10 Jahre Miss Read
Ein Gespräch mit Michalis Pichler

4. Mai 2018 • Text von

Publizieren als künstlerische Praxis: Die Miss Read feiert 10-Jähriges Bestehen –mit einem Conceptual Poetics Day, Performances, Vorträgen und Diskursen. Mittelpunkt des Geschehens bildet dieses Jahr Japan. Gallerytalk sprach mit dem Mitbegründer Michalis Pichler.

Dorian Gray

Michalis Pichler, Selfportrait (as Allen Ruppersberg as Hurd Hatfield as Dorian Gray), 2012

Michalis Pichler hat Miss Read 2009 mitbegründet, wo sie das erste mal am KW Institute of Contemporary Art stattfand. Im Haus der Kulturen der Welt präsentieren sich dieses Jahr für nur zwei Tage 267 Künstler, Autoren, Magazinen und Verlage. Fester Bestandteil des Programms ist seit 2013 der Conceptual Poetics Day. Seit 2015 wird die Miss Read gemeinsam mit Yaiza Camps und Moritz Grünke organisiert.

Gallerytalk.net: Wo entstehen in Ihren Augen die Grenzen des zeitgenössischen Publizierens?
Michaelis Pichler: Die Grenzen zu allen möglichen verwandten Bereichen sind fließend. Von Publikation kann man jedenfalls erst sprechen, wenn ein Buch oder e-book auch zirkuliert. Einen sehr vielschichtigen Einblick in das zeitgenössische Publizieren kann zunächst ein Rundgang auf der Miss Read 2018 vermitteln. 

Was sind im Zuge der starken Digitalisierung die Möglichkeiten des Buches?
Die Schwächen des Buches sind auch seine Stärken, und das sind alle Bereiche seiner Materialität. Damit meine ich nicht nur das Papier und die Druckerschwärze, sondern auch seine Typografie, Paginierung, Skalierung, Bindung, den Einsatz der verschiedenen strukturellen Elemente von Cover über Vorsatzseiten, Buchblock und Rücken, bis hin zu der Art seiner Distribution. Wenn damit bewusst umgegangen wird, kann man im Idealfall von Materialzärtlichkeit sprechen. Materialzärtlichkeit kann es allerdings auch geben bei digitalen Publikationen. Nur, dass man bei digitalen Publikationen dann von anderen strukturellen Elementen spricht – Alessandro Ludovico hat versucht, diese Elemente in einem Appendix zu seinem Buch Post-Digital Print tabellarisch gegenüberzustellen.

Die Anthologie Publishing Manifesto, die anlässlich des 10-jährigen Jubiläums von Miss Read veröffentlicht wird, thematisiert die kritische Auseinandersetzung mit dem Publizieren. Was kann ich mir darunter vorstellen?
Ein Auszug aus dem genannten Buch von Alessandro Ludovico ist in Publishing Manifestos abgedruckt, aber auch andere Schlüsseltexte zum Publizieren. Zur strukturellen Analyse des Buches sind das zum Beispiel Ulises Carriòn, Zenon Fajfer und bpNichol und Steve McCaffery, zum (Post-)Digitalen Publizieren sind es Seth Price, Paul Soullelis, Derek Beaulieu, Eric Watier. Andere Themenkomplexe sind (Artists) Books, Buch as alternatives mise-en-scene, Appropriation, Conceptual Writing, reading, Distribution, Self-Publishing, POD und nicht zuletzt der soziale Kontext, Öffentlichkeit/öffentlicher Raum und (nicht) korrumpierte Ökonomien.

Dorian

Michalis Pichler, Selfportrait (as Allen Ruppersberg as Hurd Hatfield as Dorian Gray), 2014

Themenschwerpunkt ist dieses Jahr Japan. Was macht das Land in diesem Bereich so spannend? Wie gestaltet sich die literarische und künstlerische Szene in Japan?
Der Bereich, der uns interessiert, fängt eigentlich schon im 18. Jahrhundert an mit der Holzschnitt-Tradition und Künstlern wie Katsushika Hokusai, Utagawa Hiroshige, Kuniyoshi und Kunisada und den numerischen Titeln, die sie für Ihre Publikationen verwendet haben, wie zum Beispiel 36 Ansichten des Berg Fuji, die 53 Stationen des Tokaido oder Acht Ansichten des Biwa-Sees. Eine Art Titel, die auch für manche Künstlerbücher des 20. und auch des beginnenden 21.Jahrhunderts stilbildend waren. Ich denke da insbesondere an Ed Ruscha und die zeitgenössischen After-Ruscha, auch wenn die Verbindung zu Japan hier selten gesehen wird.

Wie ist der Kontakt zu japanischen AutorInnen und KünstlerInnen enstanden?
In Japan gibt es eine sehr aktive Szene sowohl Verlagen und Projekten, als auch an Künstlern/Autoren, die teilweise auch mit in Europa ansässigen Verlagen wie Nieves oder Rollo Press zusammenarbeiten. Teilweise haben diese auch schon auf der Miss Read ausgestellt, und man traf auch einige auf der New York Art Book Fair, allerdings nie mehr als 5 bis 7 Aussteller in Persona, einfach weil es auch eine logistische Herausforderung ist und die Reisekosten so hoch sind. Wir haben es uns aber bereits nach der letzten Miss Read (die in 2017 einen Fokus auf UK hatte) zum Ziel gesezt, eine kritische Masse von guten Ausstellern aus Japan zusammenzubekommen, was mit 25 Auststellertischen auch gelungen ist. Dabei hat Yaiza Camps aus dem Miss-Read-Team eng zusammengearbeitet mit Shin Akiyama, Verleger von edition.nord aus Niigata. Das wäre dennoch kaum möglich gewesen ohne die finanzielle Förderung der Senatsverwaltung für Kultur und die Jadestiftung.

Japan gilt als ein hochmodernes Land. Spiegelt sich das in der Kunst wieder? Und wenn ja, wie?
In den 70er jahren wäre da sicherlich zuerst das Umfeld des Provoke Magazine zu nennen, mit Leuten wie Daido Moriyama, Nobuyoshi Araki und Shomei Tomatsu. Heute gibt es auch eine sehr aktive Szene, die auf der Miss Read von Masanao Hirayama (himaa), Takashi Homma, commune press, Einstein Studio, Hehe, Rondade, Super Labo, crevasse, Case Publishing und anderen repräsentiert wird.

Ihr Wunsch als Künstler ist es, nicht im Internet aufzutauchen. Ich konnte Sie aber trotzdem über Google finden. Seit wann verfolgen Sie diesen Ansatz und wieso?
Über diese Frage könnte man ein längeres Gespräch führen. Fraglich wäre, was genau Sie da im Internet gefunden haben, im Idealfall zumindest nicht eindeutige Zuordnungen. Ich versuche zumindest spielerisch damit umzugehen. Deshalb nehme ich dieses Interview auch gerne zum Anlass, Ihnen zwei Selbstportraits (als Allen Ruppersberg als Hurd Hatfield als Dorian Gray) zur Verfügung zu stellen.

WANN: Vom 4. bis zum 6. Mai, am Freitag von 17 bis 21 Uhr mit anschließender Eröffnungsparty, Samstag und Sonntag jeweils von 12 bis 19 Uhr. 
WO: Im Haus der Kulturen der Welt, John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin. 

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