An die Pinsel, Genossen!
Eine sehr persönliche Rezension des Buchs "Die Linke und die Kunst" von Jens Kastner

17. Mai 2021 • Text von

Die linke Kunsttheorie lief mir schon während der Bearbeitung meiner Doktorarbeit über den Weg, in der aktuellen Debatte ist sie sehr wirkungsvoll geworden. Mit der aktuellen Publikation von Jens Kastner schließt sich für mich der Kreis.

Malerei zeigt zwei braune, ausgelatschte Schnürschuhe.
Man riecht fast den Arbeiterschweiß: Vincent van Gogh, Schuhe, 1886, © Van Gogh Museum, Amsterdam (Vincent van Gogh Foundation).

Aus zwei Gründen scheint mir die Besprechung des Buchs „Die Linke und die Kunst“ von Jens Kastner wichtig. Einer ist ein gesellschaftlicher: Kunst und Kultur wird seit ein paar Jahren zunehmend moralisch aufgeladen, und zwar durch die – insgesamt völlig gerechtfertigten – gesellschaftlichen Identitätsdebatten. Man diskutiert mitunter mehr über die gesellschaftliche Haltung der Kunstschaffenden als über die (fehlende) Qualität der künstlerischen Arbeit, was politisch manchmal sicher notwendig ist, aber einem hochwertigen Kunstwerk aus offensichtlichen Gründen nicht gerecht wird. Angelegt ist diese Betrachtung nicht nur, aber auch in der traditionellen linken Kunstdebatte.

Der zweite Grund ist ein persönlicher: Während der Anfertigung meiner Doktorarbeit zur Raumtheorie sah ich mich auch nach geeigneten Stipendien um und besuchte damals, 2014, einen Informationsabend, den die politischen Stiftungen an der Universität veranstaltet hatten. Vorgestellt hat sich damals auch die Rosa-Luxemburg-Stiftung, und der Auftritt blieb mir als einziger im Gedächtnis: Eine junge, schlanke Frau mit langen blonden Haaren, im hautengen, roten Kleid und schwarzen High-Heels stellte das Stipendienprogramm vor. Der Auftritt war kurz und eingängig, man fördere linke, politische Projekte, um diese in der Gesellschaft besser sichtbar zu machen (die entsprechende Homepage ist da ebenso klar in der Kommunikation). Besonders die Schlussbemerkung blieb bei mir hängen, wegen der unvergleichlichen Gesamtkomposition von Referentin und Inhalt: „Sich von der Linken fördern zu lassen ist oft einfacher, als man denkt.“

Nun war meine Doktorarbeit mit der Fragestellung „Wurde der moderne Innenraum eher von Albert Einstein oder vom Bauhaus erfunden“ nicht unbedingt optimal für diesen Kontext geeignet; wie bei den anderen politischen Stiftungen auch sah ich damals von einer Bewerbung ab. Das Thema „Was denkt die Linke eigentlich von der Kunst?“ hatte sich aber unterschwellig bei mir festgesetzt. Die Publikation von Jens Kastner hat mich darum ausgesprochen neugierig gemacht.

Raum voller Menschen zeigt die "schlesischen Weber".
Vor Erschöpfung auf dem Weg ins sozialistische Utopia: Carl Wilhelm Hübner, Die schlesischen Weber, 1844, Museum Kunstpalast Düsseldorf, © Kunstpalast – Horst Kolberg – ARTOTHEK

Das Buch war in mehrfacher Hinsicht eine Herausforderung. Auf dem Titel als „Ein Überblick“ über das komplizierte Verhältnis der Linken zur Kunst getriggert macht der Autor keine Gefangenen: Auf den rund 300 Seiten tummeln sich ordentliche 778 Fußnoten, darunter alle üblichen Verdächtigen, von Proudhon und Adorno über Marcuse bis Foucault und Rancière, natürlich inklusive Karl Marx und Friedrich Engels, mit denen die Argumentation folgerichtig auch startet. Jens Kastner ist hier fraglos ein toller Überblick gelungen, auch an anderer Stelle als er womöglich selbst geplant hat. Denn auch wenn er in 12 thematischen Kapiteln nach ästhetischen Begriffen in allen denkbaren, linken Theorieströmungen fahndet und hier auch reichhaltig fündig wird, ist es doch erstaunlich, wie ganz automatisch und en passant ein bunter Strauß linker Gesellschaftsvorstellungen mitvermittelt wird: Die marxistisch-leninistische Theorie findet ihren Platz ebenso wie der Anarchismus, und die Kritische Theorie; die Situationist*innen, Materialist*innen, Postoperaist*innen, Poststrukturalist*innen, Feminist*innen, Black Activists und viele andere scheinen auf in diesem kulturwissenschaftlichen Lesebuch, das immer wieder neu und dringlich die Frage nach der Kunst stellt, aber auch immer wieder dieselbe Antwort findet: Die Kunst, sie ist für die linken Denker*innen fast immer Mittel zum Zweck, oft Gehilfin auf dem Weg zur neuen Gesellschaft, mindestens mentales Öffnungsprogramm für die Masse, fraglos pädagogisches Werkzeug für die linke Avantgarde.

Nirgends im Buch wird das deutlicher als im ersten Kapitel, wenn Kastner den Philosophen Michail Lifschitz mit den Worten zitiert: „Die Bedeutung der Theorie von Marx wäre selbst dann für die Philosophie der Kunst enorm gewesen, wenn wir nichts von den ästhetischen Ansichten der Begründer des Marxismus wüßten“ (S. 27). Wie kann das sein? Das kann deshalb sein, weil Marx die Kunst schlicht und dankbar als Fortführung des Klassenkampfes mit anderen Mitteln (miss-)versteht.

Womöglich wäre es tatsächlich besser gewesen, Marx’ ästhetische Ansichten nicht zu kennen, lobt er doch das wirklich alles andere als subtile Historienbild „Die schlesischen Weber“ von Carl Wilhelm Hübner als Werk, das „verständlicherweise so manches Gemüt für soziale Ideen empfänglich macht.“ Hier liegt das Problem: Offenbar verwechseln einige der politischen Theoretiker*innen auch aus solchen historischen Gründen gerne Kunst mit Ästhetik und setzen diese dann ein für Propaganda oder Pädagogik. Nun haben diejenigen Kunstwerke, die sich aus fachlicher Sicht ernstnehmen lassen und darum auch den besonderen Schutz eines vorderen Grundgesetzartikels genießen, aber vorerst weder Zweck noch Auftrag. Dieser kann und wird nachträglich entstehen, muss es aber nicht, und vor allem ist er nicht planbar. Es würde die Kunst auch sofort dem Verdacht aussetzen zusätzlich noch etwas anderes zu sein als Kunst (zum Beispiel Propaganda).

Der Widerspruch wird im Fazit des Buchs thematisiert, doch fällt die ideologische Vereinnahmung des Kunstbegriffs in den verschiedenen Theorien deutlich auf: Immer geht es um die Erreichung der sozialistischen Utopie, und daraus abgeleitet letztlich um die Nutzbarmachung ästhetischer Autorität. In diesem Vereinnahmen der kulturellen Mittel erweisen sich einige linke Vordenker eben als ganz grauenhaft verblendete Kunstbanausen, was man daran sieht, dass Marx‘ Sympathie für die „Schlesischen Weberinnen“ recht ähnlichen Wurzeln entspringt wie ein paar Jahrzehnte später Martin Heideggers unangenehme Vorliebe für die von Van Gogh gemalten, schmutzigen Arbeitsschuhe („weil man im Bild so ehrlich das Wesen des Arbeiterdings selbst erkennen mag …“). Heidegger war als biedermeierlich-kleinbürgerlicher NS-Günstling relativ unverdächtig, marxistische Theorien verinnerlicht zu haben. Ein eher überschaubares, programmatisch geprägtes Kunstverständnis, gänzlich unbelastet von der modernen Kunstavantgarde, hatten indes beide Theoretiker (was man Heidegger natürlich stärker anlasten kann als Marx).

Dieser Text ist keine Kritik am Buch, das hervorragend recherchiert und (einem trainierten Fachpublikum) in Sprache und Argumentation absolut gewinnbringend ist. Und er ist auch eine Gratulation zu Kastners Kunstgriff, in mehrere Argumentationsstränge Michel Foucault einzuweben, der zweifellos zur Untermauerung der linken Idee Großes beigetragen hat, in seinem vorzüglichen Verständnis für das Vage und Poetische der Kunst die übliche linke Lesart der Ästhetik aber freilich um Längen überschreitet und auch bloßstellt.

Darum ist dieser Text nicht als Polemik gemeint, nicht gegenüber „der Linken“, erst recht nicht gegenüber dem Autor. Der Kommentar ist vielmehr eine von viel Sympathie für die linke Sache geprägte Kritik am hier intern herrschenden Kunstverständnis, das über weite Strecken leider derart eindimensional und konfliktlos ist, dass im Kontext eine konkrete Unterscheidung der ästhetischen Theorie von der Gesellschaftstheorie schlicht überflüssig ist. Darum ist das Buch für die aktuelle Debatte enorm wichtig, weil es hilft, diese politische Vereinnahmung zu verstehen und es möglich macht, die ästhetisch relevante Kunst nach Kräften vor ihr zu schützen.

“Die Linke und die Kunst” von Jens Kastner ist im UNRAST Verlag erschienen. Dort könnt ihr das Buch für 18 Euro bestellen.