Lebensgefühl auf Papier

25. Februar 2016 • Text von

Do you read me?! Dieser Name scheint wie geschaffen für das kleine Magazinmuseum in der Auguststraße, in dem es alles zu kaufen gibt, was der kreative Kopf an Nährstoff braucht: Ausstellungskataloge, das ein oder andere Coffee Table Book und jede Menge bunte, geistreiche bis schräge Magazine.

Von vielen davon wird man vielleicht noch nie ein Wort gehört haben, und auch nicht im Späti nebenan oder am Flughafenkiosk finden. Jessica Reitz und Mark Kiessling haben hier eine einzigartige Auswahl an internationalen Publikationen zusammengestellt, die teils kleinen, kompakten Kunstwerken gleichen. Inhalt und Ästhetik sind gleichermaßen wichtig. Wir wollten mehr wissen und haben Jessica in der Wunderkammer besucht.

Do you read me?! Ladenansicht, © Achim Hatzius.

Do you read me?! Ladenansicht, © Achim Hatzius.

gallerytalk.net: Liebe Jessica, euer Sortiment umfasst um die 2000 Titel aus aller Welt. Wo und wie findet ihr eure Auswahl an Magazinen?
Jessica Reitz: Auf unterschiedlichsten Wegen. Im schönsten Fall kommen Magazine oder auch Kunden mit Vorschlägen und Nachfragen direkt auf uns zu, weil sie etwas Spannendes für uns haben. Ansonsten ist es anders als im Buchhandel, man muss viel aktiver auf unterschiedlichsten Kanälen recherchieren.

Auf welche Bereiche grenzt ihr euch ein?
Wir interessieren uns für Kreativbereiche im weitesten Sinne: Architektur, Design, Mode, Fotografie, Kunst, Literatur, Film …Und dann haben sich mit der Zeit auch noch neue Rubriken ergeben wie beispielsweise Essen, Reise, oder Sport. Hier sind zu den älteren, drögen Titeln super Sachen hinzugekommen über die Jahre. Heute geht es mehr um das Thema selbst als um praktische Anleitungen und Tipps rund herum, dabei wird Lebensgefühl vermittelt.

Nicht weit von euch entfernt hat letztes Jahr das Soda mit einer ähnlichen thematischen Bandbreite an Magazinen eröffnet. Liegt hier ein neuer Trend?
Die Umstände spielen hierbei sicher auch eine Rolle. Es ist einfacher geworden mit der Distribution, der Druck ist günstiger, und man kann vernetzt mit Contributern auf der ganzen Welt zusammenarbeiten. Das Magazin an sich hat auch einen anderen Stellenwert bekommen. Teilweise wird es behandelt wie ein Buch, man schmeißt es nach dem Lesen nicht einfach weg. Hier hat sich die unterschiedliche Wertung der Printmedien aufgelöst. Das merkt man auch an der Aufmachung und an den Themen, die gar nicht mehr so sehr auf Aktualität ausgerichtet sind. Daher haben wir immer auch Back Issues da, die auch nach zwei Jahren nicht veraltet sind. Es ist schon auffällig, wie viel sich da eigentlich getan hat.

Do you read me?! Ladenansicht, © Achim Hatzius.

Do you read me?! Ladenansicht, © Achim Hatzius.

Welche Elemente machen deiner Meinung nach ein richtig gutes Magazin aus?
Gut ist es, wenn’s zusammenpasst, wenn der Inhalt mit dem Design einfach übereinstimmt. Es macht keinen Sinn, wahnsinnig viel Arbeit oder Geld in die Gestaltung zu stecken, wenn am Ende keine Substanz drinnen ist. Andererseits ist es auch schade, wenn ich hochwertiges Gedankengut vor mir habe, das nicht gut produziert ist.

Mit euren „Satellite Stores“ im C/O Berlin oder auch im Vitra-Museum in Weil am Rhein konntet ihr in den Ausstellungsbereich expandieren. Hierfür stellt ihr eine jeweils thematisch zugeschnittene Auswahl an Magazinen zusammen. Das ist ja auch eine Art kuratorische Praxis. Wie ist das Verhältnis zwischen eurem Beitrag und den Ausstellungen?
Wenn wir so eine Auswahl zusammenstellen, suchen wir einerseits themenspezifisch aus. Man sucht nach Publikationen, die den Gegenstand der Ausstellung inhaltlich behandeln. Teilweise muss man hier stark reduzieren, weil es zu Fällen wie beispielsweise Bauhaus so wahnsinnig viel gibt. Aber andererseits schaut man auch nach links und rechts und fragt sich, was den Besucher sonst noch interessieren könnte. So wird das Feld über den eigentlichen Ausstellungsgegenstand hinaus erweitert.

Welche Rolle spielt in deinen Augen das Schreiben über Kunst?
Es kann verschiedene Rollen einnehmen. Wenn man nicht über einen Künstler schreibt, erfahren die Leute nur von ihm, wenn sie zufällig in seine Ausstellung reinstolpern. Es bietet also eine Hilfestellung in zwei Richtungen: für den Künstler wie für den Betrachter. Schreiben über Kunst erfüllt aber nicht nur informative Zwecke, sondern kann auch in die Tiefe gehen, zum Beispiel in Form von Künstlermonografien oder aktuellen Beiträgen zum Dada-Jubiläum, wo Kontext vermittelt und Geschichte erzählt wird.

© Do you read me?!

© Do you read me?!

Verrätst du uns deinen persönlichen Favoriten?
Der wechselt alle drei Minuten. Schön finde ich beispielsweise mono.kultur, ein kleines unabhängiges Berliner Magazin, das pro Ausgabe ein Interview mit einem Künstler macht. Das Ganze wird von einem Grafikdesigner gestaltet, der dann die Aufmachung dem Inhalt anpasst. Ich finde so ein einzelnes ausführliches Interview auf eine Person konzentriert eine schöne, schlichte Idee.

Es heißt ja immer, Print sterbe aus. Aber trifft das auch auf Magazine zu? Inwieweit seid ihr von dem Wandel in der Branche betroffen?
Das wurden wir früher schon mal gefragt, die Diskussion gab’s ja vor 8 Jahren schon, als wir aufgemacht haben. Aber Print ist immer noch nicht tot. Tatsächlich ist es so, dass über die Jahre sind mehr Publikationen neu herausgekommen sind, als eingestellt wurden. Ich glaube, daran wird sich in unseren Lebzeiten auch nicht mehr viel ändern.

Habt ihr mal überlegt, selbst ein Magazin rauszubringen, quasi ein Magazin über Magazine?
Es hüpft einem schon immer wieder im Kopf herum, und es ist auch eher der Zeit geschuldet, dass wir es bisher nicht gemacht haben. Aber wenn wir so ein Projekt in Angriff nehmen, dann wollen wir es auch richtigmachen. Daher zumindest in diesem Jahr nicht mehr!

Do you read me?! Ladenansicht, © Achim Hatzius.

Do you read me?! Ladenansicht, © Achim Hatzius.

WO: Der Shop befindet sich in der Auguststraße 28, 10117 Berlin. Auf der Website findet ihr Infos zu anstehenden Lesungen, Diskussionsabenden und anderen spannenden Veranstaltungen.

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