9 to 5 mit Cathrin Hoffmann Zoom-Calls, Supermarkt-Essen, schlaue Bücher
13. März 2025 • Text von Anna Meinecke
Ich habe mich ins Atelier von Cathrin Hoffmann eingeladen – nicht für ein Interview, sondern zum Co-Working. Abstrakte Fragen zur künstlerischen Praxis sind verboten. Dafür können wir klären, wieso man Hoffmann auf Fotos so oft in Bordeauxrot sieht.

Die Pfütze im Hof ist gefroren, im Atelier von Cathrin Hoffmann assistiert ein hellblauer Filzvorhang der Fensterfront bei der Raumisolierung. Es ist lange nicht so kalt wie angedroht, Hoffmann trägt dennoch eine gefütterte Hose. Die Hose ist bordeauxrot, auch der Pulli, den sie trägt, ebenso das Longsleeve darunter. Farblich passt Hoffmann perfekt zwischen die in exzentrischer Pose fixierten Körper, die sie seit Jahren auf Leinwand bringt. Ob sie immer in Bordeauxrot arbeite, will ich wissen. Ja, immer.
Eines Tages hatte Hoffmann beschlossen, bei der Arbeit im Atelier nur noch einen bestimmten Trainingsanzug einzusauen, statt Dutzende mehr oder minder farbbekleckerte Oberteile zu rotieren. Sie ging zu H&M, der Laden führte Trainingsanzüge in drei Farben. Hoffmann wählte nicht Schwarz, nicht Grau, wählte Bordeauxrot. Über die Jahre wurden nicht Trainingsanzüge, sondern Bordeauxrot ihre Berufsuniform. Bordeauxrote Daunenjacke für den schnellen Gang zum Supermarkt, bordeauxrote Shorts für den Sommer. Privat trägt die Künstlerin andere Farben.
Hoffmann kocht uns Kaffee. Während ich ihr dabei zuschaue, ahne ich, dass das Kaffeekochen – sollte ich an dieser Textform festhalten – womöglich schon bald als Motiv überstrapaziert und somit unbrauchbar geworden sein wird.

In der Studioküche erinnern zwei bemalte Ikea-Küchendeckseiten an eine Hamburger Grafikdesignerin, die nie Kunst studiert, dafür die eigene Hauswand bemalt hat und irgendwann unter der Klammer „Postdigital“ als Künstlerin entdeckt wurde – ein inhaltsleeres Buzzword, von dem Hoffmann gar nichts hält und das inzwischen dankenswerterweise ausgedient hat. Entfremdete Schädel, Fleischfarbe, manikürte Fingernägel. Wenn man möchte, kann man schon in den G20-kritischen Wandarbeiten von 2017 die Handschrift ausmachen, die Hoffmanns Figuren heute ihren Wiedererkennungswert verleiht.
Am hinteren Ende eines langen orangefarbenen Metalltischs sitzen wir einander gegenüber, starren auf Bildschirme. Hoffmann trinkt ihren Kaffee schwarz. Der Kaffee tropft aus einem gelben Designklassiker in blaue Tassen und auf den Tisch, weil den Designklassiker selbstredend kein Tropfenfänger entstellt, was Hoffmann unter praktischen Gesichtspunkten bemängelt. Ich wäge die Vorzüge verschiedener Pressereisen gegeneinander ab, Hoffmann scannt Wortkompositionen, die ein Ausstellungstitel werden könnten.
Anfang April werden Hoffmanns Arbeiten neben denen der Schweizerin Céline Ducrot in der Kunsthalle Gießen zu sehen sein. Hoffmann hat dafür sechs Skulpturen gefertigt und 13 großformatige Leinwände bemalt, vier davon sind fertig. Wobei das so nicht ganz stimmt. Die Künstlerin korrigiert sich direkt, während sie an einem vielleicht bald, gerade aber eben noch nicht fertigen Brustkorb herumpinselt.

Kürzlich stand Hoffmann in einem Museum vor einem Matisse oder vielleicht war es auch kein Matisse – Henri Matisse kann hier stellvertretend fürs männliche Malergenie stehen. Die Arbeit war sehr groß, Farbe war auch involviert und Ehrfurcht entsprechend geboten. Der Künstler habe die Arbeit einst in der Nacht vor Eröffnung einer Ausstellung einer Eingebung folgend geschaffen, pries der Wandtext das Werk. Malergenies haben Geistesblitze, keinen Zeitdruck. Nein, Zeitdruck kann es wirklich nicht gewesen sein.
Hoffmann hat das amüsiert zur Kenntnis genommen. Auf dem Sideboard unter ihrem Bücherregal lehnt prominent drapiert: „Women Artists: The Linda Nochlin Reader“. „Why Have There Been No Great Women Artists?”, der berühmte Essay der Kritikerin aus dem Jahr 1971 beginnt auf Seite 42. Nur einen Handgriff weiter: der Katalog zur Louise-Bourgeois-Ausstellung „I Have Been to Hell and Back“.
Der Zeiger der Wanduhr tickt, draußen wird neben dem Transporter eines Fischladens ein Parkplatz frei. Hoffmann zoomt mit Ducrot. Die Künstlerinnen einigen sich schnell auf ein Ranking der Ausstellungstitel in spe. Kurz darauf meldet sich die Direktorin der Gießener Kunsthalle, Nadia Ismail. Man ist sich allgemein einig in Dingen.
Auch wir sind uns einig. Wir haben Hunger und holen Essen von Rewe. Hoffmann Salat, ich Brötchen, Frischkäse, Gurke. Wir sprechen über London, darüber, wie ein reichweitenstarker Künstler einen Internetmob auf eine Kritikerin losgelassen hat. Wir finden sein Benehmen unsäglich, vor allem aber seine Kunst. Wir hören im Deutschlandfunk ein Interview mit Cemile Sahin, sie hat auch etwas über Künstlergenies zu sagen, nichts Ehrfürchtiges. Wir essen Nüsse.

Hoffmanns Leinwände für Gießen sind ordentlich an den Wänden ihres Studios aufgereiht. Eine gesichtslose Figur zupft sich am Oberschenkelfleisch, eine andere hält die Hand schützend über einen Riss im Erdboden. Hoffmann hat inmitten der Bilder auf einem kleinen Rollhocker platzgenommen, neben ihr ein bemerkenswert sortierter Servierwagen mit Malwerkzeug, darunter Schminkpinsel. Mit dem Hocker kann sie zwischen den Arbeiten hin und her gleiten, bis sie das Studio verlassen.
Kurz bevor das passiert, sitzt Hoffmann manchmal mit einer Flasche Bier vor einer Arbeit und spürt der Intention nach, die ihre Hand geführt haben könnte. Irgendwann muss man ja immer erläutern, was man sich dachte, während man tat. Hoffmann sammelt Sätze, Textpassagen oder Wortfragmente in einem langen Notizdokument, um den eigenen Kontext stets griffbereit zu haben. Wer sie nach der richtigen Lesart ihrer Werke fragt, wird vermutlich dennoch erst einmal eine Gegenfrage zurückgespielt bekommen. Das mache sie gerne, sagt Hoffmann: „Was siehst du?“
Das ist diese großzügige Offenheit, mit der Hoffmann Menschen begegnet, die sie unter Zugzwang oder einfach nur aus der Ruhe bringen könnten. Ich setze an, über eine E-Mail zu schimpfen, die sich in meinem Postfach zwischen mich und ein friedliches Ende des Arbeitstags zu schieben droht. Hoffmann reicht mir „Das zornige Schreiben“ von Miriam Cahn. Über konfrontativem Text verpufft meine Rage. In unseren Tassen zieht Schoko-Chai.
WANN: Die Ausstellung „Hardest Kinds of Soft“ von Cathrin Hoffmann und Céline Ducrot eröffnet am Freitag, den 11. April.
WO: Kunsthalle Gießen, Berliner Platz 1, 35390 Gießen.
Für die Porträt-Reihe „9 to 5“ besuchen wir Künstler:innen in ihrem Atelier – nicht für ein Interview, sondern zum Co-Working. Wir fragen nicht nach ihrem typischen Arbeitsalltag oder ihrer künstlerischen Praxis. Wir sind dabei und berichten, was wir erleben.