Das Sankt-Florian-Prinzip
Andrzej Steinbach in der Kunsthalle Osnabrück

19. Februar 2023 • Text von

Können wir in heutigen Krisenzeiten von einer gesellschaftlichen Entzweiung und von einer Rückbesinnung auf die Macht des Staates sprechen? Oder entsteht gerade durch Krisen die Möglichkeit, solidarischen Zusammenhalt neu zu definieren? Andrzej Steinbach stellt mit einer Installation in der Kunsthalle Osnabrück die Deutungshoheit realpolitischer Narrative infrage. Er konfrontiert autoritäre Praktiken mit demokratischen Teilhabeversprechen. (Text: Lia Brinkmann)

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Andrzej Steinbach, „Verschont mein Haus, zündet andere an“, Installationsansicht Kunsthalle Osnabrück, 2022. Foto: Lucie Marsmann.

Aneinandergereihte Spindschränke und Lamellenvorhänge dominieren den Ausstellungsraum. Sie wecken Assoziationen an Umkleidekabinen in Turnhallen oder Polizeirevieren. Die Spinde dienen als Displays für zwei Fotoserien von Andrzej Steinbach. Der Künstler hat die Installation „Verschont mein Haus, zündet andere an”eigens für die Kunsthalle Osnabrück und deren Jahresthema „Romantik“ gestaltet.

Die Serie „Tisch und Bett“(2022) zeigt Schwarzweißfotografien von Möbelstücken. Ihrer Funktionsweise entrückt laden sie nicht zum Bleiben ein: ein Sessel, in die Ecke gedrängt, oder ein Stuhl, der den Weg durch eine Tür versperrt. Andere Einrichtungsgegenstände erinnern an Requisiten, die noch auf ihren Auftritt warten. Bei den abgebildeten Räumen handelt sich um unbewohnte Tatort-Wohnungen der brandenburgischen Polizei, die zu Übungszwecken von Polizeischüler*innen genutzt werden. Mit ihnen wirft Steinbach Fragen nach Kulisse und Szene, Übung und Simulation auf und thematisiert den performativen Charakter von Gefahrenabwehr.

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Andrzej Steinbach, „Verschont mein Haus, zündet andere an“, Installationsansicht Kunsthalle Osnabrück, 2022. Foto: Lucie Marsmann.

Die Farbfotografien der Serie „Ordinary Stones“ (2016) zeigen Stillleben und Portraits; Steine, die wie archäologische Funde wirken, oder willkürlich fotografierte, industriell gefertigte Begrenzungssteine. Erst die Verbindung mit Porträts und Objektaufnahmen wie die einer drapierten Bomberjacke verleiht ihnen ihre politische Bedeutung. Eine auf dem Bett liegende Person etwa liest das Buch „An unsere Freunde“. Es wurde von dem französischen Anarcho-Kollektiv „Comité invisible“, also dem Unsichtbaren Komitee, geschrieben, das 2007 für ihre erste Veröffentlichung „Der kommende Aufstand“ und militante Aktionen wie die Sabotage einer Castor-Eisenbahnstrecke bekannt geworden war.

In der Gegenüberstellung referieren Steinbachs Fotografien so auf Aktivismus, Widerstand und Subkultur. Das verdeutlicht, wie stark die Bedeutung von Bildern einerseits von ihrer Nachbarschaft zu anderen Bildern abhängt und andererseits wesentlich von der Art und Weise der Rezeption mitbestimmt wird: Steinbach weist auf die aktive Position der Betrachter*innen hin. Es entstehen dabei analog zu gegenwärtigen Krisen der Abschottungspolitiken Bezüge zu Motiven der Romantik, wie die Flucht ins Innere, aber auch nationalistische Tendenzen oder die Angst vor Modernisierung und konfrontiert sie mit politischem Aktivismus.

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Andrzej Steinbach, „Verschont mein Haus, zündet andere an“, Installationsansicht Kunsthalle Osnabrück, 2022. Foto: Lucie Marsmann. // Andrzej Steinbach, „Verschont mein Haus, zündet andere an“, Installationsansicht Kunsthalle Osnabrück, 2022. Foto: Lucie Marsmann.

Geschickt führt Steinbach die Installation und die beiden Fotoserien auf ästhetischer und inhaltlicher Ebene zusammen. Er befragt Antagonismen wie Unsicherheit und Sicherheit sowie gesellschaftliche Solidarität und individuelles Wohlergehen. Dies geschieht, indem Steinbach die beiden Fotoserien gegenüberstellt: die Möbelstücke in den Tatort-Wohnungen und die Steine und Portraits der Serie „Ordinary Stones“. Die Gegenüberstellung lässt einen Dialog entstehen, der sich zwischen Meinungsfreiheit, politischer Mitbestimmung sowie Handlungsoptionen im öffentlichen Raum bewegt und dabei Abschottung und Sicherheit in Diskurs treten lässt.

Antiessentialistisch betont Steinbach, dass Dinge – hier die Fotografien – keine festen Bedeutungen zugeschrieben werden. Ohne eine Deutungshoheit über Dinge entwickelt sich Vielfältigkeit: Wenn Dinge keine festen Zuschreibungen haben, kann Freiheit zu Meinung entstehen.

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Andrzej Steinbach, „Verschont mein Haus, zündet andere an“, Installationsansicht Kunsthalle Osnabrück, 2022. Foto: Lucie Marsmann.

Der Titel von Steinbachs Installation, „Verschont mein Haus, zündet andere an“, entstammt einem Zitat des heiligen Florian. Es beschreibt die Haltung, Probleme weniger zu lösen denn auf andere zu verschieben. In diesen Worten steckt bereits das ganze Dilemma von Teilhabe und Isolation, das die politische Wirklichkeit der Gegenwart durchzieht: Solange mein Haus verschont wird, ist politische Teilhabe möglich und gesellschaftliche Isolation rückt in die Ferne.

Die graue Stimmung des Raumes, der Teppichboden, die Neonröhren und Spinde stehen exemplarisch für bürokratische Abschottungspolitik und wachsende Polizeigewalt, die sich in realpolitischen Praktiken zeigen. Durch das Spannungsfeld von politischer Verantwortungsübernahme und -verschiebung werden die Installation und die beiden Fotoserien verbunden. Steinbachs Arbeiten in der Kunsthalle Osnabrück stehen im Kontext einer zentralen Frage: Funktioniert die Forderung nach solidarischem Handeln nur, solange das eigene Wohlergehen nicht betroffen ist?

WANN: Die Ausstellung „Verschont mein Haus, zündet andere an“ von Andrzej Steinbach ist noch bis Sonntag, den 5. März, zu sehen.
WO: Kunsthalle Osnabrück, Hasemauer 1, 49074 Osnabrück.

Diese Ausstellungsbesprechung ist im Rahmen eines von Mira Anneli Naß und Radek Krolczyk im Wintersemester 2022/23 geleiteten Praxisseminars zu Kunstkritik im Master Kunstwissenschaft und Filmwissenschaft der Uni Bremen entstanden. 

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