Kritisches Potential
Die 10. Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst

22. Juni 2018 • Text von

Vor zwei Wochen eröffnete die 10. Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst mit einem politisch engagierten und gegenwartskritischen Programm. Eine Reflexion über eine Ausstellung, die rebelliert und gegen die man rebellieren kann.

Dineo Sheshee Bopape: Untitled (Of Occult Instability) [Feelings], 2016–18. Ziegelsteine, Licht, Geräusche, Videos, Wasser, gerahmte Serviette, mit Arbeiten von: Jabu Arnell, Discoball X, 2018, Lachell Workman, Justice for___, 2014, Robert Rhee, EEEERRRRGGHHHH und and ZOUNDS (beide aus der Serie Occupations of Uninhabited Space, 2013–fortlaufend), 2015. Installationsansicht (Detail), 10. Berlin Biennale, KW Institute for Contemporary Art, Berlin. Courtesy Dineo Seshee Bopape; Jabu Arnell; Lachell Workman; Mo Laudi; Robert Rhee; Sfeir-Semler Gallery, Hamburg/Beirut. Foto: Timo Ohler.

Der Titel der 10. Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst, die diesen Sommer ihr Ausstellungsprogramm an fünf verschieden Orten in der Stadt präsentiert, ist eine Referenz auf Tina Turners Song „We don’t need another hero“ aus dem Jahr 1985. Die Ausstellung diagnostiziert der Gegenwart eine kollektive Psychose angesichts des Prozesses einer globalen Umwälzung von Macht- und Repräsentationsmechanismen. Aus dem post-kolonialen Diskurs resultierende Forderungen, Strategien der aktiven Raumnahme und die Aufarbeitung von historischen Diskriminierungs- und Repressionserfahrungen stehen im Mittelpunkt der Auseinandersetzung. Die intersektionelle Perspektive der Schau ist scheinbar mit der römischen Zehn im Titel – X – bereits vorweggenommen. Kuratorin Gabi Ngcobo hat gemeinsam mit ihrem Team bestehend aus Nomaduma Roas Masilela, Serubiri Moses, Thiago de Paula Souza und Yvette Mutumba die Intention der Organisator*innen in einem Manifest zusammengefasst:

„[…] WE THE NOT-NOT EDUCATIONAL SPIRITS
UNTEACHING TO UNLEARN
EACH ONE TEACH ONE […]“

Sobald die doppelte Verneinung aus diesem Satz weggestrichen wird, bleibt eine klare Bekenntnis zum didaktischen Auftrag der ausgestellten Werke. Zeitweilig stellt sich der Eindruck ein, dass tatsächlich jede einzelne künstlerische Position ein spezifisches Thema zu vermitteln hat.

Firelei Báez: 19° 36’ 16.89“ N, 72° 13’ 6.95“ W) / (52.4042° N, 13.0385° E, 2018. Acryl, Gipskarton, Stahl. Installationsansicht, 10. Berlin Biennale, Akademie der Künste (Hanseatenweg), Berlin. Courtesy Firelei Báez; Kavi Gupta Gallery, Chicago. Foto: Timo Ohler.

So baut die Künstlerin Firelei Báez vor der brutalistischen Architektur der Akademie der Künste das Palais Sans-Souci nach, das eigentlich im haitianischen Milot steht und zur Verherrlichung militärischer Pracht 50 Jahre später als gleichnamige Sommerresidenz des preußischen Königs Friedrich II. in Potsdam erbaut worden ist. Die künstlerische Aufarbeitung unterschiedlicher historischer Bedeutungen des Namens Sans-Souci, den auch ein haitianischer Revolutionsführer trug, der von dem Bauherren des Palais verraten und getötet wurde, führt die Künstlerin in der Übermalung von Landkarten und historischen Drucken fort.

Zuleikha Chaudhari: Rehearsing Azaad Hind Radio, 2018. Video, Sound; verschiedene Materialien, 40′12′., Installationsansicht, 10. Berlin Biennale, ZK/U Zentrum für Kunst und Urbanistik, Berlin. Courtesy Zuleikha Chaudhari. Foto: Timo Ohler.

Im ZK/U Zentrum für Kunst und Urbanistik in Berlin-Moabit gestaltet Zuleikha Chaudhari ein multimediales Environment über die Beziehung zwischen indischen Unabhängigkeitsbestrebungen und dem Nationalsozialismus in Deutschland. Aufhänger ist Subhas Chandra Bose, indischer Nationalist und patriotischer Führer, der nach Deutschland reiste, wo er von dem NS-Regime überraschenderweise materielle Unterstützung für seine eigene Agenda erhielt. Durch die Reinszenierung von Rundfunkreden Boses und Vorlesungen über den Nationalsozialismus in Neu-Dehli, wird die Widersprüchlichkeit dieser Interessensgemeinschaft durch „authentische“ Quellen in Chaudharis Werk aufgearbeitet.

Grada Kilomba: ILLUSIONS Vol. II, OEDIPUS, 2018. 2-Kanal-Video, Farbe, Ton, 32′. Installationsansicht, KW Institute for Contemporary Art, Berlin. Courtesy Grada Kilomba; Goodman Gallery, Johannesburg/Cape Town. Foto: Timo Ohler.

Beide Arbeiten stehen exemplarisch für die künstlerische Strategie der Aneignung von kulturhistorischen und politischen Zusammenhängen, die Zeugnis über kolonialen Machtmissbrauch und zu verurteilende hegemoniale Allianzen ablegen und das Gesamtbild der Biennale prägen. Doch unabhängig von der Kritik an sich, ist es der detailversessene und bisweilen pädagogische Charakter der Werke, durch den die Schau – obgleich ihrer inhaltlichen Tiefe und thematischen Weite – zu einem monothematischen Parcours verkommt.

Sowie die Aufbereitung und Darstellung von vergangenen und gegenwärtigen Realitäten die prädominante Eigenschaft der künstlerischen Auseinandersetzung ist, wird den Besucher*innen die Möglichkeit genommen, sich ein ästhetisches Urteil über die Werke zu erlauben. Dabei würde man sich wünschen, dass in der Ausstellung nicht nur der diskursive Status-Quo präsentiert wird, sondern auch spannende zeitgenössische Kunst. Was unterscheidet Kunst von politischer Theorie und Praxis, wenn nicht die Tatsache, dass der Kritik an der Gegenwart ein ästhetischer Rahmen geben wird und diese somit für das Publikum erfahrbar wird?

Okwui Okpokwasili in Andrew Rossi’s documentation Bronx Gothic, 2017. © Andrew Rossi. Courtesy Okwui Okpokwasili.

Die amerikanische Performance Künstlerin Okwui Okpokwasili schafft mit ihrer für die Berlin Biennale konzipierten Arbeit „Sitting on a Man’s Head“ ebendies: Im Rückgriff auf traditionelle Protestaktionen von Frauen Ost-Nigerias entwickelte Okpokwasili eine Performance-Situation, in die das Publikum eintreten kann. Gemeinsam mit der Künstlerin und ihren Kollaborateur*innen wird das Widerstandspotential des eigenen Körpers und die transformatorische Kraft des Geistes in einem meditativen Gang durch den Raum aktiviert. Durch transparenten Stoff ist ein quadratischer Bereich innerhalb der Ausstellungsräume der KW abgetrennt, der zu einem auratischen Ort wird. Diejenigen Besucher*innen, die nicht an der Performance teilnehmen, können das Geschehen von verschiedenen Seiten aus beobachten.

Luke Willis Thompson: autoportrait, 2017. Filmstill, 35mm-Film, S/W, ohne Ton, 8′50′′ @ 24fps. Courtesy Luke Willis Thompson; Galerie Nagel Draxler, Berlin/Cologne.

In der nächsten Etage präsentiert der für den Turner Prize nominierte Künstler Luke Willis Thompson eine wandfüllende Projektion einer jungen schwarzen Frau, die nahezu bewegungslos vor der Kamera verharrt, während ihr Tränen über die Wanden laufen. Die Frau heißt Diamond Reynolds und wurde bekannt, als sie ein Video auf Youtube publik machte, das zeigt wie ihr Partner Philando Castile seinen Schussverletzungen durch einen weißen Polizisten nach einer routinemäßigen Kontrolle im amerikanischen Minnesota erliegt. Acht Minuten lang ist Luke Willis Thompsons Werk „Autoporträt“ – nicht viel länger als die Situation, die Philando Castile das Leben kostete, oder das Video seiner Freundin, die im Affekt und Schock ein blutiges Zeugnis über die willkürliche Polizeigewalt gegenüber Afroamerikaner*innen in Amerika ablegte. Durch die Herauslösung von Diamond Reynolds aus der medialen Rezeption ihres Schicksals, entsteht ein offenherziges Porträt der Black Lives Matter Bewegung.

In ihrer Gesamtheit bewegt sich die Berlin Biennale zwischen diesen beiden Polen: Zwischen Werken, die über vergangene und gegenwärtige Ungerechtigkeit und Unterdrückung belehren und deshalb vorrangig als politische Haltung und weniger als künstlerische Handlung rezipiert werden; und Arbeiten, die es möglich machen, die politische Notwenigkeit von Veränderung und Widerstand, ebenso wie die brachiale Ungerechtigkeit der Gegenwart nicht nur intellektuell zu begreifen, sondern auch körperlich und emotional nachzuempfinden.

WANN: Die Ausstellung läuft bis zum 09. September 2018 und ist von Mittwoch bis Montag, jeweils von 12 bis 19 Uhr, geöffnet.
WO: Eine Übersicht der Ausstellungsorte und alle weiteren Infos findet ihr hier.

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