Absorbierende Atmosphäre Anna Goetz über performative Begegnungen
4. Oktober 2019 • Text von Jette Büchsenschütz
Wenn Betrachter und Werk an Distanz verlieren, tritt die Frage nach der Handlungsmacht in den Vordergrund. Objekt und Subjekt bedingen sich in der von Anna Goetz kuratierten Ausstellung „Stages of Maneuvers“ und es ist unklar: Wer beeinflusst hier wen?
gallerytalk.net: Wir sind umgeben von einem hyperzirkulierende Strom von Bildern, Daten, Geld und Bedeutungen. Was interessiert Dich am Aspekt der Zirkulation?
Anna Goetz: Im Zentrum steht für mich die Frage, welche Informationen in Umlauf gebracht werden und in welcher Form. Diese Selektion beeinflusst unser individuelles sowie unser kollektives Selbstverständnis und wird als machtvolles, meinungsbildendes Instrument verwendet. Ich interessiere mich in diesem Kontext für die Überforderung, die Überwältigung und die Überfrachtung durch Informationen, die kontinuierlich auf uns einwirken und von uns verarbeitet werden wollen. Vor diesem Hintergrund war es für mich wichtig, eine Ausstellung zu kuratieren, die den Ausstellungsraum nicht als White Cube nutzt, sondern eine Umgebung schafft – eine Situation, mit der die Betrachter*innen konfrontiert werden. In diesem Sinne waren für mich performative Aspekte bedeutend.
Ist deshalb der gesamte Fußboden der Galerie mit einer Arbeit von Claire Fontaine tapeziert, die die Besucher*innen zwangsläufig betreten müssen, wenn sie in die Galerieräume eintreten?
Genau. Claire Fontaine hat diese Arbeit bereits in der Vergangenheit in ähnlicher Form realisiert. Immer haben sie eine aktuelle Ausgabe einer eher linksliberalen, nationalen Tageszeitung ausgewählt – hier die Wochenendausgabe vom 1. September des Standards – und mit dieser den gesamten Fußboden der Ausstellungsräume tapeziert. Die Tageszeitung fungiert hier als ein Spiegel der Gegenwart und zeigt wie diese in aktuellen, lokalen Medien vermittelt und diskutiert wird. Mir war wichtig, dass diese Ausstellung ganz konkret auf die Realität außerhalb der Galerie Bezug nimmt. Sie soll das reflektieren und darstellen, was uns beschäftigt und ausmacht. Die Besucher*innen bewegen sich auf der Zeitung wie auf einer Bühne und werden so Teil der Ausstellung. Die Zeitung ist Bühne aber zugleich auch Hintergrund dessen, was in der Ausstellung sonst passiert – man kann ihr, wie der Informationsflut, die uns tagtäglich umgibt, nicht entkommen.
Neben uns gleitet eine goldene Klangwolke, eine Arbeit von Gabriella Torres-Ferrer. „We Are All Under The Same Sky“ besteht aus zusammengeklebten Rettungsdecken, deren Oberfläche bearbeitet wurde und die mit Helium gefüllt wurden. Auch sie interagiert mit den Besucher*innen.
Die Arbeit reagiert auf unterschiedlichen Ebenen auf die Besucher*innen und die räumlichen Bedingungen. Einerseits ist die Form der Wolke abhängig von der räumlichen Umgebung – von der Feuchtigkeit, dem Luftdruck, der Wärme des Raumes und eben der Präsenz der Besucher*innen. Andererseits ist die Wolke mit einem Bewegungsmelder versehen, der alle Aktivitäten, die im Raum stattfinden registriert. Diese registrierten Bewegungen aktivieren eine Serie von Tönen; Soundfragmente, die alle im Zusammenhang der Registrierung und Speicherung von Daten im Internet stehen. Das zentrale Thema der Künstlerin ist Social Profiling. Inwiefern werden die Informationen, die wir im digitalen Raum hinterlassen, verwertet? Inwiefern bestimmt diese digitale Spur, die wir hinterlassen, die Informationen, die uns wiederum erreichen? Wie wird dadurch unser Konsumverhalten beeinflusst? Bei allen Arbeiten hier spielt Kontrolle sowie auch Präsenz eine entscheidende Rolle – wobei Präsenz als registrierte Anwesenheit zu verstehen ist.
In welchem Verhältnis stehen diese beiden Rauminstallationen zu der Videoinstallation „Theater of Operation (or The Golf War Seen form Puerto Rico)“ von Alia Farid, die am Ende der Raumes in der Ecke und über den Köpfen der Betracher*innen angebracht wurde?
Die Hängung der Arbeit ist hier entscheidend: sie erinnert daran, wie Fernseher in Pubs oder Sportcafés in der Ecke und über den Köpfen der Gäste installiert werden, um das Fernsehprogramm, oftmals Nachrichten, als Dauerbeschallung im Hintergrund laufen lassen zu können. Auch Alia Farids Arbeit nimmt akustisch den gesamten Raum ein. Man ist ihr ähnlich wie Claire Fontaines Bodeninstallation ausgesetzt und kann sich dem konstanten Informationsgebrabbel nicht entziehen. Das Video zeigt eine Collage aus Fernsehaufnahmen, die im US-Territorium Puerto Rico im Jahr 1991 ausgestrahlt wurden. Nachrichtensendungen über die irakische Invasion in Kuwait werden vermischt mit Ausschnitten aus einer Art Reality Show über von Kuwait nach Puerto Rico geflüchtete Familien, darunter auch die Familie der Künstlerin. Vermeintlich objektive Berichterstattung – wobei die Objektivität in Frage zu stellen ist, da Puerto Rico ein von den USA eingenommenes Territorium ist – und redaktionell aufbereitete, subjektive Familienerinnerungen verweben sich zu einer ganz eigenen Narration, die Fragen nach den ihr zugrundeliegenden politischen Mechanismen aufwirft. Gleichzeitig wird vorgeführt, wie mediale Berichterstattung als meinungsbildendes Instrument verwendet wird.
Politische Meinungsbildung bringt uns zu Georgia Sagris Arbeit. Sie spielt mit der Ästhetik politischer Werbung.
Georgia Sagri arbeitet oft mit performativen Elementen, sei es aktiv performend oder installativ mit performativen Mitteln spielend. Ihre Arbeiten sind politisch engagiert. Die hier gezeigten Skulpturen sind über den Ausstellungsraum verteilt und agieren durch ihre Positionierung als subtiles Leitsystem durch die Ausstellung. Die Arbeiten orientieren sich auf formaler Ebene an Wahlkampfwerbungen, wie sie in den Straßen Athens zu finden sind. Georgia Sagri interessiert sich für den Deklarationscharakter dieser Schilder. Die Skulpturen sind dabei absichtlich hoch installiert, sodass man als Besucher*in einen gewissen Aufwand betreiben muss, um sie betrachten, beziehungsweise lesen zu können.
Alle hier ausgestellten Objekte scheinen nach einer Positionierung der Betrachter*in zu verlangen.
Genau, alle Arbeiten tragen auf unterschiedliche Weise performative Aspekte in sich und schaffen so gemeinsam eine Umgebung, in die man absorbiert wird.
WANN: “Stages of Maneuvers” läuft noch bis zum 25. Oktober und ist Dienstag bis Samstag von 12 bis 18 Uhr geöffnet.
WO: Gianni Manhattan, Wassergasse 14, 1030 Wien