Geschichte schreiben "Film Culture" und New American Cinema
13. Juli 2018 • Text von Leonie Huber
Edit Film Culture! ist ein dreitägiges Symposium über Filmkultur, eine Ausstellung über das Magazin „Film Culture“ im Silent Green und eine Filmreihe im Arsenal. Christian Hiller, Initiator des Projektes, führt uns durch die Ausstellung und spricht über Filme, Filmkultur und die New Yorker Kunstszene der fünfziger, sechziger und siebziger Jahre.
Mittelpunkt und Ausgangspunkt des Projektes ist das Magazin „Film Culture“, das zwischen 1954 und 1996 von dem Filmemacher Jonas Mekas herausgegeben wurde. Mekas wurde 1922 in Litauen geboren und emigrierte 1949 nach New York, nachdem er während des Zweiten Weltkrieges in einem Arbeitslager in Deutschland inhaftiert war und anschließend für vier Jahre als „displaced person“ an verschiedenen Orten in der Bundesrepublik festgehalten wurde. „In New York filmte Mekas mit seiner Kamera zuerst die litauischen Auswanderer, die ‚displaced persons’ in Brooklyn, bevor er irgendwie in die Beat Generation reingekommen ist. Dann ging es von der Beat Generation zu Fluxus und George Maciunas und Andy Warhol und immer weiter“, erzählt Christian Hiller. Mekas und er arbeiten seit mehreren Jahren zusammen, zuletzt an der deutschsprachigen Veröffentlichung der Tagebücher „I had nowhere to go“, die unter anderem Mekas‘ Erfahrungen während des Zweiten Weltkrieges beschreiben. „In der Ausstellung erzählen wir aber nicht die Geschichte von Jonas, sondern die Geschichte von seiner Zeitschrift – ‚Film Culture’“, fügt er hinzu.
„Einerseits beschäftigen wir uns mit ‚Film Culture’ als Magazin, das Film programmatisch als eigenständige Kunstform versteht, andererseits mit Filmkultur als allgemeineren Begriff, um einen Blick in den Globalen Süden und auf die Produktions- und Distributionsbedingungen heute zu werfen. Im New York der fünfziger und sechziger Jahre war Film ein politisches Medium, um neue gesellschaftliche Bilder und Vorstellungen zu etablieren. Insbesondere vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkrieges versuchte man eine friedliche, tolerante und offene Gesellschaft zu imaginieren. Gleichzeitig beschreibt Filmkultur auch eine Netzwerkstruktur, in der verschiedene Künstler*innen, Filmemacher*innen und aktivistische Gruppierungen zusammengekommen sind“, führt Christian aus.
Anhand von Originaldokumenten, darunter alle 79 Ausgaben von „Film Culture“, und exemplarischen Filmen werden diese beiden Geschichten in der Ausstellung synchron erzählt. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf der Rolle, die weibliche Künstlerinnen, die Black Community und die queere Szene in der Entwicklung des amerikanischen Avantgardekinos gespielt haben. Christian beschreibt: „Unsere Frage war: Wie wurden Filme gemacht und damit Bilder entwickelt, die entgegen Normen und Konventionen neue Vorstellungen von Gesellschaft formulierten und diese in Independent Art, Popkultur, Hollywood und die gesamte Gesellschaft getragen haben?“
„Interessant war der Clash zwischen Filmemachern, die sich zunächst an einer europäischen Tradition oder an Hollywood orientiert haben, und den Beats, mit denen sie im New York der fünfziger und sechziger Jahre zusammentrafen. Bis dahin war Film Culture eher ein klassisches Filmmagazin, gemeinsam mit den Beats entwickelte die Gruppe um Mekas ihr eigenes Kino – das New American Cinema, wie sie es nannten – und versuchten für ihre Filme eigene Produktions- und Distributionswege herzustellen.“
Die einzelnen Stationen dieser Entwicklung werden anhand von Ephemera, Fotografien und dem Magazin selbst nacherzählt. So gibt es eine Vitrine zu Hans Richter, der mit seinem Text „The Film as an Original Art Form“ die inhaltliche Programmatik des Magazins mitdefiniert hat. Gegenüber läuft der Film „Pull My Daisy“, ein legendäres Zeugnis der Beat Generation. Jack Kerouac spricht ein Gedicht von ihm mit dem gleichen Titel ein, während Allen Ginsberg, Peter Orlovsky, Gregory Corso und ein paar andere Beats dabei zu sehen sind, wie sie in der Wohnung eines Freundes rumhängen. Sowohl als filmisches Manifest für die Beat Generation, als auch als Manifest für das New American Cinema zeigte „Pull my Daisy“, laut Christian: „wie Film aus ihrer Sicht sein sollte: Nicht hübsch und poliert, keine Melodramen; die Filmemacher sollten auf die Straße gehen und dort ihr eigenes Leben filmen, das Leben so wie es ist, das Leben von Outsidern.“
George Maciunas, ein litauischer Grafikdesigner und langjähriger Freund von Mekas, übernahm ab der 11. Ausgabe von „Film Culture“ die kreative Leitung des Magazins. Seine Handschrift bestimmte fortan die innovative Gestaltung. Für die legendäre „Film Culture Expanded Arts“-Ausgabe von 1966 entwarf Maciunas das „Expanded Arts Diagram“, das die Entwicklung ab dem Ende der Fünfziger bis in die späten Sechziger darstellt und visualisiert, wie all die verschiedenen Kunstströmungen zusammenhängen und welche Bezüge zu historischen Bewegungen bestehen. Diese Ausgabe von Film Culture formulierte grundlegend ein neues Kunstverständnis, nach dem die einzelnen Gattungen über gewöhnliche Orte der Repräsentation und Rezeption hinaus, neue Räume mit multimedialen Interventionen, Live Performances und genreübergreifenden Events erschlossen.
In den folgenden Jahren wandte sich „Film Culture“ der Fluxus Bewegung und dem strukturellen Film zu, deren Arbeiten einer ganz anderen Logik folgten und oft auf jegliches Narrativ verzichteten. Als ein Höhepunkt in der Geschichte des Magazins gilt die Ausgabe zu Andy Warhol und seinen Superstars. Christian Hiller erzählt von dem künstlerischen Austausch zwischen Warhol und Mekas, erläutert die editorischen Entwürfe zu den einzelnen Seiten der Ausgabe und benennt die Abgebildeten. Einen Endpunkt für die Geschichte von „Film Culture“, wie sie in der Ausstellung erzählt wird, bildet die Gründung der „Anthology Film Archives“. Die Rolle des Magazins wird in den achtziger Jahren von dieser Institution und anderen übernommen, obwohl es selbst noch bis 1996 erscheint.
„Während die Ausstellung eher einen historischen Blick auf ‚Film Culture’ wirft und der Frage nachgeht, wie sich eine Filmbewegung formiert, lag der Schwerpunkt des Symposiums, das vom 5. bis 8. Juli im Silent Green stattfand, auf dem Begriff Filmkultur. Wir fragten uns: Wieso wird Filmgeschichte immer über Filme oder deren Regisseur*innen erzählt? Kann man Geschichte über ein Medium oder ein Netzwerk erzählen? Wo gibt es vergleichbare Strukturen heute? Gemeinsam mit Filmemacher*innen, Kuratoren und Wissenschaftler*innen aus Indien, Afrika, Asien und Südamerika diskutierten wird darüber, was es bedeutet, nicht nur Filme zu machen, sondern auch Filme zu produzieren, zu veröffentlichen und darüber zu schreiben. Als Fortsetzung dieser Überlegungen ist in Kooperation mit Savvy Contemporary der hintere Teil der Ausstellung von dem Rechercheprojekt United Screens mit einer Installation basierend auf Interviews mit Kurator*innen, Künstler*innen aus Indien bespielt“, resümiert Christian Hiller am Ende der Tour.
Die Ausstellung im Silent Green läuft noch bis zum 22. Juli, ebenso wie eine Filmreihe im Arsenal, kuratiert in Anlehnung an das Programm von amerikanischen Avantgardefilmen, das der ehemalige Mitarbeiter der Deutschen Kinemathek Alf Bold, im geteilten Berlin zeigte. Außerdem erscheint im Rahmen des Projektes die 80. Ausgabe von „Film Culture“, die sich der wenig bekannten Filmemacherin Barbara Rubin widmet.
WANN: Die Ausstellung im Silent Green ist bis zum 22. Juli 2018, von Montag bis Freitag von 14 bis 19 Uhr, Samstag und Sonntag von 11 bis 19 Uhr, geöffnet. Mehr Information hier.
WO: Silent Green c/o SAVVY Contemporary, Plantagenstraße 31, 13347 Berlin (Ausstellung). Arsenal Institut für Film und Videokunst, Potsdamer Straße 2, 10785 Berlin (Filmprogramm).