Mediale Grenzen
"Deconstructing Borders - Sigmar Polke Alicja Kwade"

17. Februar 2017 • Text von

Zwei große Namen begegnen sich im Salon Frieder Burda: Unter dem Titel „Deconstructing Borders“ werden Werke des deutschen Malers Sigmar Polke einer Skulptur von Alicja Kwade gegenübergestellt. Exemplarisch für ihre jeweilige Generation, symptomatisch für unsere Zeit.

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Installationsansicht, Sigmar Polke: Amerikanisch-Mexikanische Grenze, 1984. Dispersion, Tagesleuchtfarbe auf Nessel, Museum Frieder Burda, Baden-Baden © The Estate of Sigmar Polke / VG Bild-Kunst, Bonn 2017. Photo: Roman März.

In der Kunst wie in der Mode erleben bestimmte Strömungen und Trends von Zeit zu Zeit ein Revival. Sowie die goldenen Kreolen und grellen Farben der 80er zu Beginn des neuen Jahrtausends wieder aus dem Schrank und auf die Laufstege geholt wurden, entdeckt die Kunstwelt seit einigen Jahren die großen deutschen Maler der Nachkriegszeit wieder für sich. In diesem Fall muss man nicht gendern, denn es sind Männer. Momentan wird vermutlich kein Kunstmagazin und erst recht kein Auktionskatalog gedruckt, in dem nicht ein Bild von Gerhard Richter enthalten ist. Sigmar Polke, Richters Zeitgenosse, Künstlerfreund und Klassenkamerad unter Karl Otto Götz, werden dieses Jahr gleich zwei große Einzelausstellungen in Deutschland gewidmet. Den Auftakt macht das Museum Frieder Burda, eine in Baden-Baden beheimatete Privatsammlung. Ab April zeigt der me Collectors Room das gesamte Editionswerk Sigmar Polkes in Berlin. Der ebenfalls in der Auguststraße angesiedelte Salon Frieder Burda zeigt seit dem 3. Februar eine kleine Ausstellung, die ausgewählte Werke Polkes in Gegenüberstellung mit Skulptur von Alicja Kwade  präsentiert.

Der Titel „Deconstructing Borders“ ist inspiriert von der zentralen Arbeit der Ausstellung: Auf dem fluoreszierenden Gemälde „Amerikanisch Mexikanische Grenze“ von Sigmar Polke sind drei Männer von hinten zu sehen, die vor einem Maschendrahtzaun stehen. Polke verwehrt dem Betrachter den Blick in ihre Gesichter, reduziert die Figuren auf Körper in weißem T-Shirt und schwarzer Hose. Eine vierte Person hat die Grenze bereits überquert und springt auf der anderen Seite des Zauns auf den Boden. Die ganze Leinwand ist in grellem Gelb koloriert; die Figuren und der Zaun setzten sich aus einzelnen Rasterpunkten zusammen. Die formale Gestaltung des Bildes korreliert mit der Form des Maschendrahtzauns, sodass bei der Betrachtung unklar bleibt, wo der Zaun aufhört und wo er anfängt. Angesichts der aktuellen Ereignisse in der amerikanischen Politik besitzt dieses Werk Sigmar Polkes aus dem Jahr 1084  heute eine prophetische Gegenwärtigkeit. Darauf verweist auch der Ausstellungstext, der aber auch noch eine Reihe anderer Themen nennt, nach denen man im Salon Frieder Burda jedoch vergeblich sucht: Es geht um Digitalität, eine „geschichtslose Augenblicklichkeit“, um „unsere ‚postfaktischen‘ Zeiten“, um Komfortzonen, Kapitalismus und – natürlich – die Dekonstruktion der Realität.

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Installationsansicht, Alicja Kwade: Reality Zones, 2016. Cortenstahl, Dimensions variable. Courtesy Alicja Kwade. © Alicja Kwade / VG Bild-Kunst, Bonn 2017. Photo: Roman März.

Der malerischen Gestus Sigmar Polkes wird mit der kühlen Medialität von Alicia Kwade konfrontiert. Die ausgestellte Arbeit der Berliner Künstlerin ist eine skulpturale Untersuchung der unterschiedlichen Zeitzonen der Welt. Ineinander verkeilte Ringe aus Cortenstahl (sehr trendy) bilden die geografischen Grenzen jeder einzelnen Zeitzone ab. Der organische Übergang von Tag und Nacht wird der rationalen Normierung der Uhrzeit gegenübergestellt. Kwade beherrscht dieses Handwerk perfekt: Sie findet eine angemessene, formal interessante Lösung für einen komplexen Zusammenhang und macht dadurch aus ihren Beobachtungen mehr als nur eine Information zum Mitnehmen, einen Fun Fact.

Es sind zwei Künstlergenerationen, die sich im Salon Frieder Burda gegenüberstehen. Der 2010 verstorbene Polke war ein Maler. Sein Atelier war der Ort seines kreativen Schaffens, welches sich vor allem durch seine repetitive Prozessualität auszeichnet. Eine notorische Wiederholung desselben Pinselstriches, um subjektive All-Over Strukturen zu erzeugen, oder eine Variation desselben Motives, welches immer wieder durch geringfügige Veränderungen oder eine alternative Betitelung zu etwas anderem wurde. Alicja Kwade ist sowohl ein post-studio artist, als auch eine post-mediale Künstlerin. Ihre Werke werden nicht an einem Ort gefertigt, sondern entstehen in Zusammenarbeit mit einer Vielzahl von Handwerkern und Planern. Der Ausgangspunkt für die meisten ihrer Werke ist wahrscheinlich die inhaltliche Recherche, dazu braucht sie kaum mehr als einen Computer. Das Medium – noch antiquierter die Gattung – ist sekundär, es ist formale Notwenigkeit für die Idee und steht nicht a priori wie die weiße Leinwand für Polke. Zwei kleinere Arbeiten in der Ausstellung demonstrieren darüber hinaus wie sehr jedoch selbst Polke dem medialen Fortschritt verschieden war: Auf jeweils vier Blättern setzt sich einmal eine kleine Holzhütte, das andere Mal ein Eisberg aus wenigen Pinselstrichen zusammen. Doch nicht nur der Duktus ist formgebend, alle vier Bilder sind Kopien. Die Verzerrungen verursachen ein Strecken und Stauen einzelner Bildelemente, deren gleitende Wellenformen nicht nur auf einen breiten Pinsel, sondern auch auf eine ungenaue Kopie schließen lassen.

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Installationsansicht, Sigmar Polke: Interieur, 1966. Acryl auf Nessel, Museum Frieder Burda, Baden-Baden. © The Estate of Sigmar Polke / VG Bild-Kunst, Bonn 2017. Photo: Roman März.

Insgesamt fünf Kunstwerke sind im Salon Frieder Burda zu sehen. Es ist eine exemplarische Gegenüberstellung von Sigmar Polke und Alicja Kwade, die denjenigen enttäuschen wird, der von dem Nebeneinander der Namen im Ausstellungstitel mehr erwartet hat. Doch dabei erfüllt der Salon seine Funktion als eine Dependance einer umfangreichen Sammlung, die außerhalb des Epizentrums der deutschen Kunstszene liegt, hervorragend. Einen Projektraum kann der Salon Frieder Burda sich jedoch nicht nennen, dazu sind der Ort an sich und die gezeigten Künstler zu etabliert.

WANN: Die Ausstellung ist bis zum 06. Mai von Donnerstag bis Sonntag, von 12 bis 18 Uhr, zu sehen.
WO: Museum Frieder Burda I Salon Berlin · Auguststraße 11-13 · 10117 Berlin. Alles weitere hier.

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