Best of Gallery Weekend
Eine persönliche Auswahl

2. Mai 2017 • Text von

Warum in zwei Tagen durch unzählige, vollgestopfte Galerien hetzen, bis die Augen brennen und der Kopf auf Eis liegt? Wir haben es auf uns genommen, um euch unsere sechs Favoriten zu liefern, für die man sich Zeit nehmen darf.

Zanele Muholi, Somnyama Ngonyama, 2017, installation view, Courtesy of WNTRP.

Zanele Muholi, Somnyama Ngonyama, 2017, installation view, Courtesy of WNTRP.

Als „Visual activism“ bezeichnet die Südafrikanerin Zanele Muholi ihre fotografische Praxis. Diese Selbstzuschreibung findet auch in der Serie „Somnyama Ngonyama“ (auf Deutsch: Heil der schwarzen Löwin), die seit dem Gallery Weekend bei WNTRP zu sehen ist, ihre Berechtigung: Für jede Aufnahme ihrer schwarz-weißen Selbstporträts inszeniert sie sich anders, schafft unterschiedliche Identitäten, klischeehafte Versionen ihrer Selbst. Extreme Überschminkung und bizarre Accessoires wechseln sich ab, doch der eindringliche Blick bleibt gleich. In ihren Augen spiegeln sich kritische Fragen bezüglich der unrechtmäßigen Repräsentation der schwarzen Figur als Exotikum im Verlauf der Geschichte. Muholi adressiert hier unter anderem die abstruse Praxis des „blackfacing“ aus dem historischen Ministrel Theater, mittels derer sich weiße Schauspieler als Afroamerikaner in Szene setzten. Diese Exotisierung des schwarzen Körpers führt Muholi in überspitzter Manier fort: Ihre Porträts fordern die eigene „blackness“ zurück, die nicht mehr vom privilegierten Weißen fremd bestimmt wird.

WANN: Bis zum 17. Juni dürft ihr die Werke noch bestaunen.
WO: WNTRP, Potsdamer Straße 91, 10785 Berlin. Hier gibt’s mehr Infos.

Candice Breitz, Love Story, 2016, Installation view, KOW, Berlin, 2017, Courtesy of Candice Breitz and KOW, Berlin, Foto: Ladislav Zajac / KOW.

Candice Breitz, Love Story, 2016, Installation view, KOW, Berlin, 2017, Courtesy of Candice Breitz and KOW, Berlin, Foto: Ladislav Zajac/KOW.

Hollywoodstars Alec Baldwin und Julianne Moore blicken uns bei KOW vor einem ortlosen, grünen Hintergrund entgegen und erzählen in oscarreifer Manier aus ihren bewegenden Vergangenheiten, die von Brutalität, Flucht und Verlust geprägt ist. Wir kennen die Hochglanzgesichter und wissen um den Schein ihrer Inszenierung. Sie sind Teil der Videoarbeit „Love Story“ von Candice Breitz, die nach außen mit Prominenz leuchtet, doch von den Geschichten und Schicksalen lebt, die hinter dem fabrizierten Skript für die Eliteschauspieler stehen. Diese präsentieren sich im Untergeschoss der Räumlichkeiten roh und ungefiltert. Auf sechs Großmonitoren berichten geflüchtete Frauen und Männer von wahrhaftigem Unglück, bieten Einblick in individuelle Missstände, die im Medienrummel keine Sprache finden und auf der Kinoleinwand ausgeschlachtet werden. Diesen Mechanismus deckt Breitz auf und sucht den Mittelweg vor dem Greenscreen. Allzu bald empfindet man eine Form der Überforderung von den Stimmen, die der überbordende Medienkessel mit GIFs und Memes zu kompensieren versucht, und die Aufmerksamkeitsspanne für individuelle Tragik somit weiter einengt. Breitz dekonstruiert affektive, aufsehenerregende Mechanismen in der Vermittlung von fake vs. real News durch Aneignung. So ist „Love Story“ auch ein Aufruf an jeden Einzelnen, den täglichen medialen Schwall reflektiert zu filtern, um Empathie für humanitäres und politisches Elend zu bewahren und Ignoranz zu verhindern.

WANN: Bis zum 30. Juli ist „Love Story“ noch zu sehen.
WO: KOW, Brunnenstraße 9, 10119 Berlin. Details gibt es hier.

von Eva Beck

Lu Yang, Welcome to LuYang Hell. Courtesy: the Artist, Société Berlin.

Lu Yang, Welcome to LuYang Hell. Courtesy of the Artist and Société Berlin.

Zu Société hat es die chinesische Künstlerin Lu Yang verschlagen, deren immersive Videoarbeiten den Betrachter eine bunt blinkende und kreischende Bilderwelt befördern. Videoschnipsel, skulpturale Elementen und Soundtracks verarbeitet die Künstlerin zu chaotischen Informationswulsten, in denen sie die Beziehung zwischen Mensch und Technik reflektiert. Ihre aktuelle Ausstellung „Welcome to LuYang Hell“ vereint nun zwei Videoarbeiten und eine Installation der Künstlerin, in denen futuristische Versionen der Menschheit in teils verstörenden Bildern zum Ausdruck kommen. So hat sich die Künstlerin in „Lu Yang Delusional Crime and Punishment“ beispielsweise selbst in einen Avatar transformiert, der zunächst per 3D Drucker ausgedruckt und mit der Aufschrift „Made by God“ versehen, anschließend gefoltert und in die Hölle verbannt wird. Um sich tatsächlich durch die zahlreichen Ebenen der Videos zu tasten, würde man wohl mehr als eine Woche brauchen. Man kann sich aber auch einfach hinweg spülen lassen.

WANN: Die Ausstellung läuft noch bis zum 10. Juni 2017. Nachgelesen werden darf hier.
WO: Société Berlin, Genthiner Str. 36, 10785 Berlin.

Kimsooja, Deductive Object, 2016. Photo by Aaron Wax, Courtesy of MMCA and Hyundai Motor Co., Kewenig Galerie, Berlin and Kimsooja Studio.

Kimsooja, Deductive Object, 2016. Photo by Aaron Wax, Courtesy of MMCA and Hyundai Motor Co., Kewenig Galerie, Berlin and Kimsooja Studio.

Die aus Südkorea stammende Konzeptkünstlerin Kimsooja setzt sich in ihrem mannigfaltigen Oeuvre mit dem Wesen des Menschen, Migration und der Repräsentation des Selbst auseinander. Ihre Schau „Geometry of Breath“, die vergangenes Wochenende bei Kewenig eröffnet wurde, kontextualisiert Kimsoojas Schaffen innerhalb der letzten zehn Jahre, während der sich die Künstlerin auf die körperlichen Aspekte ihrer künstlerischen Praxis fokussierte. Das Physische wird für den Betrachter dabei direkt spürbar: Gleich zu Beginn findet man sich vor einer Jukebox wieder, aus der statt poppiger Dance-Hits die Atemgeräusche der Künstlerin sickern und den Betrachter in einen eindringlichen Soundteppich hüllen. An anderer Stelle wiederum stellt die Künstlerin ihre seit den 90ern gesammelten Haare aus, die im Bildraum zu einem Zeitmesser einer ephemeren Körperlichkeit werden. Parallel zu der Ausstellung wird im Warehouse der Galerie in Moabit außerdem die mehrfach ausgezeichnete Performance „Bottari Truck – Migrateurs“ der Künstlerin installiert.

WANN: Die Ausstellung läuft noch bis zum 30. Juni 2017. Infos findet ihr hier.
WO: KEWENIG, Brüderstraße 10, 10178 Berlin.

von Hannah Schraven

Kimsooja, A Album Hudson Guild, 2009. Commissioned by More Art, New York, Photo by Jason Schmidt, Courtesy of Kewenig Galerie, Berlin and Kimsooja Studio.

Kimsooja, A Album Hudson Guild, 2009. Commissioned by More Art, New York, Foto: Jason Schmidt, Courtesy of Kewenig Galerie, Berlin and Kimsooja Studio.

Es ist die erste Einzelausstellung des Künstlers Melvin Edwards in Deutschland. Die Galerie Buchholz zeigt im Rahmen des Gallery Weekends Skulpturen und Zeichnungen aus vier Jahrzenten, die einen Einblick in das komplexe Oeuvre eines der Pioniere von zeitgenössischer afroamerikanischer Kunst gewähren. Zusammengeschweißte Skulpturen, deformierte Gebilde, die Schmerz, Wut und Gewalt ausstrahlen, sind auf Sockeln und an der Wand installiert. Die sogenannten „Lynch Fragments“ sind sowohl auf inhaltlicher, wie auf materieller Ebene exemplarisch für das Werk von Melvin Edwards. Sie spiegeln die Geschichte von „race, labour and violence“ des schwarzen Amerikas wieder, und verleihen diesen Themen eine gleichermaßen abstrakt-minimalistische und expressiv-symbolische Form. Das Handwerk eines Schweißers ist für den Künstler mehr als ein Medium: Edwards engagiert sich im Rahmen von Workshops für eine junge Generation von afrikanischen Schweißern und veranstaltet Workshops zur Errichtung von staatlichem Wohnungen und Universitäten auf dem Kontinent. Im Alter von 80 Jahren reiste Edwards für seine Ausstellung in der Galerie Buchholz nach Berlin und realisierte dort eine ortsspezifische Skulptur nach einer Zeichnung aus dem Jahr 1971: Alternierende Stränge von Stacheldraht und Stahlketten versperren den Zugang zu einer Ecke des Raumes. Die poetische Leichtigkeit der Installation kontrastiert nicht nur mit ihrer Materialität, sondern auch mit dem beklemmenden Gefühl, das die Ausstellung als Ganzes hinterlässt.

WANN: Die Ausstellung ist bis zum 17. Juni von Dienstag bis Samstag von 11 bis 18 Uhr zu sehen.
WO: Galerie Buchholz, Fasanenstraße 30, 10719 Berlin. Details hier.

Adam Brody & Julia Colavita: Gem Drug (Filmstill), 2015. Courtesy of the artist.

Adam Brody & Julia Colavita: Gem Drug (Filmstill), 2015, Courtesy of the artist.

Fernab von den bürgerlichen Treppenhäusern Charlottenburgs und den verspiegelten Sonnenbrillen der August- und Linienstraße eröffnete im Horse And Pony Fine Arts in Neukölln am Sonntagabend eine ganz andere Ausstellung. Die Distanzierung der von kommerziellen Interessen motivierten Veranstaltungen des Gallery Weekends ist intendiert; Künstlerin und Kuratorin GeoVanna Gonzalez versammelte zehn künstlerische Positionen, die unter dem Titel „A New Prescription for Insomnia“ Möglichkeiten des Rückzugs aus der manischen Schnelllebigkeit der (Kunst-)Welt erproben. „Insomina“ ist dabei nicht als eine psychologische Störung, als einsamer Moment des Wach-Sein, zu verstehen, wie ihn Jeff Wall in einer seiner berühmtesten Fotografien festgehalten hat. Im Gegenteil: Es ist der aktive Rückzug aus der Unruhe eines globalisierten Arbeitsmarktes, von dessen Realität die expandierende und konkurrenzfördernde Kunstszene Berlins nur ein Teil ist. Die Möglichkeiten des Eskapismus sind unendlich: Paul Barsch kombiniert Wandhalterungen für Flachbildschirme mit Reliefs von wütenden Gesichtern, Michele Gabriele bespielt den negativen Raum zwischen Betrachter und Objekt in ihrer Skulptur „Shitty-Slippy-Slutty (A beautiful and dangerous night)“ und Adam Chad Brody und Julia Colavita treten in ihrem Film gleichsam als Protagonisten und Versuchsobjekte auf, wenn sie auf einer psychedelischen Reise die kulturelle Bedeutung von Luxusobjekten, spirituellen Artefakten und kommerziellen Fetischen untersuchen.

WANN: Nach Anmeldung ist die Ausstellung bis zum 21. Mai zu sehen. Am Abend der Finissage spielt Mark Stroemich ein Live-Set.
WO: Horse and Pony Fine Arts, Altenbrakerstr. 18, 12053 Berlin und online.

von Leonie Huber

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