Schweben im Übergang
Alvar Bohrmann bei zqm

24. März 2025 • Text von

Von einem Treppenhaus ins andere und wieder zurück: Alvar Bohrmanns Installation “in limbo” im Berliner Projektraum zqm visualisiert einen Zwischenzustand und eröffnet einen schwebenden Schutzraum, in dem die Zeit beinahe stillzustehen scheint. In einer Neuinterpretation verweist sie auf das Treppenhaus, das in den Ausstellungsraum führt. Willkommen im Übergang.

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Installationsansicht “in limbo” von Alvar Bohrmann bei zqm © Tony Haupt Photo.

Meine erste Begegnung mit den Kunstwerken von Alvar Bohrmann hatte ich während des alljährlichen Rundgangs an der Universität der Künste Berlin im letzten Jahr in der Klasse von Ina Weber. Deckenhohe ionische Säulen aus Handtüchern in zarten Pastelltönen erstreckten sich durch den Raum und zogen die Blicke der Besucher*innen auf sich. Mit ihren historischen Vorbildern aus Marmor hatten sie nicht mehr viel gemein, die Materialwahl hat irritiert und zugleich überhaupt nicht gestört. Das Spiel mit Material, Räumlichkeit und Leichtigkeit war unverkennbar. So auch in der jüngsten Arbeit des Künstlers.

Die neue Installation “in limbo” bezieht sich auf das in die Jahre gekommene, verstaubte Treppenhaus in einem Hinterhof in Berlin-Friedrichshain, das zum Projektraum zqm führt. Zwischen Spinnweben und abblätternder Farbe, die zunehmend von den Wänden bröckelt, finden sich grüne Lamellen unter den Treppenstufen. Ein Moment der Irritation folgt beim Betreten des Ausstellungsraums – ein Déjà-vu. Denn auch hier begegnen uns Treppenstufen und zarte, pastellfarbene Lamellen. Allerdings führen die Stufen hier in ein unbekanntes Nichts. Und begehbar sind sie auch nicht.

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Treppenhaus zqm © Tony Haupt Photo.

Die teilweise floral bestickten Tischdecken, die sich in der Installation wiederfinden und mit einer Maisstärkemischung gehärtet wurden, lassen nostalgische Gefühle aufkommen, ein warmes Gefühl wie bei Oma zu Hause macht sich breit. Gleichzeitig werden Kindheitserinnerungen wach an die Zeiten, in denen gemeinschaftlich Buden zum Verstecken gebaut wurden. Wer möchte, kann sich auf den Boden legen und die Konstruktion von unten betrachten. “in limbo” nimmt gefühlt einen Großteil der zwanzig Quadratmeter ein, jedoch ohne dabei zu erdrücken. Ganz im Gegenteil. Es werden Architekturen angedeutet, die so leicht wirken, dass sie zu schweben scheinen. Die Farbgebung des Raumes in hellem Weiß und Mint erinnert an ein Krankenhaus, ohne die damit verbundene Kälte und Sterilität zu vermitteln. Die Assoziationskette beginnt sofort.

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Installationsansicht “in limbo” von Alvar Bohrmann bei zqm © Tony Haupt Photo.

Der Titel “in limbo” bedeutet übersetzt “in der Schwebe sein”, hat aber mit dem Begriff “Limbus” seinen Ursprung in der katholischen Theologie, der umgangssprachlich für “Vorhölle” verwendet wird. In seiner englischsprachigen Anwendung löst sich der Begriff jedoch von seinem christlichen Kontext und bezieht sich vielmehr auf jenen diffusen Zwischenzustand, den Bohrmann uns vor Augen führt, das irgendwo dazwischen Hängen, das wir alle aus eigener Erfahrung kennen.

Wann geht es weiter und wohin eigentlich? Wo will ich hin und mit wem? Wo hört es auf? Das Leben steckt voller Unvohersehbarkeiten, voller Veränderungen und unerträglicher Zustände, die irgendwie ausgehalten werden müssen, voller leichter Momente, die uns fliegen und Kraft schöpfen lassen. Mit wem wir welche Wege gemeinsam gehen, auch das können wir nicht immer beeinflussen – manche Wegbegleiter*innen verlieren wir unterwegs, neue stoßen plötzlich dazu und strecken ihre Hand aus, wo wir keine vermutet haben.

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Installationsansicht “in limbo” von Alvar Bohrmann bei zqm © Tony Haupt Photo.

All das beschreibt “in limbo”. Und doch ist hier nichts beschwerlich. Trotz der raumgreifenden Fragilität des Konstrukts bietet die Arbeit einen unbedingt zu bewahrenden Schutzraum, einen ganz stillen Moment des Innehaltens, der unabhängig vom Konzept der Zeitlichkeit funktioniert. Eine Unterscheidung von Innen und Außen erscheint nichtig, gar überflüssig zu werden. Es ist, als hätte der Künstler für einen Moment auf Pause gedrückt.

“in limbo” von Alvar Bohrmann ist ein Schwebezustand, der sich zeitlich nicht einordnen und nie vollständig greifen lässt, er bewegt sich irgendwo im Dazwischen und das in einer Endlosschleife, ohne Anfang und ohne Ende. “in limbo” ist ein Aushalten. In ihrer fragilen und zarten Erscheinung transportiert die Installation eine Vielschichtigkeit von Bedeutungsebenen, Emotionen und Ambivalenzen, die untrennbar mit dem Leben verwoben sind. In ihrer Leichtigkeit liegt ihre Kraft, in ihrer Unvollkommenheit ihr Ziel. Wir befinden uns immer wieder in einem sich wiederholenden Übergang – kurz davor, den nächsten Schritt ins Ungewisse zu wagen.

WANN: Die Ausstellung “in limbo” läuft bis zum 12. April und kann am 6. April von 15 bis 18 Uhr oder nach Vereinbarung besichtigt werden. Die Finissage findet am 12. April von 16 bis 20 Uhr statt.
WO: zqm, Petersburger Straße 73, Seitenflügel 1. Stock , 10249 Berlin.

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