Eine Verbildlichung der Liebe Emphatische Formen des Miteinanders in der Alexander Tutsek-Stiftung
12. Februar 2025 • Text von Julia Anna Wittmann
Was ist Liebe? Sie drückt sich in kleinen Gesten und großen Worten aus; sie ist intim, einfühlsam und ungeschönt; sie ist komplex, vielschichtig und schwer zu fassen. Die Ausstellung “Love, Maybe – Intimität und Begehren in der zeitgenössischen Kunst” in der Alexander Tutsek-Stiftung versammelt Fotografien, multimediale Installationen und Arbeiten aus Glas von insgesamt 24 internationalen Künstler*innen.

Ein Bild von leuchtenden Engelsflügeln eröffnet die Ausstellung “Love, Maybe – Intimität und Begehren in der zeitgenössischen Kunst” in der Alexander Tutsek-Stiftung. Was im ersten Moment klischeebehaftet und kitschig erscheint, offenbart bei genauerer Betrachtung einen wortwörtlich neuen Blickwinkel auf eine Thematik, die wahrscheinlich so oft besprochen wurde wie keine andere und trotzdem für viele ein großes Mysterium bleibt: die Liebe.
Nan Goldins Fotografie “Cupid with his wings on fire, Le Louvre” zeigt eine ungewöhnliche Perspektive der berühmten Skulptur des mythologischen Liebespaares Amor und Psyche von Antonio Canova. Die dramatisch von einem Lichtstrahl erleuchteten Marmorflügel des Liebesgottes Cupid, auch Amor genannt, stehen im Zentrum des Bildes – ebenso wie sein Hintern.

Das von der Rückseite der Skulptur aufgenommene Foto gibt den Blick auf ein zärtliches Liebespaar frei, festgehalten im Moment ihrer Wiedervereinigung. In Goldins Bildausschnitt steht nicht die weibliche Protagonistin Psyche, sondern ihr männlicher Gegenpart Amor im Fokus einer erotisierenden und zugleich fast geschlechtslosen Abbildung.
Die Arbeit wird zum Ausgangspunkt einer Gruppenausstellung, die persönliche Einblicke in das vielschichtige Spektrum der Liebe gibt. In vier Kapiteln gegliedert und über zwei Stockwerke verteilt, versammelt die Kuratorin der Ausstellung, Jana Johanna Haeckel, zahlreiche Fotografien, multimediale Installationen und skulpturale Arbeiten aus Glas von insgesamt 24 internationalen Künstler*innen aus 13 Ländern.

Im ersten Kapitel der Ausstellung “Einander näherkommen: Intimität als gelebte Sensibilität” sind Arbeiten zu finden, die sensible Begegnungen und individuelle Zugänge zu Intimität offenlegen. Die Fotografien aus Oliver Frank Chanarins multimedialer Installation “The Apparatus” entstanden während der ersten Tage der Covid-19-Pandemie und zeigen vielschichtige Porträts seiner Frau Fiona Jane Burgess. Sie setzt sich abwechselnd provokant und weich, selbstsicher und verletzlich in Szene.
Welche der zahlreichen Fotografien an der Wand zu sehen ist, entscheidet nicht der Künstler selbst, sondern eine nach dem Zufallsprinzip gesteuerte Maschine, angelehnt an existierende Paketverteilungssysteme. Persönliche Einblicke in das Leben eines Paares werden zu austauschbaren Waren im Zeitalter des digitalen Kapitalismus.

© Alexander Tutsek-Stiftung, Foto: Felix Nürmberger, VG Bild-Kunst, Bonn 2025.
Das zweite Kapitel “Wer betrachtet? Den Blick erwidern” legt den Fokus auf Arbeiten, in denen voyeuristischen und restriktiven Blickregimen aufgelöst werden. Karla Hiraldo Voleau nimmt den Fernauslöser ihrer Kamera zur Hilfe, um selbst in die Rolle der Betrachterin zu schlüpfen. Die Künstlerin nutzt die Fotografie für eine radikale Auseinandersetzung mit ihrem eigenen Körper sowie ihrer persönlichen Geschichte. Ausgangspunkt für ihre Arbeit “You Can Have It All” war das Scheitern einer Liebesbeziehung. Dokumentarisch hält Voleau ihren Weg zur Selbstliebe und Selbstakzeptanz fest, indem sie sich selbst in den Mittelpunkt ihrer ehrlichen Porträts setzt.

Liebe und Intimität sind mehr als nur ein erotischer Aspekt des Begehrens. Akosua Viktoria Adu-Sanyah gibt den Besucher*innen einen intimen Einblick in ihre Beziehung zu ihrem erblindeten Vater. Ihre Werkserie “Resilience”, die im dritten Kapitel “Un/Sichtbar: Fürsorgliche Körper” zu sehen ist, begleitet den familiären Alltag zwischen Hoffnung und Verzweiflung.
Das letzte Kapitel “Queeres Begehren” schließt den Kreis, der zu Beginn der Ausstellung mit Nan Goldins Arbeiten eröffnet wurde. Künstler*innen wie Matthieu Croizier, Libuše Jarcovjáková oder Paul Mpagi Sepuya setzen in ihren Fotografien queeres Verlangen sowie tabuisierte und marginalisierte Liebe in Szene.

Die Arbeiten in der Ausstellung “Love, Maybe – Intimität und Begehren in der zeitgenössischen Kunst” in der Alexander Tutsek-Stiftung lesen sich wie ein Plädoyer für die Liebe – für die schönen und unschönen Seiten, für ein empathisches und liebevolles Miteinander. Liebe ist erotisch und intim, sie ist freundschaftlich und familiär. Die vielschichtigen Arbeiten in der Gruppenausstellung ermöglichen eine visuelle Spurensuche nach einem Gefühl, das niemand missen sollte und von dem wir etwas mehr in unserer Gesellschaft bräuchten.
WANN: Die Ausstellung “Love, Maybe – Intimität und Begehren in der zeitgenössischen Kunst” ist noch bis zum 17. Juli zu sehen.
WO: Alexander Tutsek-Stiftung, Georg-Muche-Straße 4, 80807 München.