WANDELISM
Berliner Street-Art der Superlative

26. April 2018 • Text von

Zeitgleich zum kommerziell aufgeladenen Gallery Weekend, geht das Ausstellungsprojekt Wandelism, ein Zelebrieren der Berliner Sub-Kultur, in die zweite Runde.

„Wandelism“ – das steht für Wand, Wandel, Vandalismus. Essentielle Begriffe der Street-Art, die der großen Schau Berliner Street-Art-Künstler ihren Namen gaben.Vor allem um den Wandel geht es in der Ausstellung, die zum zweiten Mal Berlins Subkultur eine große Bühne bietet. Es wird schriller. Es wird lauter. Es wird bunter. Der Wandel in der ehemaligen Autowerkstatt in Berlin-Wilmersdorf hat sich vollzogen.

Mehr als 28.000 Besucher strömten Mitte März in den alten KfZ-Schuppen, um auf 2.000 Quadratmetern Street-Art in geballter Form zu bewundern. Pünktlich zum Berliner Gallery Weekend präsentiert sich Wandelism bis zum Sonntag nicht nur mit einem vielfältigen Programm aus Performances, Life-Paintings und Musik, sondern auch in neuer Gestaltung: 3.000 neue Spraydosen wurden den über 100 teilnehmenden Künstlern zur Verfügung gestellt, die damit Wandflächen teils neu gesprayt oder Bestehendes verwandelt haben.

Verwandlung. Der Wandel steht im Kern dieses Ausstellungsprojekts. Es geht dabei nicht nur um die Neugestaltung der Kunstwerke, vielmehr ist es die Street-Art an sich, die sich den ständigen urbanen Veränderungen und der Zerstörung freier Flächen unterzuordnen hat. „Zerstörung und Kunst waren schon seit jeher eng verbunden. Es gibt immer weniger öffentlichen Raum, den die Künstler für ihre Projekte nutzen können. Aber die Stadt braucht diesen freien Raum, und es ist deshalb eine tolle Möglichkeit, ihnen hier die großen Flächen zur Verfügung zu stellen“, erklärt Moritz Tonne, einer der fünf Ausstellungsmacher von Wandelism. Mit seiner Agentur FTvS Fine Art kuratierte er Projekte in Wien, eher durch Zufall kamen er und sein Partner Jan Fiedler nach Berlin und zur Street-Art. Jerome Graff, Señor Schnu und Baye Fall – Berliner Künstler und in der Szene vernetzt – brachten die Idee zu einem gemeinsamen Ausstellungsprojekt. Letztere hatten die Kontakte, FTvS Fine Arts organisierte die Wände. Große Hallen, die ihnen von einer Immobilienfirma zur Verfügung gestellt wurden, bevor das Gebäude Anfang Mai abgerissen wird.

Vor dem Abriss werden die Wände kreativ gestaltet. Der strenge Geruch von Spraystoff liegt in der Luft – wir laufen durch die Hallen. Überall wird noch gesprayt, verfeinert und gestaltet. In zwei Tagen ist Eröffnung, doch von Hektik ist hier keine Spur. Man sitzt zusammen, tauscht sich aus – es wird getrunken, geraucht. Die Szene kennt sich, schließlich begannen einige der Künstler schon vor 30 Jahren zu sprühen. Berliner Größen haben bei Wandelism mitgesprayt: SHEK, 1UP, SP 38, Tobo – aber auch Newcomer in der Szene wie der Illustrator Hagen Schönfeld, der gemeinsam mit einem Freund zum ersten Mal einen ganzen Raum gestaltet hat. „Normalerweise arbeite ich auf Papier und in Schwarz-Weiß“, sagt er und blickt selbst erstaunt auf seine bunten filigranen Wandbemalungen, die an indische Gottheiten erinnern und den Raum durch ihre intensive Farbigkeit beleben.

Wandel. Auch im eigenen Schaffen. „Alles umändern, da hatte ich nochmal Bock drauf“, sagt auch Anne Bengard, die seit einem Jahr in Berlin lebt und ebenfalls eher ein Newcomer in der Street-Art ist. „Eigentlich komme ich von der Porträtmalerei, ich male figurativ – die alten Meister. Das ist mein Ding.“ Ihr Werk fällt auf. In hellen, weichen Pastelltönen gehalten, ist der Kopf einer schönen Zahnfee zu sehen, die sich mit gesenktem Blick über ihr nächstes Opfer hermacht. Die Zähne, die zur ersten Ausstellung szenisch die beiden Köpfe umgaben, hat die Künstlerin in Goldmünzen umgewandelt. „Die Zahnfee wird doch immer mit Geld verbunden. Außerdem ist Zahnverlust ein Alptraum, es geht um Identifikation, Existenzangst“, sagt Anne. „Es muss ein Konzept dahinter sein. Ich möchte die Leute beschäftigen und Fragen stellen. Positiv schocken.“

Positiv schocken. Das möchte auch Tobo. Er ist schon lange als Street-Art-Künstler tätig und hat mit „Erik Rotheim – ein Berliner Bär mit großer Schnauze“, wie er ihn selbst nennt, einen eigenen Charakter geschaffen. Gemeinsam mit einem Freund hat Tobo für Wandelism den Barbereich direkt am Eingang gestaltet. „Erik Rotheim“ – benannt nach dem Erfinder der Sprühdose – präsentiert sich dort mehrfach als Miniatur oder überlebensgroß rechts von der Bar mit Sprechblase: „Change is the only constant.“ Wie nimmt er die Veränderungen in der Street-Art auf, möchte ich wissen. „Früher gab es einfach mehr Raum, um sich auszutoben. Außerdem waren Graffiti und Street-Art in den Neunziger Jahren breiter akzeptiert. Heute beschwert sich jeder, wenn in seiner Nachbarschaft gesprayt wird. Aber der Wandel hat unsere Arbeit verändert. Früher sah man die Kunst auf der Straße, heute findet man sie im Internet.“ Für die zweite Runde Wandelism hat auch er sein ursprüngliches Werk erneuert. Nicht mehr schwarze und weiße Karos umrahmen die Bar. Man steht vor einem farbigen Geflecht aus Erik Rotheim, nackten Frauen und fließenden Formen, inspiriert von den Gemälden Dalìs: „Wir haben es jetzt bunt gestaltet. Es ist doch Frühling. Wandel.“

Wandelism – das ist eine Ausstellung, die Wandel nicht nur deutlich macht, sondern ihn auch hervorbringt und gleichzeitig der Street-Art-Szene eine Bühne bietet, sich in beinahe etabliertem Licht zu präsentieren. Eine Ausstellung und ein Ereignis, die sich lohnen. „Den Wandel sehen wir auch als eine Abschlussfeier mit ihren Performances und Acts, die wir in den kommenden vier Tagen vollziehen“, sagt Moritz Tonne. Zum Gallery Weekend ist durchgehend geöffnet. „Naja, am Sonntag ist Schluss. Wir müssen putzen. Ganz easy“, sagt er und grinst. Er geht zurück an die Arbeit.

WANN: Donnerstag, den 26. April, geht’s ab 18 Uhr los. Von Freitag bis Sonntag ist durchgehend ab 12 Uhr geöffnet. Ausschlafen muss ja sein. Auch Führungen können auf der Website gebucht werden.
WO: Wilhelmsaue 32, 10713 Berlin.

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