Schönheit neu lesbar
Julian Rosefeldt über Manifesto

6. März 2017 • Text von

Eine Nachrichtensprecherin doziert über Konzeptkunst. Eine alleinerziehende Mutter fährt auf ihrem Moped durch die Stadt, darüber liegen Texte über moderne Architektur. In seiner Arbeit „Manifesto“ collagiert Julian Rosefeldt Textfragmente historischer Manifeste und kombiniert sie mit Bildern vermeintlicher Realität. Auf dreizehn Screens entstehen in der Villa Stuck so Situationen, in denen sich Bild und Text erstaunlich ergänzen. Wir sprachen mit Julian Rosefeldt über seine Arbeit.

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Julian Rosefeldt: Manifesto (Film still), 2015, © Julian Rosefeldt und VG Bild-Kunst, Bonn.

gallerytalk.net: In den einzelnen Seuquenzen ist ja ein Spannungsfeld zwischen dem Idealismus auf der Textebene und dem vermeintlichen, inszenierten Alltag auf der Bildebene. Dadurch entsteht ein Kontrast in der Arbeit, die Bilder illustrieren die Texte ja nicht lediglich.

Julian Rosefeldt: Der bewusste Ansatz war, diese Texte neu erfahrbar zu machen, indem ich sie in unsere Zeit verfrachte, sie neu kontextualisieren und sie so neu lesbar mache. Die Arbeit spiegelt ja ein Panoptikum unserer Gesellschaft wieder, von der Vorstandsvorsitzenden, die privat Gäste auf einen Empfang in ihrer Villa am See einlädt bis zur alleinerziehenden Mutter, die als Fabrikarbeiterin in einer Müllverbrennungsanlage arbeitet. Mich hat interessiert, inwieweit diese Texte anwendbar sind. Sind sie aktuell, inwieweit dienen sie als Anleitung? Sie sind als Ansprüche gemeint, die Welt über die Kunst zu verändern. Geht das auf, funktioniert das? Und einige dieser Texte sind wirklich wahnsinnig aktuell, man glaubt es gar nicht, wenn man sie liest oder hört, dass sie so alt sind. Ein Text beispielsweise ist vom John Reed Club of New York, verfasst 1932, und beschreibt die Krise des Kapitalismus, die Schere zwischen Arm und Reich, die Konflikte im Nahen Osten. Das ist wirklich verrückt wie aktuell das ist. Andere Texte wirken vielleicht irgendwie verquast, haben aber trotzdem etwas faszinierend Aktuelles. Genau diesem Gedanken ist das Set-Up geschuldet. Und nicht nur die Tatsache, dass die Texte in unsere Zeit verfrachtet werden, sondern dass sie auch gespielt werden, performt, und so quasi die Szene selbst zum Manifest wird. Wichtig ist auch, dass sie von einer Frau gesprochen werden. Diese Methoden haben alle das gleiche Ziel: Diese Texte in ihrer ursprünglichen Schönheit neu lesbar zu machen.

Durch dem Prozess des Collagierens sind die Textfragmente ja auch thematisch gebündelt und dem jeweiligen Themenkomplex ist ein Bild gegenübergestellt. Die CEO in ihrem Haus am See spricht Fragmente zum Beispiel aus einem „Blaue Reiter“-Text. Und einige dieser Künstler haben ja selbst hier in Bayern an Seen gelebt und gearbeitet. Aber im Kontext dieser Villa wirken die Worte gezähmt, domestiziert.

Übrigens wurde das in der Villa des Sohnes von Sigmund Freud gedreht, das ist vielleicht nicht wichtig, aber da entstehen für mich sehr schöne Bilder. Natürlich gibt es auch Bezüge zur Malereigeschichte, eine Caspar-David-Friedrich-Referenz zum Beispiel. Aber den Konflikt mit der Domestizierung gab es ja schon immer. Es gab immer die Ebene der Gesellschaft, der Mäzene, die Kunst gefördert, gesammelt, finanziert und ermöglicht hat. Die stand aber auch oft im eklatanten Widerspruch gerade auch zum Lebensstil der KünstlerInnen. Das ist heute nicht anders.

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Julian Rosefeldt: Manifesto (Film still), 2015, © Julian Rosefeldt und VG Bild-Kunst, Bonn.

In der Sequenz mit der alleinerziehenden Mutter werden architekturtheoretische Manifeste der Moderne zitiert. Und die Protagonistin fährt mit ihrem Moped durch die Stadt, vorbei an der quasi manifest gewordenen Theorie, den tatsächlichen Gebäuden in Berlin. Die Stadt als reales Produkt dieser Überlegungen.

Das ist genau das Spannungsfeld zwischen der Inszenierung und dem eigentlichen Text, in dem sich der Betrachter selbst positionieren muss. Viele der Architekturen sind in ihrer Funktion auch nicht sofort lesbar. Aber gerade in dieser Architekturcollage sind wahnsinnige Ansprüche formuliert und im Bild sehe ich dann einen Müllbunker und davor Plattenbauten in Berlin. Das zeigt auch das tragische Potential vieler Manifest-Texte, die mit einem unglaublichen Anspruch antreten und natürlich auch wissen, dass das alles wahrscheinlich so nicht passieren wird. Aber gerade in ihrer ungestümen Anmaßung entfalten sie eine Kraft, die im Zusammenspiel mit der Realität und dem, was wirklich daraus geworden ist, vielleicht noch stärker wird. Gerade, weil sie dadurch auch zu fragilen Texten werden – man sieht, dass eben nicht alles so erfüllbar war.

Die Texte werden sehr ernst behandelt. Mit was für einem Gefühl geht man an solche Texte heran? Wehmütig? Nostalgisch? Ehrfürchtig?

Ehrfurcht gar nicht, aber mit ganz großer Liebe. Ich habe mich, das muss ich ganz kitschig sagen, in diese Texte verliebt. Ich fand sie wahnsinnig toll. Gerade natürlich auch, weil es eine Entdeckung war, zu sehen, dass diese Künstler und Künstlerinnen auch literarisch und dichterisch talentiert sind. Einige der Texte kennt man ja, aber die meisten kannte ich nicht. Da sind wunderschöne Texte dabei. Ernst insofern, dass ich sie ernst genommen habe – gleichzeitig wissend, dass die meisten in den frühen 20er Lebensjahren geschrieben wurden. In dieser Lebensphase tritt man besonders laut auf, obwohl man sich noch total unsicher ist. Ich spüre da eine ganz starke Fragilität und Unsicherheit und das fand ich sehr sympathisch. Ich habe sie für das genommen, was sie sind und nur den Text gelesen – unabhängig von Kunstgeschichte und all dem, was das Werk dann danach mit diesen Texten gemacht hat. Aber da ist auch ein Humor in der Arbeit, der ganz stark die Idee transportiert, dass man, bei allem Ernst, als Künstler mit all dem was man so tut natürlich auch immer eine kritische Distanz zu sich selber hat. Und je anmaßender man etwas proklamiert, desto genauer weiß man, dass das nicht wirklich buchstäblich gemeint ist.

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Julian Rosefeldt: Manifesto (Film still), 2015, © Julian Rosefeldt und VG Bild-Kunst, Bonn.

Gab es für die jeweiligen Paarungen auch einen formalen Anspruch in der Umsetzung? Bei der Sequenz, die sich der Konzeptkunst widmet, mit der Nachrichtensprecherin und ihrer Reporterin, wird die Illusion am Ende gebrochen. Da kann man sehen, wie nach der Szene die Regenmaschine ausgemacht wird und der Tonmann das Mikro abnimmt. Da sieht man die Filmbeleuchtung. Ist das auch eine Reflexion des konzeptuellen Ansatzes?

Zu jedem Manifest, zu jeder Szene gibt es viele Geschichten und eine vielfältige Annäherung. Es gibt auch viele Filmbezüge, die man nicht sehen muss, die aber natürlich auch beitragen. Es gibt immer so eine Art von Batterie hinter jedem Projekt, in der Energie steckt und die ist immer spürbar, aber ich kann sie nicht so genau lokalisieren. Das sind eben die ganzen Details, die in der Arbeit stecken. Und glücklicher Weise bemerkt die auch immer jemand. Einige Sachen sind evident, das Spiel mit Malewitschs ‚Schwarzem Quadrat’ und auch Stanley Kubricks Monolith, der schwebt, da baue ich Brücken. Andere Sachen sind vielleicht nicht so evident, Bezüge zu Antonioni zum Beispiel. Aber es gibt immer viele Ebenen, die mich interessieren. Ich beschäftige mich ja auch generell in meiner Arbeit mir der Mythenmaschine Kino, also mit der Konstruktion von Realitäten, die nicht nur auf der Leinwand als Nichtrealität erkennbar sind. Ich weiß, dass ich gerade eine Fiktion sehe, aber es gibt auch einen Rückschluss. Von mir als Betrachter kann das ja auch ins reale Leben verwandelt werden, weil ich mich danach verhalte. Wie würde ich mich verhalten, zum Beispiel in Bezug auf Romantik und Erotik, wenn ich meinem Leben keinen einzigen Film gesehen hätte? Das ist ein Moment des Ricochet. Und dann entstehen aus diesen Kino-Konsumenten wieder Bildermacher, die die Erfahrung wieder zurückgeben und andere Bilder produzieren.

In den Szenen gibt es eine Choreographin, eine Puppenspielerin, eine Sängerin, also kreativ arbeitende Personen, aber keiner der Screens zeigt einen Künstler.

„The artist is present“, wie es so schön auf Einladungskarten zu lesen ist. Der Künstler ist natürlich überall da, durch den Text. Der darf im Bild nicht vorkommen, das ist nicht nötig. Das schwebt mit, da ich ja weiß, dass die Texte von Künstlern geschrieben wurden.

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Installationsicht: “Manifesto. Julian Rosefeldt”, Museum Villa Stuck, Foto: Jann Averwerser.

„Manifesto“ gibt es ja auch als Kinofassung, bald zu sehen in München beim Kino der Kunst Festival. Wie gestaltet sich der Prozess, eine Multi-Kanal-Arbeit auf eine einzige Leinwand zu übersetzen?

Das hatte ursprünglich auch einen produktionstechnischen Grund, dass wir, um die Arbeit zu finanzieren noch Leute an Bord genommen haben, die mit einer Mehr-Kanal-Version nicht arbeiten konnten, zum Beispiel der Bayerische Rundfunk. Da gibt es zwei sehr starke Frauen. Die eine ist inzwischen die Leiterin der Filmhochschule, Bettina Reitz, die andere arbeitet beim BR, Cornelia Ackers. Die haben sich für mehr Kunst im Fernsehen eingesetzt und sich sehr um „Manifesto“ bemüht. Der Anspruch war aber, dass ich ihnen etwas gebe, das sie senden können. Das war von Anfang an immer mitgedacht. Aber das ist nicht der einzige Grund. Wenn man schon mit einer Schauspielerin wie Cate Blanchett arbeitet, kann man sich vorstellen, dass eine solche Arbeit in ihrem Kontext eine ganz andere Wirkung entfalten kann, wenn man sie als Kinofilm veröffentlicht. Es ist ja keine Narration, es sind auch keine zwölf Kurzgeschichten. Es sind, wenn überhaupt, zwölf Situationen. Der Film ist komplett anders geworden als die Installation. Man kann es sich schwer vorstellen, weil beide aus den gleichen zwölf Drehtagen bestehen. Aber wir haben ganz von vorne angefangen zu denken, wie es denn funktionieren könnte. Im Kino denkst du immer, du wirst an die Hand genommen und dir wird eine Geschichte erzählt. Diese Geschichte können wir nicht liefern. Aber was wir machen können, ist über den Bildfluss den Betrachter engagiert halten. Weg von einer analytischen Position, die man eher in der Installation einnimmt. Auch wenn man sich individuell in die einzelnen Screens vertiefen kann, hat man trotzdem den analytischen Gesamtblick. Im Film ist das anders. Man sitzt im Kino und denkt, jetzt kommt die Geschichte. Das haben wir visuell gelöst. Außerdem haben wir mit Musik gearbeitet und einem bestimmten Credit-Design. Es ist wirklich ein völlig anderes Werk entstanden, das jetzt auch ein anderes Publikum finden wird. Und das gefällt mir gerade wieder im Sinne des Manifests, das als Flugblatt rausgeworfen wird und wer auch immer es sich greift, liest, was draufsteht.

Dieses Interview erschien bereits in der März-Ausgabe der Village Voice im Super Paper.

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