Synästhetische Eindrücke
Amuse-bouche im Museum Tinguely

21. Februar 2020 • Text von

Das Museum Tinguely in Basel setzt mit einer substanziellen Show seine Reihe zu den menschlichen Sinnen in den Künsten fort: Nach Duft- und Tastsinn steht in der Ausstellung „Amuse-bouche“ nun der Geschmack im Fokus. Auf die Frage, wie Kunst schmecken kann, findet man bei den mehr als 45 gezeigten künstlerischen Positionen mannigfaltige Antworten.

Janine Antoni: Mortar and Pestle, 1999, © Janine Antoni; Courtesy of the artist and Luhring Augustine, New York.

Der Geschmackssinn ist, wie der Geruchssinn, höchst subjektiv. Gerüche und Geschmäcker können, oft ganz unverhofft, starke Assoziationen und Erinnerungen triggern. Dass dieser Effekt spätestens seit der Madeleine-Episode in Marcel Prousts Roman „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ auch in Literatur, Wissenschaft und Kunst thematisiert wird, verwundert daher nicht. Das Museum Tinguely hat es sich in der aktuellen Ausstellung zur Aufgabe gemacht, nach dem Geschmack der Kunst zu suchen, zwischen tatsächlicher Erfahrung, metaphorischer Analyse und politsicher Verortung. Gegliedert ist die große thematische Ausstellung nach den geschmacklichen Koordinaten, auf die man sich als Gesellschaft geeinigt hat: süß, sauer, bitter, salzig und umami. Letzteres, eine 1908 vom japanischen Chemiker Kikunae Ikeda bestimmte Definition beschreibt eine Note die am besten als „geschmackvoll-würzig“ beschrieben wird.

Elizabeth Willing, Installationsaufnahme der interaktiven Arbeit Goosebump, 2011 – fortlaufend Pfeffernüsse und Zuckerguss, variable Masse Courtesy of the artist and Tolarno Galleries Melbourne ​​​​​​​© Elizabeth Willing and Tolarno Galleries Melbourne Foto: Elizabeth Willing.

So breit gefächert wie die Möglichkeiten auf der Geschmackspalette sind auch die in der Ausstellung gezeigten Arbeiten. Die Kuratorin Annja Müller-Alsbach schöpft aus den kunsthistorischen Vollen und vermengt Bilder aus dem Barock mit zeitgenössischen Arbeiten und Werken aus der klassischen Moderne. Gezeigt werden Malerei, Fotografie, Skulpturen, Audioarbeiten und auch partizipative Werke: So verführt die Australierin Elizabeth Willing mit ihrer Arbeit „Goosebump“ den Besucher. An einer 22 Meter langen Ausstellungswand bilden hunderte kleiner runder Lebkuchen mit weißem Zuckerüberguss, so genannte Pfeffernüsse, ein geometrisches Muster. Der Besucher wird angelockt vom Süßen und darf, wenn er sich denn traut, hineinbeißen und so seine Spuren hinterlassen. Schmeckt nach Zimt und man sollte feste Zähne haben.

Jan Davidsz. de Heem, Fruchtstillleben mit gefülltem Weinglas, 17. Jh., Staatliche Kunsthalle, Karlsruhe, © bpk / Staatliche Kunsthalle Karlsruhe / Annette Fischer / Heike Kohler.

Annja Müller-Alsbach spannt in der Ausstellung einen thematischen Bogen, der unterschiedliche Motive sichtbar macht. Essen, Kulinarik und Geschmack sind zutiefst sinnliche, körperliche Erfahrungen. Der Körper steht im Mittelpunkt und auch dessen Vergänglichkeit. So sieht man Sam Taylor-Johnson Video „Still Life“ als konsequente Weiterführung klassischer Vanitas-Motive. Alles Fleisch vergeht, nur der Kugelschreiber aus Plastik bleibt bestehen. Dass Essen auch eine erotische Komponente hat, wird nicht nur in der Zweideutigkeit des Verbes „vernaschen“ deutlich. Gleich der erste Raum der Ausstellung ist dem Thema „Geschmack der Begierde“ gewidmet und setzt den herzhaften Ton für die folgenden Räume.

Sam Taylor-Johnson: Still Life, 1991 (Filmstill), 1-Kanal-Video, (Farbe, ohne Ton), Sammlung Goetz, München © Sam Taylor-Johnson. All Rights Reserved, 2020, ProLitteris, Zürich.

Auch auf die politischen Komponenten von Essen und Geschmack wird ein Augenmerk gelegt. Dass das „Fremde“ über das Vehikel Essen erfahrbar wird und Verständnis und Nähe erzeugt werden können, wird in einigen Arbeiten deutlich gemacht. Für das Projekt „Sufferhead Original“ des Nigerianers Emeka Ogboh wurde eigens ein spezielles Craft-Bier gebraut. Die Inhaltsstoffe dieser „Basel-Edition“ soll die Aromen Nigerias und der Schweiz fusionieren und zeigen, welche Geschmacksnoten in der Schweiz lebende Nigerianer vermissen und welche sie in der Schweiz sehr schätzen. Ein für die Ausstellung gedrehter Werbeclip zeigt Afro-Schweizer die bei Fondue auf einer Berghütte mit Alphornbläsern anstoßen.

Die Ausstellung „Amuse-bouche” schafft es, eine ausgewogene Balance zwischen Offenheit für ein breites Publikum und kunsthistorischer Präzision zu halten. Die gezeigten Arbeiten sind in ihrer Bandbreite beeindruckend, die Aufteilung in Geschmacks-Kapitel schafft Stringenz. So hinterlässt die Ausstellung nicht nur ein Prickeln auf der Zunge, sondern auch auf der Seele.

Farah Al Qasimi: Lunch, 2018, Inkjetprint (Ausstellungskopie), Courtesy of the artist, The Third Line, Dubai and Helena Anrather Gallery, New York, © Farah Al Qasimi.

Abgerundet wird der Kunstgenuss im Museum Tinguely mit einem dichten Rahmenprogamm. Denn einige der Arbeiten können in speziellen Ausstellungsführungen und Performances auch tatsächlich gustiert werden. Probieren kann man an bestimmten Terminen die fein schmeckenden, essbaren Pflanzen im installativ-performativen Projekt „Hortus Deliciarum“ der Portugiesin Marisa Benjamim oder die aus Schokolade und Pfeffernüssen bestehenden monumentalen, partizipativen Werke der australischen Künstlerin Elizabeth Willing. Sauerkrautsaft mit dem Label „Brine and Punishment“ ist Teil der Rauminstallation von Slavs and Tatars, einem in Berlin lebenden und global agierenden Künstlerkollektiv. Einen ausführlichen Einblick in das Programm gibt es hier.

Außerdem ist im Hatje Cantz Verlag eine Publikation zum interdisziplinären Symposium Amouse-bouche erschienen. Der Band ermöglicht einen vielseitigen Einblick in zahlreiche Wirkungsfelder des Geschmacklichen im menschlichen Erleben und enthält Beiträge von namhaften internationalen Autor*innen aus Kunst- und Kulturgeschichte, aus natur- und geisteswissenschaftlichen Disziplinen und aus der Praxis.

WANN: Noch bis zum 17. Mai zu sehen.
WO: Museum Tinguely, Paul Sacher-Anlage 1, CH-4002 Basel.

Das Musuem Tinguely hat für diese Review die Kosten der Anreise des Autors übernommen.

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