"Anecken war schon immer mein Credo"

26. Februar 2016 • Text von

Folgt man der fotografischen Fährte von Andreas Fux findet man sich mal mit jungen, Ostberliner Punks in einem  leerstehenden Haus, mal neben nackten, mit Tätowierungen und Piercings übersäten Männern und Frauen wieder. Eine Begegnung im Prenzelberg.

Das erste Mal sind wir auf Andreas Fux gestoßen, als uns zufällig sein Bildband „Fährten“ in die Hände fiel. Auf dem Einband: eine Schwarz-Weiß-Aufnahme zweier junger Männer, der eine hält den anderen auf dem Arm, es ist eine infantil-verletzliche Pose, von der man nicht weiß, ob es sich um eine Geste der Zuneigung oder Verzweiflung, des Wiedersehens oder des Abschieds, handelt. Blättert man weiter, tastet sich der Blick über Gesichter, die auf seltsame Art und Weise zugleich fremd wie auch vertraut wirken. Selbstbewusst hebt ein junger Mann das Kinn zur Kamera, ein anderer liegt zusammen gekauert auf dem Fußboden, die blasse Haut mit Tätowierungen übersät. Andreas Fux fotografiert Menschen, ja, aber hinter seinen Bildern steht immer auch eine Persönlichkeit, eine starke Identität. Angefangen mit der Punkbewegung im damaligen Ost-Berlin bis hin zu Porträts der Tattoo- und Piercingszene Berlins – es ist das Nonkonforme, Unagepasste, dem Andreas Fux auf seinen fotografischen Streifzügen nachspürt und das er mit außergewöhnlicher Sensibilität in Szene zu setzen weiß.

gallerytalk.net: Hi Andreas. Deine aktuelle Ausstellung „Scham und Schönheit“ bei cubus-m war vor der Eröffnung in Berlin schon in Moskau zu sehen. Wie kam diese Verbindung zustande?
Andreas Fux: Das ist eine längere Geschichte. In den 90ern gab es in Moskau eine Underground-Künstlergruppe namens „Supremus“. 2013 hatte ich das Glück, deren Gründer in Zürich kennenzulernen und er erzählte mir, dass er in Moskau eine Galerie besitzt – quasi ein Überbleibsel der „Supremus“ Gruppe. Da ich 1992 dort schon einmal fotografiert hatte, wollte er meine Bilder gerne ausstellen. Die Schau sollte ursprünglich „Liebesgrüße aus Moskau“ heißen, aber dann fand ich „Scham und Schönheit“ doch passender. Zwar sind meine Bilder eigentlich nicht schamhaft, aber das Wort bezieht sich in diesem Fall eher auf die Situation der Ausstellung in Russland.

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Andreas Fux: Martin, aus der Serie “Am Ende der Nacht”, 2010. Courtesy Artist.

Die ja höchstwahrscheinlich ganz anders war als die Situation in Berlin. Wie lief die Eröffnung ab?
Das war schon alles etwas anders als in Berlin, ja. Die Galerie war nur über einen Hinterhof zu erreichen und um hereinzukommen, musste man klingeln und einen Zahlencode eingeben. Die Leute sind ungewohnt früh aufgetaucht und dann wurde jedes meiner Bilder mit dem Smartphone abgelichtet. Das war der Running Gag des Abends.

Du selbst bist in der DDR aufgewachsen und hast damals die Punk- und Undergroundszene fotografiert. Wie kam es dazu?
Wenn man in Ostberlin gelebt hat, dann war der Underground nie fern. Es gab im Grunde genommen nur zwei Möglichkeiten: entweder man war linientreu oder man war es nicht. Das war eine sehr schmale Gratwanderung und kaum eckte man an, war man draußen. Anecken war gewissermaßen schon immer eines meiner Credos und mich haben die Leute fasziniert, die anders – eben nicht DDR-konform – gelebt haben. 1988 hatte ich dann einen kleinen Durchbruch, als einige meiner Aktfotografien in „Das Magazin“ veröffentlicht wurden. Dort fing damals eine neue Bildredakteurin an, die auf der Suche etwas Extravagantem in Kontrast zu den aus heutiger Sicht eher verklemmt wirkenden Frauenporträts in der Zeitschrift war. Ich war der einzige Fotograf, der mal nicht Frauen-, sondern Männerakte fotografierte. Die haben dann auch für jede Menge Furore, allerdings im positiven Sinne, gesorgt. Tja, und dann kam auf einmal die Wende und es waren plötzlich ganz andere Themen angesagt. Da ging es dann erst mal nicht mehr darum, den Körper ästhetisch zu inszenieren, sondern die eigene Identität zu finden und zur politischen Diskussion beizutragen.

Moskau 2015

Andreas Fux: WMF, 1988. Courtesy Artist.

Hat sich deine Arbeitsweise dadurch verändert?
Eher weniger. Dokumentarische Fotografie war noch nie wirklich mein Steckenpferd. Ich laufe lieber mit meinen Ideen durch die Straßen und suche passende Modelle bzw. Situationen, in denen ich diese umsetzen kann. Ein paar Fotos von der nach und nach verschwindenden Mauer habe ich geschossen, ja. Was sich später dann geändert hat, waren vor allem die technischen Voraussetzungen. In der DDR gab es so gut wie keine Farbfotografie und auch ich habe meine ersten Fotos alle selbst und in schwarz-weiß entwickelt. Nach der Wende bot sich dann plötzlich die Möglichkeit, mit Farbe zu arbeiten und damit habe ich dann auch schnell angefangen.

Das erste Farbfoto, das du damals geschossen hast, ist auch in der Ausstellung bei cubus-m zu sehen. Es zeigt einen jungen Mann, der gedankenverloren über die Dächer einer leerstehenden Häuserlandschaft blickt. Was hat es mit dieser Aufnahme auf sich?
Das Foto habe ich 1988 geschossen und konnte es lustigerweise lange Zeit überhaupt nicht leiden. Ich fand es damals nicht stark genug, weil ich etwas anderes im Kopf hatte, und habe es erst mal weggelegt. Es hat erst in den vergangenen zwei Jahren eine Bedeutung gewonnen, als wir an dem Fotoband „Fährten“ gearbeitet haben. Die ersten Fotos aus dem Buch stammen von 1985. Der Herausgeber wollte alle Negative durchschauen – viele davon waren über zwanzig Jahre lang unentdeckt. Dem ersten Verleger war die Bildauswahl dann zu wirr. Ich wollte aber endlich einen Fotoband kreieren, der meine eigene Handschrift trägt und habe deshalb weiter gesucht. Dann habe ich glücklicherweise Detlef Busch getroffen und wir haben gemeinsam an dem Buch gearbeitet.

Ein Sujet, dass in deinen Arbeiten immer wieder auftaucht, ist der menschliche Körper. Woher rührt deine Faszination für dieses Thema?
Auch das hängt denke ich damit zusammen, dass ich in der DDR groß geworden bin. Man konnte damals keine Reisen machen und neue Territorien entdecken – also habe ich fotografiert, was mich umgibt. In Berlin hat es gewimmelt von Menschen, die interessant aussahen und die man gerne fotografieren wollte. Insbesondere die Punkbewegung in der DDR war sehr extrem und hat sich in erster Linie über das Äußere definiert. Die wollten alles, nur nicht aussehen wie aus dem Osten.

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Andreas Fux: Nico. Courtesy Artist.

Als ich den Titel „Scham und Schönheit“ gelesen habe, habe ich gedacht: Das passt auch deshalb, weil deinen Bildern eine unglaubliche Stärke, zugleich aber auch etwas hochgradig Fragiles anhaftet. Wie kommt dieses Spannungsmoment zustande?
Ich begreife das Fotografieren als einen offenen Prozess und mache mir und den Modellen keinen Druck, dass am Ende ein perfektes Bild entstehen muss. Es ist immer klar, dass es auch nicht passieren kann. Und genau dann ist bisher eigentlich immer etwas Wunderbares passiert. Bei meinen Bildern handelt es sich ja nicht um Modeserien oder ähnliches, bei denen die Models funktionieren müssen. Bevor ich überhaupt mit dem Fotografieren beginne, treffe ich meine Modelle mehrmals, wir lernen uns kennen, schaffen eine vertraute Basis. Das Foto schlussendlich zu machen, ist ja nur ein handwerklicher Akt. Dass dem Ganzen ein längerer Prozess zugrunde liegt, bekommt der Betrachter meist gar nicht mit.

Deine Arbeiten – insbesondere die Fotos der Tattoo- und Piercingszene Berlins – können zarte Gemüter ja durchaus schockieren. Wie fallen die Reaktionen normalerweise aus?
Es gibt im Grunde genommen zwei zentrale Punkte, wegen denen ich immer wieder Rede und Antwort stehen muss: Zum einen meine Serie über die Tattoo- und Piercingsszene, die teilweise ja schon relativ blutige Bilder enthält, und zum anderen das Hakenkreuzsymbol, das einige meiner Modelle als Tätowierung tragen. Was Letzteres anbelangt, werde ich zumeist schnell mit einem unreflektierten Nazi-Vergleich konfrontiert – was natürlich ein Totschlagargument ist. Den wenigsten Leuten scheint bewusst zu sein, dass es sich bei dem Hakenkreuz um ein uraltes Symbol handelt, dem in anderen Kulturkreisen eine völlig andere Bedeutung innewohnt. Was ich hinsichtlich der blutigen Bilder bisher feststellen konnte, ist, dass Frauen und Männer unterschiedlich auf die Serie reagieren. Die meisten Käufer sind Frauen, was vielleicht damit zu tun hat, dass meine Bilder ein eher untypisches, verletzlicheres Männerbild repräsentieren.

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Andreas Fux: Hannes. Courtesy Artist.

Wobei deine Fotografien von weiblichen Modellen nun auch nicht gerade das klischeehafte, Objekt-der-Begierde-like Frauenbild verkörpern.

Das ist wahr und ich will dieses Klischee auch nicht bedienen. Ich suche etwas Außergewöhnliches in meinen weiblichen Modellen, Stärke, eine eigene Identität. Leider wird meine Arbeitsweise immer wieder auf den „homosexuellen Blick“ zurückgeführt. Unter dem Motto: „Das ist der schwule Fotograf aus Berlin, der deshalb die und die Fotos macht.“ Bei einem heterosexuellen Fotograf würde das nicht so schnell passieren.

Bei cubus-m waren auch einige Bilder aus deiner neusten Serie zu sehen, in der du viel mit Licht und Schatten arbeitest. Erzähl uns ein bisschen darüber.
Die Serie, an der ich aktuell arbeite, trägt den Titel „Im letzten Viertel der Nacht“. In den Bildern der tätowierten und gepiercten Modelle wollte ich nichts verstecken. Sie sind schon so sehr intensiv, man muss sie nicht noch zusätzlich in eine geheimnisvolle Aura hüllen. Aber irgendwann gelangt man an den Punkt, an dem die Bildsprache tot ist. Deshalb habe ich nach etwas Neuem gesucht. Die neuste Serie hat eine sehr dunkle Ästhetik; ihr haftet etwas Uneindeutiges, Vages an. Ich habe viel experimentiert und bin schließlich bei dem Spiel mit Licht und Schatten hängen geblieben. Da muss man sehr genau arbeiten, jeder Millimeter verändert das Bild. Diese Arbeitsweise hat mich gefangen genommen und ich denke, damit kann ich gut noch ein Jahr weitermachen.

Hasselblad

Aus der neuen Serie “Im letzten Viertel der Nacht”. Courtesy Artist.

Und was ist der Plan für die nächsten Monate? Steht schon eine neue Ausstellung auf dem Programm?
Meine Schau bei cubus-m läuft noch bis zum 5. März. Es ist jetzt meine dritte Ausstellung in der Galerie, die mich auch vertritt. Das Problem ist, dass die Räumlichkeiten dort relativ klein sind und ich gerne mit größeren Formaten experimentieren würde. Insbesondere die neue Serie könnte auf diese Weise eine noch stärkere Präsenz entfalten. Im kommenden Jahr werde ich deshalb in Zürich noch einmal eine Ausstellung, dieses Mal in größeren Räumen, machen. Bis dahin ist die Serie hoffentlich komplett.

WANN: Die Ausstellung “Scham und Schönheit” läuft noch bis zum 5.März 2016. Den Bildband “Fährten” gibt es hier zu erstehen.
WO: Galerie cubus-m, Pohlstr. 75, 10785 Berlin.

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