Analoge Kult-Fotografie
Peter Keetman im Kunstfoyer der Versicherungskammer

5. September 2017 • Text von

Vor dem afghanischen Flüchtlingsmädchen mit den grünen Augen gab es bereits Andrea R., die mit ihren strahlenden Augen ihren Beobachter, durch ein aufgerissenes Fliegengitter hindurch, fixiert. Auch in schwarz-weiß hat diese Aufnahme von 1961 nicht weniger fesselnden Charakter. Ihrem fotografischem Urheber, Peter Keetman, der in diesem Jahr 100 geworden wäre, wird nun eine umfassende Retrospektive im Münchner Kunstfoyer der Versicherungskammer Kulturstiftung gewidmet.

Peter Keetman: Graustifen, Schwarzwald 1980, © Nachlass Peter Keetman / Stiftung F.C. Gundlach.

Fast genauso grün wie ihre Augen jedoch deutlich weniger anziehend ist das neonfarbene Banner der Ausstellung, von dem sich der Besucher jedoch keinesfalls irritieren lassen sollte, denn er wird mit exquisiter schwarz-weiß Fotografie belohnt. Peter Keetman. Gestaltete Welt. Ein fotografisches Lebenswerk ist das Ergebnis einer Kooperation zwischen der Stiftung F.C. Gundlach und dem Museum Folkwang, welche sich zunächst um die wissenschaftliche Aufarbeitung des Nachlasses des 2005 verstorbenen Fotografen bemühte. Das Kunstfoyer in München ist dabei nicht die erste Station dieser Ausstellung, deren Exponate zuvor bereits in den Deichtorhallen in Hamburg und im Museum Folkwang in Essen zu sehen waren.

Peter Keetman: Lackierte Karosserien auf Transportgestellen, VW-Werk Wolfsburg 1953, © Nachlass Peter Keetman / Stiftung F.C. Gundlach.

Peter Keetman wird als der bekannteste deutsche Fotograf der Nachkriegsmoderne gehandelt, welcher das Wirtschaftswunder glänzend, monochrom und dabei überaus ästhetisch in schwarz-weiß dokumentierte. Würde man Keetmans Werk mit einem einzigen Motiv beschreiben dann wäre es wahrscheinlich die präzise übereinander gestapelten, glänzenden Autoteile des VW-Käfers, die dynamisch anmutend auf die weitere Verarbeitung warten. 1953 verbrachte der Fotograf drei Tage in der damals größten Automanufaktur der Welt, dem Volkswagenwerk in Wolfsburg, welches zu diesem Zeitpunkt über 700 Käfer am Tag produzierte. Eine technologische Sensation, die auch dem Otto-Normalverbraucher den Traum der individualisierten Mobilität ermöglichte. Der Volkswagen Käfer manifestierte sich zum international anerkannten Qualitätssiegel “Made in Germany”, welches nun ironischerweise 65 Jahre später ein blamables Ende nimmt. Als spiritueller Vater der Industriefotografie lässt Peter Keetman den Besucher durch seine Werke die Aufbruchstimmung sowie den Zukunftsoptimismus der 50er und 60er Jahre posthum miterleben. Jedoch hat sein Lebenswerk weitaus mehr als nur eine Hommage an die Industrialisierung zu bieten.

Peter Keetman: Blick vom Maximilianeum, München um 1955, © Nachlass Peter Keetman / Stiftung F.C. Gundlach

Peter Keetman kann als ein Fotograf der alten Schule bezeichnet werden, der sein Handwerk an der bayerischen Staatslehranstalt für Bildwesen – heute die staatliche Fachakademie für Fotodesign München – erlernte. Seine 360 Exponate sind eine Reise durch die jüngste deutsche Geschichte, welche 1935 mit Aufnahmen von NS-Umzügen in einer gewissen prunkvollen Dritten-Reich Ästhetik beginnt. Es folgen ernüchternde Bilder der russischen Kriegsgefangenschaft, aus welcher Keetman schwer verletzt als Invalide heimkehrte. Seine Dokumentationen des zerstörten Münchner Stadtbildes zeugen von einem desillusionierten deutschen Volk, welches zwischen Verdrängung, Unsicherheit und Scham oszilliert. Doch Wiederaufbau und Wirtschaftswunder stiften neues Selbstbewusstsein, eine Entwicklung, die beispiellos durch das fotografische Werk Keetmans veranschaulicht wird. Als Reaktion auf die durch Industrialisierung verursachte Luftverschmutzung entstehen bald ein neues nationales Bewusstsein für Umweltschutz und eine Rückbesinnung zur Natur, die ebenfalls von den Fotografen festgehalten wurde. München wird dabei zum Dreh- und Angelpunkt seines fotografischen Narratives, wobei einem Stadtbekannten oft das Gefühl überkommt, dass sich seit dem Wiederaufbau kaum etwas verändert hat.

Peter Keetman: Lichtspiegelung im Wasser, 1950, © Nachlass Peter Keetman / Stiftung F.C. Gundlach.

Es ist aber außerdem die Entwicklung der deutschen Fotografie, die sich anhand von Keetmans Arbeiten emblematisch nachzeichnen lässt, von sozialen Reportagen über Experimente mit Licht, Schatten und Bewegung hin zu einer intensiven, abstrakten Bildsprache. In den 50er Jahren wurde er mit seiner Produktfotografie erstmals kommerziell erfolgreich und prägte den Begriff der Neuen Sachlichkeit. “Was wir wollen, ist, den Konservatismus brechen, etwas Neues, Überzeugendes bieten, den Leuten die Augen öffnen”, sagte Keetman. In diesem Sinne beginnen seine Arbeiten tatsächlich erst interessant zu werden mit der Gründung von Fotoform, einer Vereinigung von befreundeten Fotografen in der Keetman sich als “junger Wilder” einen Namen machte. Seine Studien zu Öl- und Wassertropfen, die Lichtreflexe im Wasser und seine Experimente mit Lichtpendel und Schwingungen sind die heimlichen Koryphäen dieser Ausstellung. Er treibt die Abstraktion fast bis zur Unkenntlichkeit seiner Motive, dies wird besonders bei den Detailaufnahmen von Schallplatten und Jalousien deutlich.

Peter Keetman: Selbstbildnis, 1956, © Nachlass Peter Keetman / Stiftung F.C. Gundlach.

Kaum ein Fotograf hat sich so vielseitigen Themen gewidmet und blieb dabei stets seinem eigenen Stil treu wie Peter Keetman. Die insgesamt neun Kapitel der Ausstellung umfassen soziale Reportagen, Porträts, Industriefotografie, mikroskopische Studien von Naturphänomenen, Bewegungen und Licht, großformatige Landschaftsaufnahmen und das Leben in der Stadt; ein Gesamtwerk, welches zweifelsohne den Puls eines Fotografie-Liebhabers höher schlagen lässt.

WANN: Die Ausstellung ist nur noch bis zum 10. September zu sehen.
WO: Kunstfoyer VKB, Maximilianstraße 53, 80538 München.

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