Wirkung und Ursache
A rock that keeps tigers away im Kunstverein

4. August 2017 • Text von

Die Ausstellung „A rock that keeps tigers away“ im Kunstverein München vereint unterschiedliche künstlerische Positionen im Spannungsfeld von Kausalität und Korrelation und Zufall.

Adrien Tirtiaux: One Nail, 2015/2017, in Zusammenarbeit mit Ursula Gaisbauer. © The artists and Kunstverein München e.V.

Um sich als Mensch in der komplexen Wirklichkeit der Welt zurecht zu finden, entwickelt man unterschiedliche Strategien. Man ordnet und kategorisiert Ereignisse und Erlebnisse. Man versucht zu differenzieren und zu antizipieren, im Umgang mit der Welt. Aus Erfahrung meint man, bestimmte Abfolgen zu erkennen und daraus Schlüsse ziehen zu können. Man unterstellt Gewissheiten und nutzt diese für die Zukunft. Und sei es die vermeintliche Sicherheit, dass auch morgen noch die Schwerkraft auf der Erde wirken wird. Mit dieser Kraft der Gravitation spielt Adrien Tirtiaux in seiner raumgreifenden Installation „One Nail“ in der aktuellen Ausstellung im Kunstverein München. Im hinteren Raum hat der Künstler Holzbalken in einer komplexen Anordnung in die Architektur gespannt, die Verstrebungen sind mit nur einem Nagel im Boden verankert. Das enorme Gewicht der Konstruktion trägt sich selbst, durch komplexe Winkel ruhen die Lasten aufeinander und ergeben so eine Kette, die sich selbst stabilisiert. Entnimmt man ein Glied, fällt sie als Folge in sich zusammen.

Ausstellungsansicht: A rock that keeps tigers away, Kunstverein München © The artists and Kunstverein München e.V.

Die Gruppenausstellung „A rock that keeps tigers away“ im Kunstverein zeigt Arbeiten, die sich in unterschiedlichen Formen den Konzepten von Kausalität, Korrelation und Relation nähern. Der Titel entstammt einer kurzen Sequenz der Fernsehserie „Die Simpsons“, in der Tochter Lisa behauptet, sie sei in Besitz eines Steines, der Tiger davon abhält, sich ihr zu nähern. Als Beweis führt sie die Abwesenheit jeglicher Tiger an. Ihr Vater Homer will ihr den vermeintlichen Wunderstein sofort abkaufen. Diesen logischen Fehlschluss, einem Objekt mittels einer fadenscheinigen Kausalität eine Funktion zuzuschreiben, nimmt Kurator Post Brothers als Ausgangspunkt für eine Ausstellung, die unterschiedliche künstlerische Positionen zueinander in Beziehung setzt. Gezeigt werden Arbeiten, die sich teils humorvoll, teils poetisch den Dingen, ihren Qualitäten und Relationen untereinander widmen.

Herwig Weiser: Summoned Disambiguation, 2013/2017,  in Zusammenarbeit mit Wendelin Weingartner, Kunstverein München, © The artist and Kunstverein München e.V.

Die Ansätze sind dabei höchst unterschiedlich. Wie ein wissenschaftlicher Versuchsaufbau wirkt Herwig Weisers „Summoned Disambiguation“, eine Konstruktion, in der Materialien durch Druck ihren Aggregatszustand ändern, Formen bilden und sich selbst wieder zersetzen, wobei, nicht wie im Titel angedeutet, wenig eindeutig gemacht wird, sondern vieles offen bleibt. Einen fast schamanistischen Ansatz hingegen verfolgt Laura Kaminskaite in ihrer Arbeit „Sugar Entertainment“, in der sie einen 2 Kubikzentimerter großen Zuckerwürfel präsentiert, der nicht nur den White Cube der Galerieräume spiegelt, sondern auch Informationen aufnehmen kann und diese in sich speichert. Eine Fähigkeit, die auch unterschiedliche Hellseher Zucker unterstellen. Die Strategie, Objekten ungewöhnliche Qualitäten zuschreiben, wird jedoch nicht nur in der Esoterik angewandt. Spätestens seit Marcel Duchamp laden auch Künstler Objekte des Alltags mit transzendentalen Qualitäten auf, transformieren sie und geben ihnen so eine neue Dimension.

Laura Kaminskaitė: Sugar Entertainment, 2011–ongoing, Zuckerwürfel und Laura Kaminskaitė: ______________, 2017, Text auf Karte, Kunstverein München © The artist and Kunstverein München e.V.

Verschwommen sind auf Freek Wambacqs Arbeit „ Flies gave zebras their stripes – maybe“ vier Pferdeattrappen zu sehen. Darunter ein Zeitungstext, der Beschreibt, wie Wissenschaftler in einem Test unterschiedlichen Pferdepuppen unterschiedliche Fellmuster gegeben haben, um zu erforschen, ob die Farbe und das Muster des Fells einen Einfluss auf die Anziehungskraft auf Fliegen haben. Im Versuch stellte sich heraus, dass die schwarz-weiß gestreifte Attrappe am wenigsten von Fliegen belästigt wurde. Daraus schlossen die Wissenschaftler, dass Zebrastreifen einen evolutionsbiologischen Vorteil bedeuten, da sie für Fliegen weniger attraktiv wirken.

Freek Wambacq: Flies gave zebras their stripes – maybe, 2017, © The artist and Kunstverein München e.V.

Vielleicht, denn ganz sicher konnten die Wissenschaftler diese Behauptung nicht beweisen. Genau diese verbale Einschränkung beschreibt nicht nur den Kern der Fragestellung der Ausstellung „A rock that keeps tigers away“ sondern illustriert eine Haltung der Welt gegenüber, die Zweifel und Offenheit zulässt. Eine Bedingung, die scheinbare Gewissheiten in Frage stellt, so zwar Unsicherheit in sich birgt, aber auch Freiheit in der Wahrnehmung der Welt.

WANN: Die Ausstellung ist noch bis zum 17. September zu sehen.
WO: Kunstverein München, Galeriestrasse 4 (Am Hofgarten) 80539 München

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