kombiniert Anna Ehrenstein skulpturale Interventionen, bildliche Arbeiten und Videoinstallationen, um die Konstruktion von kultureller Identität und dominante kulturelle Narrative zu hinterfragen.

Die Besucher*innen betreten den ersten Teil der Ausstellung über eine Brückenkonstruktion aus Metall, die in den Raum eingefügt ist. Der Boden unter dieser Struktur ist mit tiefschwarzem Rohöl geflutet, darin spiegeln sich die skulpturalen Objekte, die an der Wand befestigt sind. Diese Artefakte sind Autoteile, Kofferraumdeckel, auf denen die Künstlerin, neben den Emblemen der deutschen Autobauer, sakrale islamische Kalligraphien und historische Daten platziert hat. Sie setzt darin Referenzen zu Napoleons Invasion Ägyptens 1798 wie zum deutschen Diskurs über türkische Migration in den 1970er Jahren. Der eindringliche Geruch nach Öl verortet die gesamten Installation in einem System, in dem industrielle Stärke, kapitalistische Macht und auch persönliche Identität auf einem Rohstoff basieren, durch dessen Nutzung wir uns alle langsam vergiften.

Die Arbeiten sind Teil der Serie “intimate histories”, die nach einer Zusammenarbeit mit der afrodeutschen Performancekünstlerin Rebecca Pokua Korang zum Thema Clans in Berlin entstand. Kollaboration und Austausch sind einer der zentralen Säulen in Anna Ehrensteins künstlerischen Praxis. So sind in der Ausstellung auch “Passdeutscha“, Ehrensteins kollaboratives Video mit dem Künstler und Rapper Leonidas Emre Pakkan zu sehen. Geschickt im Kontext einer Fitnessmaschine installiert, stellt das Video vermeintliche körperliche Stärke und die gesellschaftliche Vulnerabilität marginalisierter Gruppen in Bezug. Die ebenfalls präsentierte Videoarbeit “Türkenstraße” ist das Ergebnis eines ortsspezifischen Workshops in München, der in Zusammenarbeit mit der Künstlerin Gülbin Ünlü stattfand, die auch gerade eine Ausstellung im Haus hat.

In ihrer Arbeit untersucht Ehrenstein, die ursprünglich als Fotografin tätig war, Formen des Wissens und deren Konstruktion. Sie benutzt und kombiniert dabei Alltagsgegenstände und schafft so alternative Erzählungen, in denen die Narrativen der hegemonialen Systeme unterlaufen werden. Ihre Arbeit ist eine kontinuierliche Verhandlung der Idee von Identität in einer postkolonialen Welt. Den letzten Raum der Ausstellung betritt man durch ein orientalisch anmutendes Türchen, das die Künstlerin in die Architektur eingefügt hat. Der Raum selbst ist in rosa Licht getaucht, das durch die folierten Fenster scheint. Hier zeigt Ehrenstein unterschiedliche Serien von Bildträgern, die mal verspielt und mal abstrakt persönliche und politische Ebenen anschneiden. Die Skulptur “Melody for a Harem Girl by the Sea” ist sowohl eine Ode an den muslimischen Femme Cyborg, kann aber auch autobiografisch gelesen werden.

In ihrer Ausstellung verdichtet Anna Ehrenstein persönliche und gesellschaftliche Aspekte, ihre Arbeiten sind kulturell wie politisch aufgeladen. Ihre installativ konzipierte Ausstellung widmet sich Themen der Kooperation und Aneignung und unterläuft die Idee einer individuellen Autorschaft. Ihre Objekte, Videos und Bilder sind miteinander vernetzt und zutiefst in einer post-digitalen Welt verortet, in der kulturelle Grenzen überschritten und die Dynamiken von Identität und Narrativen zwar bewusst untersucht werden, Abhängigkeiten und ungleiche Machtverhältnisse aber dennoch bestehen. Dies wird auch am Ort des Ausweichquartiers der Villa Stuck deutlich, einem Viertel, das stark unter dem Druck der Veränderung steht und in dem das Museum selbst zu einem Akteur der Gentrifizierung wird.
WANN: Die Ausstellung “Fully Automated Orientalism” ist noch bis 11. Mai zu sehen.
WO: VS, Interimsquartier der Villa Stuck, Goethestraße 54, 80336 München