Where is the Love?
Die 9. Berlin Biennale

8. Juni 2016 • Text von

The Present in Drag. Wenn das The Present ist, dann nichts wie weg hier! Das Kuratorenteam DIS geht in der 9. Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst von einer „Post-Gegenwart“ aus, die einem durchaus Angst machen kann.

Dem Grundkonzept der diesjährigen Berlin Biennale liegt nicht gerade eine positive Weltsicht zugrunde. Das Statement des New Yorker Kollektivs spricht von Menschen als Daten, Kultur als Kapital, Glück als BIP und vielen Paradoxien, die die heutige Welt bestimmen sollen. Eine Sichtweise, die durchaus berechtigt ist, denn unser Globus wird unbestreitbar von immer komplexer und undurchsichtiger werdenden Mächten gelenkt. Diese Probleme der Gegenwart bieten allerdings auch einen unerschöpflichen Nährboden für künstlerische Auseinandersetzung. Denn um zeitgenössisch und aktuell zu sein, muss sich die Kunst am Zeitgeist bedienen, und diesen auf möglichst multimediale Art und Weise visualisieren. Das wird auf der Berlin Biennale besonders deutlich.

Hito Steyerl, Tank/Texture, 2015, © Hito Steyerl.

Hito Steyerl, Tank/Texture, 2015, Courtesy Hito Steyerl.

Durchwegs widmen sich die ausgestellten Arbeiten daher relevanten aktuellen Themen, sind politisch stark aufgeladen und selten humoristisch. Ein gemütliches Durchschlendern durch die fünf Lokalitäten der Biennale ist daher kaum möglich. Und die vielen Videoinstallationen erfordern höchste Aufmerksamkeit. Zu erwähnen sind hierbei besonders die Arbeiten Hito Steyerls in der Akademie der Künste, in denen die Militärpolitik im Irak und in der Ukraine in Computerspieloptik zu der globalen, digitalen Kreativindustrie in Bezug gesetzt wird. In der Feuerle Collection hinterfragt das Künstlerduo Korpys/Löffler die Transparenz von Machtstrukturen wie der Europäischen Zentralbank, indem es Super-8-Sequenzen der Frankfurter Blockupy-Proteste Innenaufnahmen von dessen gläsernen Bauwerk gegenüberstellt.

Korpys/Löffler, Transparenz, Kommunikation, Effizienz, Stabilität, 2016, HD-Videostill, © Korpys/Löffler; Meyer Riegger, Berlin/Karlsruhe.

Korpys/Löffler, Transparenz, Kommunikation, Effizienz, Stabilität, 2016, HD-Videostill, Courtesy Korpys/Löffler; Meyer Riegger, Berlin/Karlsruhe.

Während man sich nun von Bildschirm zu Bildschirm bewegt, drängt sich irgendwann die Frage auf, wo in diesen gruseligen, abstrakten Hyperstrukturen denn jetzt der Mensch als Individuum zu verorten sei. Wo ist das Ich mit seinen Gefühlen, Gedanken und Leidenschaften?  DIS liefert hierzu die trockene Antwort: „Dieser Figur des Selbst bereitet die 9. Berlin Biennale eine Bühne, auf der sie ihre eigene Obsoleszenz durchspielen kann.“ Geht die Menschheit den Bach runter? Kein Wunder, wenn man sich ausgelaugt fühlt, nachdem man sich durch die Ausstellungsorte gekämpft hat und dann auch noch an sich selbst zweifeln muss. Diese fehlende Menschlichkeit ist es auch, die viele der gezeigten Werke so schwer für den normalen Besucher zugänglich macht.  

Cécile B. Evans, What the Heart Wants, 2016, Videostill, © Cécile B. Evans/Andres Parody; Barbara Seiler, Zürich; Galerie Emanuel Layr, Wien.

Cécile B. Evans, What the Heart Wants, 2016, Videostill, Courtesy Cécile B. Evans/Andres Parody; Barbara Seiler, Zürich; Galerie Emanuel Layr, Wien.

Doch geht es bei der Biennale auch nicht ganz unmenschlich zu, weshalb an dieser Stelle dringend Cécile B. Evans genannt werden muss, die mit ihrer Arbeit „What the Heart Wants“ das gesamte Untergeschoss der Kunst-Werke geflutet hat. Von einem Steg aus kann man sich der Videoinstallation hingeben, die den Wert von Emotionen unter dem Einfluss technologischer und gesellschaftlicher Erneuerungen untersucht und damit einlenkt. Die Arbeit wirkt der Fremddefinition von Individualität durch Unternehmen entgegen und ermutigt zur Selbstbehauptung.

Camille Henrot, Office of Unreplied Emails, 2016, Courtesy Camille Henrot; König Galerie, Berlin; kamel mennour, Paris; Metro Pictures, New York; Foto: Timo Ohler © VG Bild-Kunst, Bonn 2016.

Camille Henrot, Office of Unreplied Emails, 2016, Courtesy Camille Henrot; König Galerie, Berlin; kamel mennour, Paris; Metro Pictures, New York; Foto: Timo Ohler © VG Bild-Kunst, Bonn 2016.

Auch Camille Henrot wehrt sich gegen die zunehmende Anonymisierung des Menschen und die Automatisierung von Kommunikation und Informationsverbreitung. Ihr „Office of Unreplied Emails“ besteht aus äußerst emotionalen, persönlichen Antworten auf politische oder kommerzielle Rundmails von Greenpeace, Groupon und Anderen, die ihr Produkte, eine politische Meinung oder einen Lifestyle aufdrängen wollen. Die 100 handschriftlich verfassten Emails sind charmant, ironisch und räumen dem individuellem Leiden gegenüber globaler Krisen einen Platz ein.

Alexa Karolinski/Ingo Niermann, Army of Love, 2016, Videostill, Courtesy Alexa Karolinski/Ingo Niermann; Ingo Niermann/© VG Bild-Kunst, Bonn 2016.

Alexa Karolinski/Ingo Niermann, Army of Love, 2016, Videostill, Courtesy Alexa Karolinski/Ingo Niermann; Ingo Niermann/© VG Bild-Kunst, Bonn 2016.

Schlussendlich gibt es ja auch noch die Liebe, die Essenz der Menschlichkeit. Und glücklicherweise findet sie, entromantisiert und als Konzept modernisiert, in der Berlin Biennale auch noch einen kleinen Platz. Alexa Karolinski und Ingo Niermanns „Army of Love“, eine Art Pseudo-Dokumentation und Vermarktungsvideo, führt eine utopische Streitmacht vor, die unter Einsatz eigener Kräfte gegen Einsamkeit und Herzschmerz in der Bevölkerung vorgeht. Konkret bedeutet das Streicheleinheiten und nacktes Floaten unter Fremden. Zwar ist der Liebesbegriff, der dem Werk unterliegt, ein nüchterner, doch ist die dargestellte gegenseitige Zuwendung zumindest ein wenig hoffnungsvoll und herzerwärmend.

Grundsätzlich ist der Jetzt-Zustand der Welt, den uns die Berlin Biennale dieses Jahr präsentiert, jedoch alles andere als rosig. Es scheint als hätte den Kuratoren alles daran gelegen, einen positiven Ausblick in die Zukunft zu verhindern. Vielleicht sehen sie gerade in der Schonungslosigkeit ihrer Aufmachung einen Katalysator für Reflexion und Veränderung.

WANN: Die 9. Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst läuft bis zum 18 September 2016.
WO: Es werden fünf unterschiedliche Schauplätze bespielt. Hier geht’s zu den detaillierten Infos rund um die Biennale.

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