Von Goldzähnen und Diamanten
Interview mit dem Maler-Musiker Marco Stanke

1. Oktober 2016 • Text von

Wenn es einen Wettbewerb gäbe, um der alten Binsenweisheit „stille Wasser sind tief” wieder frisches Leben einzuhauchen, dann wäre Marco Stanke sicher unter den Preisträgern. Wir haben das Multi-Talent zu seinen aktuellen Projekten und Eingebungen befragt und wissen jetzt endlich auch wo Künstler ihre Diamanten verstecken.

Marco Stanke, Tonträger, 2016, Siebdruck auf Papier (7 inch), Plattenspieler

Marco Stanke, Tonträger, 2016, Siebdruck auf Papier (7 inch), Plattenspieler

Marco Stanke ist das, was man früher wohl als „netten Burschen” bezeichnet hätte oder inzwischen eher als „nice guy”. Ein ruhiger, stets freundlich lächelnder Typ im Pulli, der hin und wieder das Geschehen etwas zu leise mit einem witzigen Spruch kommentiert. Dass er mit seinen Band-Projekten „Die Hartjungs” und „Polizei” die regionale und überregionale Musik-Szene klanggewaltig zum Wackeln bringt und gerade zu so etwas wie einem Shooting-Star der jungen Malerei avanciert, würde man vielleicht nicht erwarten. Wer sich seinen coolen Formenreichtum derzeit live zu Gemüte führen möchte, hat dazu Gelegenheit bei der Ausstellung zum 10-jährigen Bestehen der Rotary Collection Nürnberg-Sigena, die noch bis kommenden Dienstag in der Kunstakademie zu sehen ist.

Bei Thomas Hartmann in Nürnberg hast Du vor gut vier Jahren begonnen, Malerei zu studieren. Wie blickst Du auf diese Zeit zurück? Hast Du einen Tipp für Erstsemestler?
Die letzten vier Jahre waren eine Zeit, in der sich mein Leben vollkommen umgekrempelt hat. Ich begann das Studium an der Kunstakademie Nürnberg mit dem (im Nachhinein) schönen Gefühl, die Kontrolle über meine Zukunft zu verlieren. Zuvor absolvierte ich strebsam ein Lehramtsstudium, wollte Realschulkunstlehrer werden, erwarb einen Magistertitel und fing obendrein eine Promotion an: Lehrer, Magister, Doktor — das klingt doch nach Sicherheit! Aber dennoch: Das war nicht das, was ich wollte. Es war eher das Gefühl, das wollen zu müssen. Denn eigentlich stand mir der Sinn danach, mich auf etwas Ungewisses einzulassen und „richtige Kunst” in einem ungezwungenen Rahmen zu machen, weshalb ich mich an der Akademie bewarb. Der Start war freilich etwas holprig; es dauert, bis man sein Ding findet. Dabei traf ich anfangs nicht nur mit Thomas Hartmann einen Menschen, der mir viel Unterstützung zuteil werden ließ, sondern fand auch unter meinen Mitstudenten konstruktive Ratgeber, die keine Kritik scheuten und meinen Horizont unglaublich erweiterten. Ich entwickelte einen für mich neuen Draht zur Malerei und zur Druckgrafik. Es folgten allmählich die ersten Ausstellungen — bis ich plötzlich merkte, dass es gut war, gegen seine früheren Zukunftsvorstellungen zu rebellieren. Und dann entstanden wie aus dem Nichts die Hartjungs, die mir wohl einige der großartigsten Momente in meinem Leben bescherten. Jeder bringt natürlich seine eigenen Voraussetzungen für so ein Studium mit, ebenso seine eigenen Erwartungen. Was ich mit Sicherheit allen Erstsemestlern sagen kann, die sich auf das Freie-Kunst-Abenteuer einlassen: Sucht den Austausch und glaubt an euch, auch wenn’s manchmal wehtut. 

Marco Stanke, Analphabet, 20 Leinwandobjekte, Anordnung zur Jahresausstellung, AdBK Nürnberg, 2016, Foto: Johannes Kersting

Marco Stanke, Analphabet, 20 Leinwandobjekte, Anordnung zur Jahresausstellung, AdBK Nürnberg, 2016, Foto: Johannes Kersting

Du bist ja nicht nur Bildender Künstler, sondern auch Musiker. Seit einiger Zeit macht ihr mit den Hartjungs die Clubs der Republik unsicher und neuerdings auch mit dem post-pop Projekt Polizei. Wie würdest Du Euren Musik-Stil umschreiben? Habt ihr bestimmte musikalische Vorbilder?
Beide Bands leben von einem relativ ungefilterten Zugang zur Musik. Wir verlassen uns nicht auf ein Genre, sondern bedienen uns an allem, was uns zufliegt: Von Maschinengeräuschen bis hin zu klassischer Musik, von schmalzigen 80ies Hits bis hin zu Techno, von Punk bis hin zu Frühlingsvogelgezwitscher. Mit den Hartjungs sind wir musikalisch flexibel wie ein Gummiband, so dass nicht selten cheesiger Synthi-Pop auf eine gehörzerschmetternde Lärmwand trifft. So passiert es, dass Sänger Lars ab und an Mundharmonika spielt, Noisegitarrenvirtuose Tobi sich über sein getuntes Keyboard lehnt und Michael seine Sticks weglegt, um mit dem iPhone einen Beat zu programmieren — und ich für meinen Teil die Gitarre abhänge, um auf einem Synthesizer, den ich kaum beherrsche, nach zuckersüßen Technosounds zu suchen. Raus kommt etwas, dass wir mit Ach und Krach als Screamo-PsyWave-Disco-Haircut-Impro-Noise-Kraut-Punk paraphrasieren. Mit Polizei folgen wir auf naive Weise unserer klischeebehafteten Vorstellung der Klangwelt der 80er, spielen allerdings alles live und improvisieren, wie bei den Hartjungs auch. Sensationell sind dabei in der Tat die leuchtenden Drumsticks von Michael! Beiden Formationen ist auch gemein, dass niemals auf der Bühne gespielt wird; wir meiden die Frontalbeschallung, sondern wollen die imaginäre Barriere zwischen Band und Publikum aufweichen und das Publikum Teil von uns werden lassen. 

Die Hartjungs on Tour

Die Hartjungs on Tour

Du beschäftigst Dich im weitesten Sinne mit Malerei, trotzdem kann man Dich nicht als klassischen Maler bezeichnen. Vor kurzem hast Du etwa mit deinem Bandkollegen Michael Ullrich, ebenfalls Musiker und Bildender Künstler, die schillernde Techno-3D-Skulptur „Boys on Aphrodite” entworfen. Wie siehst Du selbst Deinen medialen Schwerpunkt?
Michael Ullrich und ich trafen für dieses Ausstellungsprojekt als Fotograf und Maler aufeinander. Wir hatten uns in den letzten Jahren gegenseitig immer viel unterstützt und uns gegenseitig Ratschläge gegeben, kannten also die Arbeit des anderen gut. Die ursprünglich geplante Gegenüberstellung von Fotografie und Malerei verwarfen wir jedoch relativ schnell, denn das zu erwartende Ergebnis war uns zu eindeutig. Wenn, dann wollten wir Fotografie und Malerei zusammenbringen, ohne explizit auf die uns vertrauten Medien zurückzugreifen. So ersannen wir eine Art multimedialen Tempel, in dem das Malerische wie das Fotografische sich auf einer Metaebeene trafen, die wir aus einem audiovisuellperformativen Mischmasch aus 3D-Animationen unserer Köpfe und Körperteile in Kombination mit lautem Techno herauslasen.

Boys on Aphrodite

Boys on Aphrodite

Auch Deine malerischen Leinwand-Objekte wirken ja wie Teile eines Ganzen, die sich oft erst im Kollektiv vervollständigen. Wie hat sich dieses Konzept entwickelt?
Es war mein nahezu unüberwindbares Unvermögen, eine Leinwand ohne „Verlegenheitsflächen” zu füllen. Ich fing irgendwann an, die Keilrahmen selbst als Form- und Farbträger zu betrachten, die Malfläche aus vorgefertigten Zusammensteckleisten zu bauen, wie man sie überall kaufen kann. Seit kurzem konstruiere ich modulare Pakete aus unterschiedlichen Leinwandgebilden, die ich „Multis” nenne: Bildbaukästen mit unterschiedlich vielen Einzelteilen, die je nach Raum und Bedarf angeordnet werden können. Mir gefällt der Gedanke, das Bild zum Spielobjekt zu machen, es immerwährend unfertig zu lassen. Dabei ist es mir wichtig, dass die einzelnen Teile, die ja sehr geometrisch und klar wirken, nicht der kühlen Perfektion konkreter Kunst nachstreben, sondern durchaus handmade wirken, ja einen eigenen, lebendigen Charakter besitzen, der sich im spielerischen Umgang mit den Elementen widerspiegelt.

Marco Stanke, Kollektiv, Bender Schwinn Projekt, 2016, Foto: Katharina Schwinn

Marco Stanke, Kollektiv, Bender Schwinn Projekt, 2016, Foto: Katharina Schwinn

Würdest Du auf eine einsame Insel eher ein Instrument oder einen Pinsel mitnehmen?
Ein Instrument, womöglich eine Harfe – Zeit zum Üben hätte ich ja. Meinen inneren Drang nach Bildender Kunst würde ich durch das Bauen von Sandburgen ausleben.

Kürzlich waren in Wien Arbeiten von Dir bei der Ausstellung „If Walls Are Trembling” in der Galerie Lisa Kandlhofer zu sehen, die in diesem Jahr mit ihrer Standpräsentation auf der viennacontemporary als beste nationale Galerie ausgezeichnet wurde. War das für Dich ein wichtiger Schritt?
Ja, das fühlt sich nach einem wichtigen Schritt an: Beteiligt an einer internationalen Gruppenausstellung in der größten Galerie für junge zeitgenössische Kunst in Wien! Lisa Kandlhofer ist zudem eine junge und ambitionierte Galeristin, durch die ich viele tolle Menschen kennenlernen konnte; seien es die ausstellenden Künstler, interessierte Sammler oder ihr engagiertes Galerieteam, das bei der Renovierung ihrer neuen Räumlichkeiten und der Ausstellungsvorbereitung Wunder vollbracht hat. 

Marco Stanke mit Galeristin Lisa Kandlhofer in Wien

Marco Stanke mit Galeristin Lisa Kandlhofer und Künstler Erwin Wurm in Wien

Wo gefällt es Dir besser, in München oder in Nürnberg?
Das kann ich erst in drei Jahren fair beantworten, denn es stehen knapp vier Jahre Nürnberg vier Monaten in München gegenüber. Die Akademie in Nürnberg ist großartig, ein idyllisch gelegener Raum, in dem man gut arbeiten kann. In Nürnberg fand ich viele Freunde, die ich nicht mehr missen möchte, diese Stadt hat mich in gewisser Hinsicht großgezogen. Zudem konnte ich dort erste wichtige Ausstellungserfahrungen sammeln: im zumikon, durch den NN-Kunstpreis, im Edel Extra oder in der Akademie Galerie. Ebenso erfuhr ich eine große Unterstützung durch den Rotary Club, der kürzlich eine Arbeit von mir erwarb. München ist ein ganz anderes Terrain, dem Klischee entsprechend fällt alles schon etwas glatter aus, aber davon darf man sich nicht irritieren lassen. Und natürlich ist das Leben dort teurer, aber man spart dann halt an Goldzähnen und Diamantschmuck. Durch den Quereinstieg in der Klasse von Pia Fries an der AdBK München fand ich auch hier gute Freunde, die mir einen Blick hinter die glatte Fassade ermöglichten, und siehe da: Auch dort gibt es raue Stellen, gibt es Gleichgesinnte! Und in der Galerie von Renate Bender konnte ich mich dieses Jahr schon zweimal an sehr tollen Ausstellungen beteiligen. München – Nürnberg, es gibt kein besser oder schlechter. Wichtig ist nur, sich auf Neues einlassen zu können. Das ist ja auch irgendwie der Grund, weswegen man Kunst macht.

WANN: Marcos Arbeit ist die neueste Erwerbung des Rotary Clubs Nürnberg-Sigena und in der Ausstellung „Was aber bleibet, stiften die Künstler” noch bis Dienstag, den 4. Oktober, an der Nürnberger Kunstakademie zu sehen. Von Marco gibt’s außerdem noch bis Donnerstag, den 20. Oktober Arbeiten bei „If Walls Are Trembling” in Wien.
WO: Der Rotary Club zeigt seine Erwerbungen in der Ausstellungshalle der Akademie der Bildenden Künste Nürnberg in der Bingstraße 60. Wer eher in Wien vorbeikommt, findet die Galerie Lisa Kandlhofer in der Brucknerstraße 4.

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