Wie steht's um die Fotografie? Ein Gespräch mit Maren Lübbke-Tidow über den EMOP Berlin
3. März 2025 • Text von Carolin Kralapp
In Berlin ist der European Month of Photography in die 11. Ausgabe gestartet. Wir wollen wissen: Wie steht’s eigentlich um die zeitgenössische Fotografie in der Hauptstadt? Mit der künstlerischen Leitung Maren Lübbke-Tidow von Kulturprojekte Berlin haben wir über das Programm der diesjährigen Ausgabe und die zentrale Festivalausstellung in der Akademie der Künste gesprochen.

gallerytalk.net: Zum Einstieg – was ist der European Month of Photography, kurz EMOP, eigentlich, seit wann findet er statt und welche Bedeutung hat er für den Standort Berlin?
Maren Lübbke-Tidow: Der European Month of Photography feiert diesen Monat seine 11. Ausgabe. Das Festival, das alle zwei Jahre in Berlin stattfindet, blickt auf eine 22-jährige Geschichte zurück. Fotografiefestivals haben in Europa und weltweit eine lange Tradition, auch wenn die Fotografie in Kunstinstitutionen lange Zeit wenig Anerkennung fand. Seit den 1970er-Jahren sind viele Fotografiefestivals entstanden, die als Diskursplattformen für das Medium dienten.
Der EMOP Berlin ist ein Beteiligungsfestival: Neben unserem Festivalteam und eigenen Programmen – wie der zentralen Festivalausstellung, den EMOP Opening Days und weiteren EMOP Specials – rufen wir Institutionen und Künstler*innen durch einen Open Call dazu auf, sich mit eigenen Projekten zu beteiligen. In diesem Jahr haben wir mit über 170 Einreichungen einen Rekord verzeichnet. Eine Jury, bestehend aus dem Künstler Akinbode Akinbiyi, der Kunstkritikerin Mira Anneli Naß, dem Galeristen Thomas Fischer und mir, hat rund 100 Ausstellungen ausgewählt. Diese Ausstellungen bilden das Herzstück des Festivals und sind in der ganzen Stadt zu sehen.

Das Thema der diesjährigen Ausgabe lautet “what stands between us” – “was zwischen uns steht”. Wie kam es zu diesem finalen Leitmotiv?
Fotografie ist ein mächtiges Medium, das eng mit der Realität verknüpft ist – trotz der allgegenwärtigen Fake News. Auch wenn wir Bildern nicht immer vertrauen können, nutzen wir sie, um über unsere Wirklichkeit zu kommunizieren. Ein Fotofestival sollte die Gegenwart widerspiegeln und auf aktuelle Konflikte aufmerksam machen. Deshalb habe ich das Thema “what stands between us” gewählt, um auf die unübersehbaren Trennlinien hinzuweisen und gleichzeitig einen Dialog zu fördern. Es geht nicht nur darum, Konflikte zu benennen, sondern auch darum, aktiv an ihrer Lösung zu arbeiten. Im Vergleich zum Leitmotiv “Touch” vor zwei Jahren, das auf die Sehnsucht nach persönlicher Begegnung nach der Pandemie hinwies, richtet sich der Fokus jetzt auf das, was uns trennt – eine Einladung, Konflikte anzusprechen und zu bearbeiten.
Sind wir zwei Jahre später gesellschaftlich wieder weiter auseinandergerückt, und spiegelt sich das in den Arbeiten wider?
Ich glaube, dass wir in der aktuellen politischen Lage eine gesellschaftliche Desintegration erleben, mit wachsender Emotionalisierung und Polarisierung. Gleichzeitig zeigt sich in Berlin eine starke Demonstrationskultur, die den demokratischen Zusammenhalt betont. Doch angesichts der globalen Entwicklungen scheint vieles ins Wanken zu geraten. Ob wir uns auf zwischenmenschlicher Ebene weiter entfremden, ist schwer zu sagen, aber global gesehen driften die Kräfte schon auseinander.
Was die Fotografie betrifft, finde ich es interessant, dass 80 Prozent der teilnehmenden Partnerinstitutionen das Leitmotiv des EMOP Berlin aufgegriffen haben – trotz der freiwilligen Teilnahme. Das zeigt, dass viele Künstler*innen das Medium nicht nur zur Darstellung nutzen, sondern es kritisch und reflexiv einsetzen. Sie stellen Fragen, anstatt sofort Antworten zu liefern, und unterscheiden sich damit vom unmittelbaren Konsum von Bildern, wie etwa in sozialen Medien. Der Ausstellungsraum bleibt ein Ort, an dem Fotografien aus verschiedenen Perspektiven betrachtet und hinterfragt werden.

Was erwartet die Besucher*innen in der zentralen Festivalausstellung für Arbeiten und Auseinandersetzungen?
Die Nachbar-Ausstellung “Ein Dorf 1950-2022. Ute Mahler, Werner Mahler und Ludwig Schirmer” in der Akademie der Künste dokumentiert 70 Jahre eines thüringischen Dorfes. Dieser mikroskopische Blick inspirierte mich, auch in der EMOP Berlin Ausstellung nach kleineren, persönlichen Erzählungen zu suchen. In “was zwischen uns steht” sind 20 Künstler*innen vertreten. Künstler*innen wie Simon Lehner, der sich mit der Beziehung zu seinem abwesenden Vater auseinandersetzt, oder Susanne Keichel, die Schüler*innen aus prekären Verhältnissen porträtiert, zeigen, wie kleine Geschichten größere gesellschaftliche Themen aufgreifen. Cana Bilir-Meier spricht über ihre Migrationsgeschichte und persönliche Rassismuserfahrungen, was zu einem größeren Diskurs führt. Beate Gütschow dokumentiert in ihrer Arbeit die Klimakrise und verbindet lokale Beobachtungen mit globalen Themen.
Ein weiteres Beispiel ist die Künstlerin Yevgenia Belorusets aus Kiew. Bekannt geworden durch ihr Kriegstagebuch, dokumentiert sie seit der Maidan-Bewegung und der Krim-Annexion die Auswirkungen der russischen Besetzung auf die Ukraine. In der Ausstellung zeigt sie eine Arbeit, in der sie junge Männer begleitet, die sich vor dem Kriegsdienst verstecken und in die Wälder zurückgezogen haben. Statt Zerstörung zu zeigen, fokussiert sie sich auf Details und setzt bewusst Unschärfe ein, um ihre Position als Fotografin zu reflektieren und die Identität der abgebildeten Personen zu schützen.

Mikrogeschichten lassen viel Raum für eigene Gedanken und ein Weiterdenken dessen, was wir sehen. Auf der anderen Seite gibt es aber auch sehr explizite Bilder vom Krieg. Zeigen Sie auch etwas zum Krieg in Nahost?
Wir zeigen auch eine Arbeit, die Bezug auf Israel und Palästina nimmt. Die ersten Ideen für das Leitmotiv und diese Ausstellung entstanden bereits vor dem 7. Oktober 2023. Nach intensiven Überlegungen haben wir uns bewusst entschieden, keine Bilder des Krieges zu zeigen, sondern eine Soundarbeit, die von einer israelischen Fotografin und einer palästinensischen Heilerin, von Ilit Azoulay in Kooperation mit Maisoun Karaman, gemeinsam geschaffen wurde. Sie versucht, unterschiedliche Stimmen aus der Region einzufangen. Zudem präsentieren wir Texte von israelisch-palästinensischen Friedensgruppierungen.
In dieser Arbeit sehen wir jedoch keine Fotos.
Ich lasse mir das gerne vorwerfen, aber ich halte die Arbeit für sehr gut. Vielleicht ist auch noch nicht genug Zeit vergangen. Erst gegen Ende der Vorbereitung fand ich eine Arbeit eines palästinensischen Fotografen, die ich gerne gezeigt hätte, doch der Zeitpunkt für die Aufnahme in die Ausstellung war leider schon verstrichen.

Gibt es beim EMOP Berlin 2025 allgemein eine Position, die Sie besonders bewegt und einnimmt?
Ein junger Künstler, Felipe Romero Beltrán, hat mich besonders bewegt. Er selbst kam als Geflüchteter nach Europa und fotografierte über mehrere Jahre Jugendliche in Geflüchtetencamps. Seine Arbeit hat mich beeindruckt, sowohl wegen seines Engagements als auch der ästhetischen Qualität der Bilder. Er zeigt diese Jugendlichen in ihrem Alltag – beim Sport, beim Frisieren oder mit Handys – und fängt ihre Schönheit ein. Gleichzeitig spiegeln die Bilder auch ihre traumatischen Erfahrungen wider, etwa durch Reenactments, die an das Tragen eines toten Körpers erinnern. Diese subtile Verbindung aus Schönheit und Schmerz hat mich tief berührt. Seine Arbeiten sind in der Galerie Klemms zu sehen.
Zu Beginn wurde bereits erwähnt, dass der Fotografie viel Vertrauen entgegengebracht wird. Gleichzeitig gibt es jedoch moderne Technologien wie KI, die Fakes erzeugen, und soziale Medien, die diese verbreiten. Wie fügt sich dieses Thema in den EMOP Berlin ein?
Fotografische Manipulation, Propaganda und Bildveränderungen sind so alt wie das Medium selbst. Natürlich gibt es derzeit eine Revolution durch Virtual Reality und KI, die auch in einigen Ausstellungen, wie zum Beispiel Ayoung Kim im Hamburger Bahnhof, thematisiert wird. Auch in der Akademie der Künste kommt KI vor, wie bei Simon Lehner, dessen Arbeiten Familienbilder in Avatare umwandeln. Lehner nutzt sie, um über Familie und seine eigene Rolle im System nachzudenken – eine Art Familienaufstellung im virtuellen Raum.

Für diejenigen, die eine kleine Orientierungshilfe beim Durchstöbern des umfangreichen Programms gebrauchen können – welche Highlights gibt es im März?
Nachdem die EMOP Opening Days bereits vorbei sind, möchte ich besonders auf die Open Debate am 22. März hinweisen, die mit Yevgenia Belorusets, Jonas Höschl, Eric Meier und Marina Napruskina im Festivalzentrum der Akademie der Künste stattfindet. Die Diskussion dreht sich um die Frage: “Wohin driftet Europa? Wie Künstler*innen den Krisen der Gegenwart begegnen”. Ein weiteres Highlight ist das EMOP Special: Sechs Berliner Ausbildungsinstitutionen präsentieren gemeinsam die Ausstellung “Meet me Halfway” in der Leipziger Straße, kuratiert von Marie-Luise Mayer. Es ist wichtig, den Studierenden einen eigenen Raum zu geben und ihre Stimmen zu hören. Gerade in einer so krisenhaften Gegenwart sollten wir genau darauf achten, was junge Fotograf*innen bewegt.
WANN: Der European Month of Photography läuft bis zum 31. März. Die Festivalausstellung “was zwischen uns steht. Fotografie als Medium der Chronik” ist bis zum 4. Mai zu sehen.
WO: Akademie der Künste, Hanseatenweg 10, 10557 Berlin und an vielen weiteren Orten in Berlin.
Das vollständige Programm des EMOP Berlin findet ihr hier.
Maren Lübbke-Tidow arbeitet als Autorin, Kritikerin und Kuratorin in Berlin. Ihr Hauptaugenmerk gilt der zeitgenössischen Fotografie und ihren Erscheinungsweisen in den visuellen Künsten. Seit 2021 verantwortet sie als Künstlerische Leiterin bei Kulturprojekte Berlin das biennale Fotofestival European Month of Photography in Berlin.