"Die Zukunft ist längst angebrochen"
Quayola über Gestern, Heute und Morgen

1. August 2016 • Text von

Quayola nimmt mithilfe digitaler Software historische Malereien und Skulpturen auseinander. Im Januar waren seine Arbeiten in der Galerie NOME zu sehen, derzeit ist er mit seinem Projekt „Sculpture Factory“ im Rahmen der 5. Ars Electronica im DRIVE. Volkswagen Group Forum vertreten. Höchste Zeit mal nachzufragen.

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Quayola: Laocoon. Courtesy: the artist.

gallerytalk.net: Quayola – Leben wir noch in der Gegenwart oder doch schon in der Zukunft?
Quayola: Wir leben in der Zukunft.

Im Januar habe ich deine Serie „Iconographies“ in der Nome Gallery gesehen, in der du klassische Rennaissance Gemälde mithilfe digitaler Software fragmentierst und zu neuen, abstrakten Kompositionen zusammensetzt. Wie genau gehst du dabei vor?
Für meine aktuelle Serie „Iconographies“ habe ich ein computerbasiertes System zur Erforschung der historischen Malereien entwickelt. Der Algorithmus ist auf die visuellen Charakteristika des Bildes fokussiert, die Ikonografie der Malereien wird außer Acht gelassen. Diese Methode eröffnet mir die Möglichkeit mich von der Art und Weise zu lösen, wie wir Bildern normalerweise wahrnehmen und interpretieren – ich möchte die Sinne dafür sensibilisieren, sich neuen Ästhetiken zu öffnen und diese zu erforschen.

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Quayola: Iconographies. Courtesy: the artist, NOME.

Welche Verbindung besteht zwischen dem Original und dem neugeschaffenen Kunstwerk?
Einerseits sind sie gegensätzlich – bei einer Arbeit handelt es sich um ein ikonografisches, figürliches Gemälde, bei der anderen um eine abstrakte, computergenerierte Komposition. Anderseits sind sie auch irgendwie gleich – das von mir hervorgebrachte Bild basiert ja schlussendlich auf denselben kompositorischen und chromatischen Regeln wie das Original. Was mich interessiert, ist das Spannungsverhältnis bzw. die Ausgeglichenheit zwischen den beiden.

Liegt tatsächlich jedem Kunstwerk eine Art mathematischer Struktur zugrunde? Und wenn ja – würde das nicht bedeuten, dass Kunst ihr Geheimnis verliert, berechenbar und durchdringlich wird?
Ich vergleiche meine Systeme gerne mit musikalischen Instrumenten – genau wie ein Synthesizer müssen sie gespielt werden. Meine Arbeiten werden nicht von einem automatisierten System kreiert, sondern entstehen aus der Interaktion mit diesem – auf die gleiche Weise wie ein Maler mit einem Pinsel umgeht. Mich interessiert weniger ein bestimmter Output, als vielmehr das Erkunden der vielen, sich wiederholenden Zyklen. Deshalb entwickle ich solche Systeme und präsentiere meine Arbeiten zumeist in Serien.

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Quayola: Laocoon (Detail). Courtesy: the artist.

Obwohl deine Arbeiten durchaus futuristisch anmuten, scheinst du doch immer auf Ursprüngliches zurückzugreifen – Renaissancemalerei, organische Prozesse, Natur. Lässt sich dieser Rückgriff als Rückbesinnung auf archaische Lebensformen oder gar als Kritik an der zunehmenden Technologisierung der Lebenswelt verstehen?
In meinen Arbeiten tendiere ich immer dazu, ein bestimmtes Subjekt zu haben. Ich brauche etwas zum recherchieren und schließlich zum neu interpretieren. Ich interessiere mich dafür, wie Maschinen die Möglichkeit bieten, neue sprachliche und ästhetische Systeme zu entdecken, aber auch dafür, wie sie die Art und Weise unserer Wahrnehmung verändern: Ein Bild, das seit Jahrhunderten existiert und unsere visuelle Kultur maßgeblich geprägt hat, wird plötzlich zu etwas völlig anderem, neuen. Dieses Spannungsverhältnis zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ist sehr wichtig für mich. Manchmal sehe ich meine Arbeiten als archäologische Artefakte aus einer fremden Zeit.

Lass uns über die Zukunft sprechen: Wird Kunst im 22. Jahrhundert ohne Computer noch möglich sein? Ist der Künstler der Zukunft ein Programmierer?
Es ist immer schwierig Zukunftsprognosen aufzustellen. Kunst ist eine Reflexion dessen, was die Gesellschaft gerade bewegt, und da sich die Dinge gegenwärtig sehr schnell verändern ist es quasi unmöglich darüber zu spekulieren, was Künstler oder Maschinen in näherer Zukunft tun werden. Außerdem sagte ich ja schon zu Beginn: Die Zukunft ist längst angebrochen.

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Quayola: Sculpture Factory. Courtesy: the artist.

Im Rahmen der fünften Ars Electronica-Ausstellung bist du mit deinem Projekt „Sculpture Factory“ derzeit im DRIVE. Volkswagen Group Forum vertreten. Erzählst du uns ein bisschen was darüber?
„Sculpture Factory“ ist meinen fortwährenden Recherchen zu klassischen Skulpturen entsprungen. Ein riesiger Industrieroboter produziert live und in Endlosschleife Abbilder der Laokoon Gruppe – ein griechisches Meisterwerk. Die Figur wird dabei jedoch nie vollständig fertig gestellt, jeder Anlauf bringt neuartige Materialauswüchse hervor. Das Resultat ist ein Hybrid – ein langsamer Forschungsprozess, in dessen Mittelpunkt nicht die originale Figur, sondern vielmehr die unendlichen Möglichkeiten dieser näher zu kommen stehen. Unter Anleitung algorithmischer Sequenzen gräbt sich der Roboter in das Material und erkundet dabei ungewöhnliche Strategien dieses zu formen. Die Hand des Künstlers werden ebenso wie seine einzigartige handwerkliche Geschicklichkeit durch die wahrhaftig desinteressierte Intelligenz einer Maschine ersetzt. Da ich an „Sculpture Factory“ schon seit einigen Jahren arbeite, habe ich mich besonders gefreut, das Projekt nun endlich realisieren zu können. Es ist der Startpunkt einer neuen Serie, in der ich Skulptur als Performance und nicht als komplettiertes Objekt untersuche.

WANN: Quayolas Projekt „Sculpture Factory“ ist noch bis zum 27. August im Rahmen der Ausstellung „Human Facor – Endless Prototyping“ zu sehen. Weitere Infos gibt’s hier.
WO: Drive. Volkswagen Group Forum, Friedrichstraße 84, Unter den Linden, 10117 Berlin.

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