Kontemplation vor Konsum
art berlin contemporary 2016

18. September 2016 • Text von

Es ist heiß, es ist laut, es ist voll. Die Kunstmesse abc, das Herzstück der Berlin Art Week, findet dieses Wochenende zum neunten Mal statt. Die Schnelllebigkeit des Kunstmarktes konkurriert mit der Autonomie des einzelnen Werkes. Aber gute Kunst stielt der Selbstdarstellung der Galerien die Show.

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Installationsansicht abc art berlin contemporary: Joaquín Luzoro. Ausgestellt von Galería Metropolitana. Foto: Stefan Korte.

Über Kunstmessen zu schreiben ist schwierig: Die Ausstellung hat kein Thema und es gibt keinen gemeinsamen Nenner, sondern nur ein Nebeneinander von individuellen künstlerischen Positionen. Für die Auswahl der Künstler ist kein Kurator verantwortlich, sondern jede Galerie selbst. Die Kunst an sich wie gewohnt zu beurteilen – gefällt mir, gefällt mir nicht – wäre verblendet. Das eigentliche Kriterium ist in diesem Fall: verkaufbar, nicht verkaufbar. Über Kunstmessen zu schreiben ist schwierig, weil sie nicht für den durchschnittlichen Kunstinteressierten gemacht sind, sondern für Sammler und alle Anderen, die es sich leisten können. Die abc ist eine solche Kunstmesse, aber Berlin ist keine Stadt, in der ein solches Publikum zuhause ist. Was in Basel, London, New York, Miami und auch in Köln funktioniert, erscheint hier fehl am Platz. So ist die diesjährige Ausgabe der „art berlin contemporary“ nur halb so groß wie im Vorjahr, anstatt 105 sind nur 62 Galerien vertreten. Das zehnjährige Jubiläum wird nicht groß angekündigt, sondern mit einem zögerlichen Fragezeichen versehen. Denn die Mietpreise für den Veranstaltungsort, die Station Berlin am Gleisdreieck, steigen mitunter schneller als die Kunstpreise.

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Installation view abc art berlin contemporary 2016: From left to right: Galerie Thomas Schulte | Julian Irlinger, Sprüth Magers | Andreas Schulze, Grimmuseum | Alona Rodeh. Foto: Stefan Korte.

Die vordere Halle des Postbahnhofes ist durchsetzt von kabinettförmigen Einbauten, die eine intime Betrachtung der Werke ermöglichen sollen und den weitläufigen Raum in ein Labyrinth verwandeln. Das herausgeputzte Kunstpublikum, die beschäftigt telefonierenden Mitarbeiter der Galerien, eine Vielzahl von Macbooks und gezückten Smartphones stellen zusätzliche Hindernisse dar. Die Mehrheit der Kunstwerke lässt sich einer der folgenden Kategorien zuordnen: „pompös rumstehend“, „dekorativ an der Wand“ oder „der Albtraum jeder Putzfrau“. Die Skulptur versteckt sich hinter verzerrten Größenverhältnissen und Monochromie. Im Zweidimensionalen dominiert die Geometrie, besonders angesagt ist jegliche Form von optischen Täuschungen. Im Zweifel ist einfach alles schön, sauber, gut gemacht und auch verkäuflich. Je mehr Werke ein und dieselbe Ästhetik bedienen, desto weniger Aufmerksamkeit wird der individuellen Arbeit gewidmet. Sowie die Reaktion der anderen Besucher jedoch ein anderes Tempo vorgibt als die Hektik der Kunstmesse, sehen wir genauer hin. Gute Kunst kann man nämlich nicht im Vorbeigehen erkennen.

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Aya Haider: „Untitled 2“ from the Wish you were here series, 2016. Ausgestellt bei ATHR. Courtesy of the artist and ATHR, Jeddah, Saudi Arabia.

Vor der Videoarbeit des Künstlerkollektives GCC, ausgestellt von Kraupa-Tuskany Zeidler, steht eine Traube von Menschen. Sie blicken auf eine kreisrunde Leinwand, die in dem abgedunkelten Kabinett von der Decke hängt. Die Kamera wandert durch die repräsentativen Räume eines herrschaftlichen Anwesens und streift dabei immer wieder verschiedene Elektrogeräte, die mit dem barocken Interieur kontrastieren. Fernseher, Telefon und Überwachungskamera sind nicht mehr nur Gebrauchsgegenstand, sondern die einzigen Bewohner des Hauses. Ihre metallische Oberfläche hebt und senkt sich wie der Brustkorb eines Menschen, man sieht und hört sie atmen. Die Auseinandersetzung des Kollektivs mit der zeitgenössischen Kultur der arabischen Golfregion und deren Statussymbolen wurde von dem Kunstfonds Outset Germany prämiert, indem das auf der abc ausgestellte Werk  stellvertretend für eine öffentliche Sammlung angekauft wurde.

An dem Messestand der Saudi-arabischen Galerie ATHR betrachten die Besucher eindringlich eine Serie von Aya Haidiar, deren Präsentation auf den ersten Blick irritiert. Auf weißen Sockeln stehen handelsübliche Postkartenständer mit Karten aus verschiedenen europäischen Städten. Erst beim genauen Hinsehen lässt sich erkennen, dass die Badeurlauber Rettungswesten tragen oder im Hintergrund der idyllischen Landschaft Zelte stehen. Die auf die banalen Bilder gestickten Details verleihen den vorgefertigten Urlaubsgrüßen eine vollkommen neue Bedeutung. Durch Symbole für die Flüchtlingskrise entlarvt die Londoner Künstlerin die Reiseziele der Wohlstandsgesellschaft als Sehnsuchtsorte von Menschen, die in ihrer Heimat nicht sicher sind.

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Despina Stokou: Feminism (light) VI, 2015. Ausgestellt bei EIGEN+ART. Courtesy Galerie EIGEN + ART Leipzig/Berlin. Foto: Maxwell Schwartz

Am Messestand von Eigen+Art werden eifrig Fotos für Instagram geschossen. Die Kunstwerke von Despina Stokou eignen sich perfekt für einen Post. Die griechische Künstlerin widmet sich in ihren neuen Arbeiten der universalen Zeichensprache und der Symbolik von Emojis und beweist damit, dass Kunst, die sich mit dem Internet beschäftigt, nicht digital sein muss. Jeder einzelne Emoji ist von Hand gezeichnet, nur teilweise sind die Gesichter und Gegenstände koloriert. Die serielle Anordnung und das Format der Leinwände erweitert die inhaltliche Auseinandersetzung mit der Smartphone-Kultur um eine formale Ähnlichkeit zwischen Bildschirm und Bild. Die Alltäglichkeit dieses digitalen Vokabulars verstellt den Blick für die linguistische und kulturwissenschaftliche Bedeutung der kleinen gelben Bilder, die Stokou zum Gegenstand ihrer Kunst macht und den Betrachter dadurch zur Auseinandersetzung mit der Sprache des 21. Jahrhunderts verleitet.

WO: Station Berlin, Luckenwalder Strasse 4—6, 10963 Berlin.
WANN: Auftakt war am Donnerstagabend, die Ausstellung hat bis Sonntag, den 18. September um 18 Uhr geöffnet. Alles weitere hier.

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