Schwarz, weiß, rot – Provoke!

10. Februar 2016 • Text von

Japan – sofort tauchen Bilder von Geishas, Kirschblüten und Tempeln im Kopf auf. Dass die Fotoszene dort aber seit Ende des zweiten Weltkriegs enorm kritisch und provokant wurde, ist Vielen unbekannt. Nun widmet die Albertina sich bis Mai ganz der japanischen Fotografie dieser Zeit. 

Provokantes ist in die Albertina eingezogen. Die zweite Ausstellung in der erst kürzlich eingerichteten „Galleries for Photography“ beherbergt nun Fotografien Japans der 1960er/70er Jahre.

Shomei Tomatsu, Blood and Rose, Tokyo, 1969 Albertina, Wien 150; Dauerleihgabe der Österreichischen Ludwig-Stiftung für Kunst und Wissenschaft © Shomei Tomatsu Estate, courtesy | PRISKA PASQUER, Köln

Shomei Tomatsu;  Blood and Rose, Tokyo, 1969
Albertina, Wien 150; Dauerleihgabe der Österreichischen Ludwig-Stiftung für Kunst und Wissenschaft © Shomei Tomatsu Estate, courtesy | PRISKA PASQUER, Köln

Die Fotografien des Magazins „Provoke“, welche in der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg geschossen und publiziert wurden, treten in Dialog mit Fotos zeitgleich entstandener Projekte. Aufgeteilt in drei Themenblöcke, welche auch räumlich voneinander getrennt sind, werden diese Seite an Seite mit Bildbänden ausgestellt. Provoke, Magazin – Performances – und Protest.
Um die Bilder verstehen zu können, muss man sich noch einmal die Situation Japans nach dem zweiten Weltkrieg ins Gedächtnis rufen. Es war die Zeit nach den Atombomben-Angriffen der USA auf Hiroshima und Nagasaki. Die meisten Japaner hatten Amerika noch nicht verziehen. Dennoch standen die politischen Parteien in Verhandlungen, Japan öffnete seine ökonomischen Grenzen und der amerikanische Militärstützpunkt in Japan sollte bestehen. Einhergehend mit politischen Umbrüchen waren die 1960er-Jahre geprägt von Protesten und Aufständen.

Shomei Tomatsu; Editor, Takuma Nakahira, Shinjuku, Tokyo, 1964 Collection of the Art Institute of Chicago © Shomei Tomatsu - INTERFACE

Shomei Tomatsu;
Editor, Takuma Nakahira, Shinjuku, Tokyo, 1964
Collection of the Art Institute of Chicago © Shomei Tomatsu – INTERFACE

PROKOVE. Die japanischen Fotografen Takahiko Okada, Takuma Nakahira, Yutaka Takanashi und der Kritiker Koji Taki gründeten im Jahre 1968 das Magazin „Provoke“. Diesem Ausstellungsfokus ist der größte Raum der Ausstellung gewidmet. Eine breite, große Wand, drei untereinander angeordnete Reihen von Fotos, dicht nebeneinander gereiht. Es handelt sich hierbei um die drei Ausgaben des Magazins, mehr gab es nicht. Rund um die große Mauer sind Fotografien der Hintergründe und Entstehungsgeschichte des Magazins abgebildet.

Daido Moriyama; Ohne Titel, aus der Serie Akushidento (Unfall), 1969 ©Daido Moriyama/Shadai Gallery, Tokyo Polytechnic University

Daido Moriyama; Ohne Titel, aus der Serie Akushidento (Unfall), 1969
©Daido Moriyama/Shadai Gallery, Tokyo Polytechnic University

Mit der selben Idee im Hinterkopf, sind dennoch unterschiedliche Werke entstanden. Während Yutaka Takaneshi beispielsweise japanische Fans von John Lennon ablichtet, und somit das Leben der JapanerInnen dieser Zeit zeigt, trifft Takuma Nakahira seine Bildausschnitte ganz zufällig. Er fotografiert aus der Hüfte heraus, um möglichst authentisch Situationen einzufangen. Nakahira legt den Fokus auf Straßen und Häuser. er fotografiert überfüllte U-Bahnen und Gedränge. Doch auch andere Fotografen sind ausgestellt, beispielsweise Shōmei Tōmatsu. Er hält die sozialpolitischen Veränderungen Japans bildlich fest, zentrale Themen seiner Werke sind vor allem die Atombombenangriffe auf Hiroshima und Nagasaki. Er zeigt verwundete Menschen, verwüstete Gebiete.

Yutaka Takanashi The Beatles, aus der Serie Tokyoites, 1965 Albertina, Wien © Takanashi Yutaka

Yutaka Takanashi; The Beatles, aus der Serie Tokyoites, 1965
Albertina, Wien © Takanashi Yutaka

PROTEST. Ein weiterer Fokus liegt auf einer spezifischen Darstellung in der japanischen Fotografie. Es entstanden Proteste gegen die Modernisierung. Die Bevölkerung befand sich im Zwiespalt von gesellschaftlichem Zusammenbruch und der Suche nach der Identität Japans. So entstand beispielsweise die Serie „Sanrizuka“ des Fotografens Kazuo Kitai. 1971 wurden die Bewohner des Ortes Sanrizuka gezwungen, das Gebiet zu verlassen, da dort der Bau des Flughafen Narita stattfinden sollte. Es entstanden emotionale Bilder der Aufstände – Kindern,  oder Frauen, die sich gegen die Soldaten aufstellten und wehrten.

Anonym, Protest Surrounding the Construction of Narita Airport, ca. 1969 Collection of the Art Institute of Chicago © AIC

Anonym; Protest Surrounding the Construction of Narita Airport, ca. 1969
Collection of the Art Institute of Chicago © AIC

PERFORMANCE. Der dritte Part der Ausstellung widmet sich der Performance. Es werden Fotos gezeigt, welche während Performances unterschiedlichster Künstler geschossen wurden. Eiko Kosoe fotografiert Tatsumi Hijikata, welcher in seiner Performation einen Dämon nachspielt, wodurch die Geschehnisse des Zweiten Weltkrieges noch einmal ins Gedächtnis gerufen werden sollten.
Auch die Künstlergruppe Hi Red Center hatte etwas beizutragen: Drei Künstler luden ein – in ein Hotelzimmer. Dort wurden die Gäste gewogen und vermessen, mit dem Ziel, individuell angefertigte Atombunker zu fertigen. Auch Yoko Ono war Teil dieser Performances.

Daido Moriyama, Takuma Nakahira, Okada Takahiko, Yukata Takanashi, Kōji Taki Provoke 3, cover, 1969 © Nakahira Gen/ Moriyama Daido/ Takahiko Okada /Takanashi Yukata/Taki Koji

Daido Moriyama, Takuma Nakahira, Okada Takahiko, Yukata Takanashi, Kōji Taki: Provoke 3, cover, 1969 © Nakahira Gen/ Moriyama Daido/ Takahiko Okada /Takanashi Yukata/Taki Koji

Provoke, englisch für provozieren, auslösen, herausfordern, reizen. Und genau das hat die Fotografie in der Zeit ihrer Veröffentlichung bestimmt auch getan. Sieht man sich die Fotos heute an, bekommt man ein Gefühl für die damalige Stimmung, geprägt von Umschwung, Revolte und Protest gegen das Ungerechte.

WANN: Ausstellung läuft noch bis zum 8. Mai 2016
WO: „Provoke. Zwischen Protest und Performance. Fotografie in Japan 1960–1975“, Albertina 1010 Wien

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