Von Männern und Möwen
David Claerbout im Espace Louis Vuitton

16. Mai 2018 • Text von

David Claerbout ist ausgebildeter Maler und Zeichner. Seine Kunst hingegen ist eine hybride Form aus Fotografie, Film, Malerei und Animation. Im Espace Louis Vuitton zeigt er mit der Ausstellung „Erzähl mir das Ende“ zwei Videoarbeiten, die beide auf ganz eigene Weise zwischen einer hyperrealistischen Ästhetik und dokumentarischer Authentizität schwirren.

David Claerbout, The Algiers’ Sections of a Happy Moment, 2008, Single channel video projection, black & white, stereo audio, Courtesy of the artist and Fondation Louis Vuitton

In „The Algiers´ Section of a Happy Moment“ kreisen Möwen über die Leinwand und über die Köpfe einer Gruppe von Männern unterschiedlichen Alters. Sie haben sich auf einem betonierten Fußballplatz inmitten einer teils verfallenen Wohnsiedlung in Algier zusammengefunden, vor ihnen liegt das Meer. Im Zentrum der heiteren Szene streckt ein junger Mann einer heranfliegenden Möwe ein Stück Brot entgegen. Dieser Moment, eine einzelne eingefrorene Sequenz bildet den Kern des Films, der kein gewöhnlicher Film ist. Vielmehr ist es eine ablaufende Anordnung statischer Bilder, eine fließende und dennoch keineswegs zeitlich fortlaufende Aneinanderreihung von Momentaufnahmen. Vierzig Minuten lang zeigt Claerbout in dieser Art musikhinterlegten Slideshow, was sich in einem Moment an einem Ort um ein Geschehnis entspinnt. Als Zuschauer erhält man einen 360-Grad-Eindruck – vertikal wie horizontal –, denn die Bilder kreisen wie die Möwen um die Protagonisten und die anderen Vögel, nähern sich ihnen bis auf wenige Zentimeter und zeigen die Szene von oben. Durch dieses stete Heranzoomen und Ausblenden entsteht die vermeintliche Idee einer filmischen Narration, einer chronologischen und inhaltlichen Struktur.

David Claerbout, The Algiers’ Sections of a Happy Moment, 2008, Single channel video projection, black & white, stereo audio, Courtesy of the artist and Fondation Louis Vuitton

„The Algiers´ Section of a Happy Moment“ erinnert zunächst an bekannte dokumentarische Schwarz-Weiß-Fotografie, ihr wird jedoch ein omnipräsentes digitales Moment hinzugegeben. Diese virtuelle Optik entsteht vor allem durch eine extreme plastische, tiefenscharfe Abbildung der einzelnen Elemente und Perspektiven. Für „The Algiers´ Section of a Happy Moment“ hat Claerbout 600 Fotografien aus ursprünglich 50.000 Aufnahmen zusammengestellt, die bereits in ihrer Einzelheit eine Komposition darstellen. Während das urbane Setting tatsächlich in Algier aufgenommen wurde, stammen die Bilder der Möwen aus Ostende und die der Menschen aus Antwerpen.

David Claerbout, Travel, 1996-2013, Projection Detail Single channel video projection, HD animation, colour, stereo sound Courtesy of the artist and Fondation Louis Vuitton.

„Travel“ ist die zweite Videoarbeit, die der Espace Louis Vuitton in einer tiefschwarzen Filmkabine im oberen Saal zeigt. „Travel“ ist wie der Name schon sagt eine Reise, eine Kamerafahrt, die von einer Parkbank ausgeht und immer tiefer vordringt in ein hiesiges Waldstück und einen tropischen Urwald, um letztlich die Vogelperspektive einzunehmen. Langsam erhebt sich das Bild wie bei einer Heißluftballonfahrt und zeigt eine mitteleuropäische Landschaft im Sommer. Ganz wohlig wird einem zumute, wenn zu einer therapeutischen Entspannungsmelodie des Komponisten Eric Breton die Kamera sachte durch das grüne Dickicht schwebt, plätscherndes Wasser sucht und ein paar Staubkörner einfängt, die erst im direkt einfallenden Sonnenstrahl sichtbar werden. Bei aller Authentizität und Genauigkeit, die „Travel“ birgt, wird jedoch irgendwann deutlich, dass dieser vermeintliche Sehnsuchtsort, der Ruhe, Natur, Romantik und Kitsch verbindet, so komponiert ist wie Bretons Entspannungsklänge. Es ist alles echter als echt und wirkt dadurch digital. In jahrelanger Arbeit hat Claerbout „Travel“ mit seinem Team von null auf gestaltet und animiert bis sie zu einer schieren Perfektion gelangten, die sich sukzessive im Video aufbaut.

„Erzähl mir das Ende“ ist eine Ausstellung, die mit vertrauten Genres, kunsthistorischen Traditionen und unseren Sehgewohnheiten spielt. Das macht sie einfach und komplex, zugänglich und hermetisch zugleich.

WANN: Die Ausstellung „Erzähl mir das Ende“ ist noch bis zum 25. August 2018 zu sehen.
WO: Espace Louis Vuitton, Maximilianstraße 2a, 80539 München.

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