Reflexionen über Repräsentation
Anahita Razmi über Reaktion und Weiterentwicklung

18. November 2022 • Text von

Die deutsch-iranische Künstlerin Anahita Razmi nutzt in ihrer Praxis Strategien der Aneignung und transkulturellen Rekontextualisierung. In ihrer Einzelausstellung bei Carbon 12 in Dubai schlägt sie eine neue Richtung ein. Durch den konzeptionellen Einsatz ungewöhnlicher Medien schafft die Ausstellung eine visuelle und akustische Assemblage wiederkehrender Symbole von (Post-)Nationalismen, vergehenden Imperien und kosmopolitischen Haltungen.

 Anahita Razmi: The Riff, Installationsansicht, Courtesy of Carbon12.

gallerytalk.net: In Deiner aktuellen Ausstellung „THE RIFF“ bei Carbon 12 in Dubai zeigst Du neue Arbeiten, die sich von Deinen bisherigen durchaus unterscheiden. Wie siehst du das?
Anahita Razmi: Die Arbeiten sehen auf den ersten Blick eventuell etwas untypisch für mich aus, sind es dann aber eigentlich nicht. Es stimmt schon, dass sich die Form verändert hat. Ich habe für die Ausstellung mit analogen Medien gearbeitet, das habe ich vorher nicht gemacht. Und die Arbeiten haben andere Bezugspunkte. Aber die künstlerischen Strategien von Aneignung und Dekonstruktion, die ich nutze, sind immer noch die gleichen.

Mir kommen die Arbeiten abstrakter vor, mehrschichtiger und vielleicht weniger direkt als frühere Arbeiten. Wie würdest du sie einordnen?
Es gibt in der Ausstellung eine Serie von fotografischen Bildern, “World Music”, die sind tatsächlich sehr abstrakt, formell sind es abstrakte Fotografien/Belichtungen. Aber durch die Titel und die genutzten Techniken gibt es noch eine andere Ebene, die die Abstraktion dann auch gleich wieder in Frage stellt. Die Bilder sind ein Nachdenken über den Prozess von Repräsentation. Was kann universal bedeuten, was kann global sein. Wie hängt der Satz the “Medium is the Message” mit diesen Fragen heute zusammen. Wenn ich diese breit angelegten Fragen durch die Arbeit konkretisiere, wird es in guten Momenten hoffentlich seltsam und interessant. Im Kern geht es um ein Nachdenken über Repräsentation und über die Unmöglichkeit von Repräsentation. Gleichzeitig geht es schon auch konkreter um aktuelle gesellschaftliche und politische Themen, auch wenn ich dies vielleicht nicht direkt anspreche.

 Anahita Razmi: WORLD MUSIC #01 (The Sound Of Something That Is Universal), 2022; WORLD MUSIC #02 (The Sound Of A Biased Algorithm), 2022; WORLD MUSIC #03 (The Sound Of A Floating Exchange Rate), 2022; Courtesy of Carbon12.

Ich finde den Aspekt der Repräsentation sehr interessant. Da geht es ja auf der einen Seite um gesellschaftliche Repräsentation, aber es gibt ja auch theoretische Fragen zu Repräsentation. Ein Foto als Repräsentation der Wirklichkeit kann nicht objektiv sein. Wie gehst du mit diesen Aspekten um?
Für mich hängen diese Fragen direkt zusammen. Ich habe diese Bilder mit einem analogen Mittelformat-Filmmaterial gemacht, dass sehr speziell ist: es ist ein Film, der eigentlich für die Aufnahmen von Ton genutzt wird, für Sound Recordings. Im Material selbst ist somit schon eine Idee von Sound eingeschrieben.

Und dann geben die Arbeiten über ihre Titel, vor, je das Event eines spezifischen Sounds visuell darzustellen. Es geht um den Prozess des ‚Bildmachens‘, um den Versuch der visuellen Repräsentation und das Infragestellen von diesem.

Für mich löst “World Music” oder “Weltmusik” auch noch etwas anderes aus, es ist eine bestimmte Musikrichtung. Wie verhältst du dich zu solchen Assoziationen?
Das ist eben eine echt fragwürdige existierende Musikkategorie, das fand ich aber interessant. Man hat diese Kategorie ja auch noch im Plattenladen, aber eigentlich funktionierte dieses Welt-Exotismus-Label ja nie – was für eine Welt repräsentiert es denn und für wen? Ich nutze diese Titel mit einem Augenzwinkern, sie beziehen sich ja wieder auf Sounds, die vorgeben universell zu sein. Die Arbeit wird so hoffentlich eine Fragestellung, und weniger ein Statement.

Anahita Razmi: NO NATIONAL FLAG USES A GRADIENT #1-8, 2022, Courtesy of Carbon12.

In einer anderen Arbeit hinterfragst du auch diese Strukturen von Kategorisierung. Du zeigst Flaggen, die aber keine klaren Muster oder Farbflächen haben, sondern Farbverläufe. Was hat es damit auf sich?
Angefangen hat es eigentlich mit einer einfachen Feststellung: Kein Land der Welt nutzt in seiner Nationalflagge ein Gradient, einen Farbverlauf. Und das hat natürlich auch wieder mit Fragen der Repräsentation zu tun. In diesem Fall eben in Bezug auf das visuelle Zeichen einer Flagge. Wenn man über die Logiken von Vexillologie, von nationaler Symbolik, Klarheit und Abgrenzung nachdenkt, kann ein Farbverlauf keine Rolle spielen, das findet man nicht. Mich hat diese einfache Feststellung interessiert. Die Arbeit besteht aus einer Reihe von Fahnen, mit unterschiedlichen Farbverläufen, von Weiß zu Schwarz.

Anahita Razmi: I WANNA BE PART OF THE NONALIGNED MOVEMENT, 2022, courtesy of the artist and Carbon12.

Um was geht es dir genau?
Mir geht es um Fragen der Zuschreibung, der Repräsentation und um ein Destabilisieren von dem, was wir gewohnt sind. Wie wir bestimmten Bildern, Sounds, Symbolen Bedeutung zuschreiben und wie sich das mit uns selbst, mit Kontext und der Festschreibung von Identität rückkoppelt. In Bezug auf die Konzepte von Nation und Nationalismus finde ich eine interessante Frage, ob und wie man eine Art von Hybridität, etwas nicht Klares oder klar Greifbares, visuell fassen kann. Wie könnte das ästhetisch aussehen? Die Arbeit ist hier sowas wie ein Vorschlag.

 Anahita Razmi: The Riff, Installationsansicht, Courtesy of Carbon12.

Würdest du dich selbst auch als ein Gradient zwischen unterschiedlichen Sphären beschreiben? Nicht nur aufgrund deines Hintergrunds, auch wegen deiner künstlerischen Strategien?
Meine Erfahrung ist es, nicht das Eine, und nicht das Andere zu sein. Und auch in unterschiedliche Kontexte nie wirklich hineinzupassen. Aus dieser Position und Erfahrung heraus hat sich meine künstlerische Arbeitsweise ziemlich intuitiv entwickelt. Viele meiner früheren Arbeiten, und auch aktuelle Arbeiten, haben oft einen ganz klaren Bezug zum Iran, meiner zweiten Hälfte. Das sind aber keine Arbeiten über den Iran. Vielmehr möchte ich Verbindungen schaffen, auf bestehende unsichtbare Verbindungen verweisen, mit Hybridität als Möglichkeit arbeiten. Wie Dinge gelesen und wahrgenommen werden, ist dabei eigentlich Teil der Arbeit – manche Aspekte gehen verloren, andere kommen hinzu.

In der Ausstellung „THE RIFF“ agierst du reflexiver?
Wenn ich als Halbiranerin mit iranischem Namen Arbeiten mit Bezug zu Iran mache, scheint die Sache für viele Leute klar, zu klar. Dass es aber gerade um die Dekonstruktion eines solchen Blicks gehen mag und um das Eigene vielleicht sogar mehr als um das Andere, kommt vielen nicht in den Sinn. Meine Arbeit hat daher schon immer auch weitere Bezüge gehabt, auch um Kategorisierungen zu vermeiden. In “THE RIFF” geht es jetzt eher um diese Strategien – konzeptuell wie ästhetisch. Das ist vielleicht auch eine Reaktion und Weiterentwicklung. Ich hinterfrage Klarheiten, die es so vielleicht gar nicht gibt.

WANN: Die Ausstellung “The Riff” ist noch bis zum 5. Januar 2022 zu sehen.
WO: Carbon.12, Unit 37, Alserkal Avenue, Al Quoz 1 P.O.Box 214437, Dubai.