Zusammenleben neu denken "A World in Common" im C/O Berlin
19. Februar 2025 • Text von Carolin Kralapp
“A World in Common” im C/O Berlin präsentiert mit 23 Künstler*innen einen vielschichtigen Blick auf Afrika. Die Vielfalt von 54 Ländern macht es unmöglich, “die eine Geschichte” der afrikanischen Fotografie zu erzählen. Dennoch versucht die Ausstellung, die westliche Sichtweise zu hinterfragen und eine inklusivere, breitere Erzählung des Kontinents aufzuzeigen. Das schauen wir uns genauer an.

Fotografie aus Afrika – eine ziemlich verallgemeinernde Bezeichnung, oder? Mit 54 Ländern und bis zu 3000 Sprachen und Völkern ist Afrika der drittgrößte Kontinent der Erde. Es ist daher unmöglich, “die eine Geschichte” der afrikanischen Fotografie zu erzählen. Die Ausstellung “A World in Common” im C/O Berlin zeigt derzeit 23 künstlerische Positionen und wagt den Versuch, zu einer Neudefinition Afrikas in der Welt beizutragen, eine umfassendere, inklusivere Geschichte des Kontinents zu erzählen und von der westlichen Perspektive abzurücken.
Dabei sollten die Besucher*innen stets im Hinterkopf behalten, dass es sich auch hier nur um einen kleinen Ausschnitt im Bereich der Fotokunst handelt und jede Kuration, in diesem Fall von Osei Bonsu, Kurator für internationale Kunst an der Tate Modern, und Cale Garrido, Gastkuratorin der C/O Berlin Foundation, immer auch eine Richtung vorgibt – das gilt für jede Ausstellung, die wir uns anschauen. Zu sehen sind in “A World in Common” fotografische Arbeiten von Künstler*innen aus Angola, Äthiopien, Eritrea, der Demokratischen Republik Kongo, Madagaskar, Marokko, Mosambik, Südafrika, Südsudan und mehr.

Von Monarch*innen, Selbstporträts, Familiendarstellungen, Traditionen bis hin zu queeren Perspektiven und Identitäts- und Zukunftsfragen bearbeitet die Ausstellung ein breites Themenfeld. Sie ist in drei große Kapitel unterteilt: Identität & Tradition, das sich mit König*innen, Göttern, Spiritualität und der Bedeutung von Masken beschäftigt, Gegenerzählungen und Zukunftsentwürfe.
In seiner Serie “Nigerian Monarchs”, die gleich nach Eintritt in die Ausstellung zu sehen ist, porträtiert George Osodi König*innen in majestätischen Posen und mit royalen Insignien wie zeremoniellen Gewändern, mit Perlen besetzten Kopfschmuck und Halsketten, Zeptern und Thronen ausgestattet in und vor ihren Palästen. Sie alle gehören verschiedenen ethnischen Gruppen der Region an und haben infolge der britischen Besetzung des Landes allmählich ihre Macht verloren. Osodi erhebt die Protagonist*innen seiner Serie zu Hüter*innen und Repräsentant*innen des kulturellen Erbes und der Gemeinschaft und setzt sich gleichzeitig kritisch mit der Kolonialherrschaft Nigerias auseinander.

Die Künstlerin Lebohang Kganye fügt sich in einer Serie in Szenen aus dem Leben ihrer Mutter ein. In ähnlicher Kleidung und Gestik setzt sie sich neben ihre Mutter, um sich nach deren Tod wieder verbunden zu fühlen. Mutter und Tochter erscheinen in den Bildern fast wie Geister, was Fragen zu Realität, Fiktion, Familienähnlichkeiten und Erinnerungen aufwirft. Familienporträts zeigen Sehnsüchte und Ideale, die tief verankert sind, und werden zu Konstruktionen. Fotoalben werden zu arrangierten Fiktionen, die es zu bewahren gilt. Am Ende bleibt eine subjektive Neuzusammensetzung von Familie und Erinnerung.
Den Glamour der Mode in den Straßen von Marrakesch fängt Hassan Hajjaj mit seiner Kamera ein. Seit Jahren begleitet er eine Gruppe von Frauen – die “Kesh Angels”, eine Mischung aus “Hell’s Angels” und “Marrakesch”. Mit ihren farbenfrohen, detailreichen Djellabas und Schleiern treten sie selbstbewusst, stolz und unabhängig auf. Die Betrachter*innen werden von den selbstsicheren und erhabenen Posen regelrecht eingenommen. Eingerahmt werden die Fotografien von ebenso farbenfrohen Alltagsgegenständen, von Dosen und Flaschen, die die Faszination für regionale Formen, Farben und Muster des Künstlers unterstreichen.
Atong Atem, in direkter Nachbarschaft zu Hajjajs Werken gezeigt, lebt und arbeitet in Australien und porträtiert im Fotostudio Freund*innen und Bekannte, die wie sie selbst zur afrikanischen Diaspora in Australien gehören. In ihrer Serie vollzieht sie einen Perspektivwechsel: Die Protagonist*innen tragen Kleidung aus bedruckten Stoffen, die mit Perlen und australischen Ornamenten verziert sind – der ethnografische Blick wird umgekehrt. Die Porträts dienen der Wiederaneignung und schaffen gleichzeitig einen Moment der Selbstliebe, um die eigene kulturelle Identität zu feiern.

Im abschließenden Kapitel zu Zukunftsvisionen zeigt und erkundet die Serie “The Stranger’s Notebook” von Dawit L. Petros geografische, historische und kulturelle Grenzen. Die Fotos entstanden während seiner Reisen von Afrika nach Westeuropa, bei der er sich mit der Geschichte der Migration und den Erfahrungen von Migrant*innen, Geflüchteten und Asylsuchenden auseinandersetzte. Petros fotografiert Menschen, die einen Spiegel in die Landschaft halten, in dem sich Küstenlinien, Bahngleise und Stromleitungen widerspiegeln. Als “Fremder” in diesen Regionen nimmt er seine Kompositionen aus der Ferne auf und untersucht die kolonialen historischen und politischen Grenzen, die noch immer die Migration prägen.
Die Ausstellung “A World in Common” zeigt die Vielschichtigkeit Afrikas und den kulturellen Reichtum des Kontinents. Sie thematisiert die Folgen der Kolonialgeschichte und stellt die Stärke der Künstler*innen und Protagonist*innen in den Mittelpunkt, die ihre Identität und Kultur bewahren und weitertragen. Die Ausstellung geht dabei nicht von einer Opfererzählung aus, sondern eröffnet eine alternative Sichtweise. Sie verdeutlicht, dass Migration ein Teil menschlicher Geschichte ist, der verbindet. In einer Welt, die von Austausch und Vielfalt profitiert, erinnern uns die Werke daran, die Schönheit unterschiedlicher Kulturen zu feiern und verschiedenen Perspektiven Raum zu geben.
WANN: Die Ausstellung “A World in Common” läuft bis zum 7. Mai.
WO: C/O Berlin, Hardenbergstraße 22-24, 10623 Berlin.
Begleitend zur Ausstellung könnt ihr die Playlist “Awesome Tapes from Africa“ hören.
Künstler*innen: Kelani Abass, Atong Atem, Malala Andrialavidrazana, Edson Chagas, Kudzanai Chiurai, Rotimi Fani-Kayode, Maïmouna Guerresi, Hassan Hajjaj, Délio Jasse, Julianknxx, Samson Kambalu, Kiripi Katembo, Lebohang Kganye, Mário Macilau, Sabelo Mlangeni, Santu Mofokeng, Fabrice Monteiro, Aïda Muluneh, Wura-Natasha Ogunji, George Osodi, Dawit L. Petros, Zina Saro-Wiwa und Khadija Saye.