Appell an die Selbstwirksamkeit Adrian Piper im Portikus
13. Januar 2025 • Text von Anna Marckwald
Adrian Piper präsentiert im Frankfurter Portikus zwei neue ortspezifische Installationen, die subtil Fragen nach der eigenen Identitätsbildung und Verantwortlichkeit anstoßen. Besuchenden wird dabei wortwörtlich der Spiegel vorgehalten, Eskapismus Fehlanzeige. Macht die Ausstellung „Who, Me?“ aus passiven Betrachter*innen handelnde Subjekte?

Man müsse einfach hineingehen, herumlaufen, schauen, zuhören, lesen und riechen. Wenn man geduldig und bereit sei, auf mehreren Kanälen zu empfangen und danach darüber nachdenke, werde sich irgendwann alles zusammenfügen, erwiderte Adrian Piper 2018 in einem Interview mit der Zeitschrift „Frieze“ auf die Frage nach der zentralen Message einer kurz zuvor eröffneten Ausstellung in der Berliner Akademie der Künste. Exemplarisch manifestiert sich in der Aussage Pipers Vertrauen in die subjektive Wahrnehmung und Verantwortung des Einzelnen jenseits didaktischer Handreichungen oder oktroyierter universeller Bedeutungen.
Betrachter*innen werden im Werk der Pionierin der Konzeptkunst stets als mündige, mehr noch, als aktive Teilnehmer*innen begriffen. Erst durch ihre Präsenz, so Piper, würden sich die Werke entfalten. Dass Immanuel Kant eine zentrale Rolle in ihrem Oeuvre, wie auch in ihren akademischen Forschungen zukommt, mag daher nicht verwundern. Die Lektüre von Kants „Kritik der reinen Vernunft“ als 19-jährige junge Künstlerin beschreibt sie als Schlüsselmoment, der sie letztlich dazu bewog Philosophie zu studieren.

Nach der Promotion in Harvard lehrte sie an diversen amerikanischen Universitäten. 2008 erschien ihr Hauptwerk „Rationality and the Structure of the Self“, als Resultat von Pipers über dreißig Jahre andauernden Forschungen zur Kant’schen Metaethik. Die Herausbildung des Selbst und seines Bewusstseins stellt einen zentralen Ausgangspunkt ihrer sich gegenseitig befruchtenden philosophischen und künstlerischen Arbeit dar. So auch in Frankfurt.
Bereits das obligatorische Hineingehen gestaltet sich beim Besuch des Portikus im Rahmen von Pipers Ausstellung jedoch als Herausforderung. Wo einst der Zugang in die hohe Halle, den zentralen Innenraum des charakteristischen, spitzgiebeligen Gebäudes auf der Maininsel, lag, befindet sich nun eine verschlossene, klinkenlose Tür. Einzig die schmale linksseitige Wendeltreppe verspricht Eintritt in die Ausstellungsräumlichkeiten, ein Schriftzug verweist auf das Ober- und Untergeschoss.

Erklimmen Besucher*innen diese gen Empore, blicken sie, oben angekommen, aus der Vogelperspektive auf eine raumgreifende Installation: Majestätisch schwebt ein Baum horizontal in einem neu eingezogenen Innenraum über spiegelverkleidetem Boden. Vier Stahlseile tragen den Koloss, der seine verästelte Wurzel Richtung Eingang reckt und trotz seiner beeindruckenden Dimensionen schwerelos, irgendwie erhaben scheint. Seine Zweige streifen sanft die weißen Seitenwände, scheinen noch leise gegen die neue Gefangenschaft zu protestieren.
Extrahiert aus seinem natürlichen Umfeld und dem ihn nährenden Boden entrissen wirkt der tote Baum wie ein kostbares Relikt einer vergessenen Zeit. Aufbereitet und inszeniert gleich dem bei einer Ausgrabung entdeckten Skelett einer seltenen Spezies, wandelt sich auch das vertraute Bild des Baumes; wächst über sich selbst hinaus. Ein schmaler Gang säumt den Rand des übergroßen Schaukastens und ermöglicht eine allansichtige Perspektive: In der Spiegelung legen sich die Projektion der von Oberlichtern durchsetzten Betondecke, die des Baumes und die eigene übereinander.

„I’m the Tree“ heißt die eigens für den Portikus geschaffene Arbeit, ein Titel der umgehend Assoziationsketten anstößt. Gemeinsam mit dem Ausstellungstitel „Who, Me?“ eröffnet er eine Art Zwiegespräch, das sich auf Besucher*innen übertragen mag. Titel wie Installation stoßen Fragen nach der menschlichen Existenz im Anthropozän ebenso an, wie philosophische Überlegungen hinsichtlich der Fluidität der eigenen Identität und der Autonomie über diese.
Piper, deren frühes Werk insbesondere die auf sie projizierten Zuschreibungen als Frau und oftmals weiß gelesene Person of Colour reflektierte, ist eine Meisterin der Selbstbestimmung in Sachen Identität. In den frühen 1970er Jahren lief sie als Schwarze männliche Person mit Schnauzbart und Afroperücke verkleidet durch Amerikas Straßen und performte, Vorurteilen folgend, Aggression und Machismus. Auf die Aktion „The Mythic Beeing“ folgten Arbeiten wie „Self-Portrait Exaggerating My Negroid Features” von 1981 und „Self-Portrait as a Nice White Lady“ von 1995. Immer wieder inszenierte sie klassistische, sexistische und rassistische Stereotype am eigenen Körper und befreite sich, indem sie selbst entschied, zugleich von diesen.

Dass Adrian Piper sich nun als Baum entwirft ist gewiss nicht zu wörtlich zu nehmen. Dennoch fügt das Bild sich bestens in ihr Werk. Der Baum vereint sichtbare und unsichtbare Teile in sich, Äste, die sich dem Himmel entgegenstrecken, und weit verzweigte Wurzeln, die sich tief in die Erde bohren: Autonomie und Verbundenheit. In der Spiegelung des nackten Baumes samt seiner Wurzel, losgelöst von Kontext und Ursprung birgt sich eine Geste unendlicher Freiheit, aber auch ein Akt der Selbstbefragung — das vermittelt der Titel der Arbeit ganz eindeutig. Besucher*innen, die in der Projektion unwillkürlich Teil der Installation werden, können sich davon nur schwer ausnehmen. Wie ein behutsamer Schubser Richtung Selbstreflexion initiiert „I’m the Tree“ ein Nachdenken über die Bedeutung des Selbst, etwa zwischen Eigenverantwortung und Kodependenz.
Im Untergeschoss des Portikus wird der Schubser dann noch expliziter: Besucher*innen finden sich in einem sterilen Konferenzraum wieder, der den Anschein macht, soeben erst geräumt worden zu sein. Schwarze Stühle reihen sich aneinander, allesamt in Richtung eines Podiums blickend, neben dem ein Projektor ein leeres Lichtquadrat auf eine Leinwand wirft. Auch hier sind die Wände spiegelverkleidet, werfen den suchenden Blick unmittelbar zurück und offenbaren performative Verhaltensweisen in dem von normativen Ordnungen und Hierarchien durchzogenen Setting. Die Konfrontation mit sich selbst wird endgültig unumgänglich.

Der Raum birgt keine Spuren davon, wer hier getagt, was hier stattgefunden hat. Vielmehr inszeniert Pipers Installation „I’m the Screen“ ihn als leere Hülle, die mit Erwartungshaltungen und einer vermeintlichen Bring-Schuld von Kunst und Künstlerin bricht. Das Ausbleiben von Information wie Unterhaltung wirft Anwesende auf sich selbst zurück. Die eigene Präsenz, das eigene Handeln und die Reflexion darüber wird zum eigentlichen Inhalt der Arbeit.
In einem Zitat, das den Ausstellungstext einleitet, beschreibt Adrian Piper ihre Werke als Resultate der Externalisierung und Verdinglichung ihrer Gedanken. Freigelegt und offenbart sei ihnen dennoch keine unmittelbar feststehende Bedeutung eingeschrieben. Eher bietet Piper sie der Außenwelt als Projektionsflächen für individuelle und kollektive Erkenntnisse an, die Schnittmengen mit ihren eigenen bilden mögen, oder eben auch nicht. Die Ausstellung im Portikus fungiert so als Kommunikationsbrücke zwischen Künstlerin und Besucher*innen, als Rahmen des Austauschs mit Adrian Piper und ihrem Denken — vor allem aber für den Austausch mit sich selbst.
WANN: Die Ausstellung “Who, Me?” läuft noch bis Sonntag, den 9. Februar.
WO: Portikus, Alte Brücke 2 / Maininsel, 60594 Frankfurt am Main.