"Boom for Real"
Jean-Michel Basquiat in der Schirn Kunsthalle Frankfurt

28. Februar 2018 • Text von

Fast dreißig Jahre her ist die letzte Einzelausstellung des US-amerikanischen Ausnahmekünstlers in Deutschland – längst überfällig also! Er gehört zu den ganz Großen – das weiß man. Die Schirn Kunsthalle will dieses „das weiß man“ nun entwirren.

Jean-Michel Basquiat (1960-1988) ist fester Bestandteil des Malereikanons des 20. Jahrhunderts. Er dient auch vielen als Illusion einer Künstlerfigur. Impulsiv, produktiv, spontan, fesselnd – all dies sind Schlagworte, die dem Künstler und seinem Werk anhängen. Beides ist bisher wissenschaftlich nicht ausschöpfend hinterfragt und kontextualisiert worden. Wer glaubt, die Ästhetik eines Basquiat bereits vollends zu kennen, darf sich in dieser Ausstellung bei der Hand nehmen und überraschen lassen.

Geboren im Brooklyn der 1960er Jahre avanciert Basquiat in den frühen 1980er Jahren zum Superstar der New Yorker Kunstszene. Er steht stellvertretend für eine neue, junge, disziplinäre Grenzen überschreitende Kunst, er wirkt wie eine Vitalspritze auf die Kunstszene, die immer wieder an Redundanz und Reproduzierbarkeit zu ersticken droht. Schön früh setzt er sich durch eine eigensinnige und kryptische Bild-Sprache ab.

Jean-Michel Basquiat, Untitled, 1982, Acrylic and oil on linen, Museum Boijmans Van Beuningen, Rotterdam, © VG Bild-Kunst Bonn, 2018 & The Estate of Jean-Michel Basquiat, Licensed by Artestar, New York, Courtesy Museum Boijmans Van Beuningen, Rotterdam, Foto: Studio Tromp, Rotterdam.

Basquiats interdisziplinäre Arbeitsweise und das multidisziplinäre Umfeld der Kreativszene des Post-Punk-Undergrounds bilden den Leitfaden der Ausstellung. Es ist mitunter dieser gestreute Blick, mit dem die Kuratoren, Eleanor Nairne und Dr. Dieter Buchhart, eine weitere Mythisierung und Stilisierung des Künstlers zu vermeiden wissen. Unermüdlich übersetzt Basquiat Alltägliches in seine eigene visuelle Sprache. Hoch- und Massenkultur treffen in seinen Arbeiten ebenso aufeinander wie transzendente und irdische Inhalte. Literatur, Musik, Kunst, Film und Fernsehen – Basquiats Faszination kennt keine Grenzen. Semiotik, Anatomie, Beat-Literatur, die Geschichte des bewegten Bildes und der Tontechnik, Kunstgeschichte sowie Cartoons finden zu gleichen Teilen Einzug in sein Werk. Letztendlich arbeitet Basquiat künstlerisch am Puls der Zeit. Subtil verwebt er soziohistorische Kontexte mit aktuellen Trends. Seine Praxis, eine Art Übersetzung und Verschlüsselung zugleich, bleibt dabei selbstverständlich und direkt.

Die Ausstellung gestaltet sich als eine Art Erlebnisparcours: betrachten, hören, lesen und, bitte, staunen und verstehen. Schon im Treppenhaus begegnet man Basquiat als Videoprojektion, tänzelnd. Dann hinein in den Basquiatschen Kosmos. Abgedunkelte Wände, eine Fotostrecke des Avantgarde-Künstlers Henry Flynt dokumentiert Basquiats Tätigkeit als Streetart-Künstler, so fing alles an. Unter dem Tag SAMO©, ein Akronym für „same old shit“, kommentiert er zusammen mit seinem Freund Al Diaz die soziopolitische Lage in den USA. Sprache als Form des Widerstands. Immer auch poetisch. Geschrieben, da als gesprochenes Wort eines Schwarzen mit haitischen und puerto-ricanischen Wurzeln ungehört.

BASQUIAT. BOOM FOR REAL, Ausstellungsansicht, © Schirn Kunsthalle Frankfurt, 2018, Foto: Norbert Miguletz, Kunstwerke: ©VG Bild-Kunst Bonn, 2018 & The Estate of Jean-Michel Basquiat, Licensed by Artestar, New York.

1981 nimmt er an der Gruppenausstellung „New York/New Wave“ im P.S.1 teil. Der Durchbruch gelingt. Die Kunstwelt ist begeistert von der Energie und Rohheit der bemalten Leinwände und Gegenstände und stürzt sich auf den damals gerade 20-Jährigen. Die Schirn macht diesen Moment neu erfahrbar und versammelt Basquiats Malereien von damals, die auch heute nicht an Dringlichkeit und Intensität eingebüßt haben. An dieser Stelle gelingt es dem Kuratoren-Duo den pulsierenden Mix und Vibe der New Yorker Szene der späten 70er und frühen 80er Jahre nachzuempfinden. Ausstellungen, Partys, Film und Musik – alles ist eins und beeinflusst einander. Postkarten und Collagen, eine Vase und andere Objekte zeugen aus dieser Zeit künstlersicher Gemeinschaftsarbeit. Heute wohl am bekanntesten sind die mit Andy Warhol entstandenen Werke, über 150 Stück, die hier aber keinesfalls im Fokus stehen.

Jean-Michel Basquiat, Untitled, 1980, Enamel, spray paint and oil stick on enamelled metal, Whitney Museum of American Art, New York, gift of an anonymous donor, © VG Bild-Kunst Bonn, 2018 & Artists Rights Society (ARS), New York/ ADAGP, Paris & The Estate of Jean-Michel Basquiat, Licensed by Artestar, New York, Courtesy Whitney Museum of American Art.

Der Raum verengt sich. Musik. 1983 nimmt Basquiat zusammen mit Rammellzee und K-Rob die legendäre Hip Hop Platte „Beat Bop“ auf. Jazz und Blues waren essentiell für sein Schaffen. Nicht nur mit der Nichteingeschriebenheit der verschiedenen Jazz-Stile konnte er sich identifizieren, es waren die Musiker, die er auf seine eigene Art und Weise stilisierte. Die oftmals ironische Erwähnung seiner Helden aus Musik, Kunstgeschichte und Sport in Bild und Schrift ist ebenso Kritik an deren gesellschaftlicher Diskriminierung und damit Kontextualisierung seiner eigenen Rolle als schwarzer Künstler innerhalb einer von Weißen dominierten Kunstwelt.

Jean-Michel Basquiat, Self-Portrait, 1983, Oil on paper and wood,Collection Thaddaeus Ropac, © VG Bild-Kunst Bonn, 2018 & The Estate of Jean-Michel Basquiat. Licensed by Artestar, New York. Courtesy Collection Thaddaeus Ropac, London.

„Self Portrait“ von 1983 zeigt in kantigen Konturen ein schwarzes Brustbild vor schmutzig weißem Hintergrund. Einzig erkenntliche Gesichtszüge, zwei weiße, verengte Augenschlitze und zu Berge stehende Rastazöpfe. Kein Mund. Keine Stimme. Basquiat, damals auf dem Zenit seines Erfolges, ist Beobachter und Kritiker seiner ihm zugewiesenen Rolle des ikonenhaften, aber stereotypisierten schwarzen Streetart-Künstlers. Auch und gerade die häufigen Zitate aus Cartoons veranschaulichen sein starkes Bewusstsein für, und die Reflexion von Rassismus und Diskriminierung.

Basquiat bediente zwei Seiten der Rezeption. Als Ikone gefeiert diente ihm die Kunst als Sprachrohr und Distributionsform seiner ironischen Gesellschaftskritik. Er tauschte die dreckigen Fassaden der Hauswände gegen Leinwände, die ihrerseits an teuer gestrichenen Appartementwänden aufgehängt wurden. Die Ironie dabei, nur wenige wussten seine chiffrierten und kontextgeladenen Werke voll Insiderjokes und Querverweisen wirklich zu verstehen. Viele wollten gar nicht so weit gehen. Dieses Spiel mit und das Wissen um die Stilisierung der eigenen Person machten Basquiat zum Zerrissenen und Getriebenen seiner selbst. Im Sommer 1988 starb er an einer Überdosis Heroin. Seine Werke können tief unter die Haut gehen. Wie die Furchen, die seine Pinselstriche in den einzelnen Farbschichten hinterließen.

„… as if life could emerge only where forces fight to prevent it“[1]. Die Worte des Künstlerles Jean Debuffets sind bezeichnend für Basquiats künstlerisches Schaffen, dessen vielschichtiger Vorgehensweise sich der zweite Teil der Ausstellung widmet. Schon 2015 legten Institutionen einen Fokus auf Basquiats Notizbücher. Seine Liebe zur Sprache, die Musikalität seiner Texte, Witz, Ironie und die Unmittelbarkeit dessen, was er zu sagen hatte – all das ist hier vereint. In der Schirn lassen sich die Einträge lesen und hören, psalmartig von Basquiat selbst vorgetragen. Im größten Raum der Ausstellung wird das schematische und labyrinthähnliche Schaffen Basquiats offengelegt. In mehreren großen und teils sehr komplexen Werken dürfen die Besucher nun selbst versuchen, die in den vorherigen Räumen gewonnenen Eindrücke zu verarbeiten und die unzähligen Piktogramme, Akronyme und Querverweise zu entschlüsseln.

Dezidiert will die Schirn den Mythos des rebellischen und coolen Künstlers vermeiden. Es gehe nicht darum, Basquiat als „Synoym für Coolness“ zu inszenieren. Der Titel der Ausstellung, „Boom for Real“ war zugleich künstlerische Strategie und Motto Basquiats. Die Ausstellung würdigt ihn als Künstler und holt damit nach, was längst überfällig war. Auch erklärt, kontextualisiert und vermittelt sie sein immens kreatives Schaffen, was es uns möglich macht, Basquiat neu kennenzulernen. Es ist jedoch schwierig, Basquiat nicht auch als Statement zu begreifen, gerade mit Rückblick auf die astronomischen Preise, die seine Arbeiten seit Jahren auf dem Kunstmarkt erzielt. Umso wichtiger ist es zu verstehen, wie und aus welcher Motivation heraus ein solcher Hype entsteht und neu instrumentalisiert wird, was enorme Auswirkungen auf die Rolle und Produktionsmöglichkeiten von Künstlern hat. Zwar werden diese Fragen in der Ausstellung nicht geklärt, doch spricht die eingehende Auseinandersetzung und das Erleben von Basquiats Werk, das diese Fragen so geschickt stellt, hier auch für sich.

 

WANN: Die Ausstellung ist noch bis zum 27. Mai 2018  zu sehen. Der Katalog, im Prestel Verlag erschienen, ist sehr zu empfehlen und kostet 35 Euro.
WO: Schirn Kunsthalle, Römerberg 6, 60311 Frankfurt am Main. 

[1] Jean Debuffet, A Reptrospective Glance at Eighthy, 1981. Guggenheim Museum Press, New York

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