Kunst und Sex
Die Leidenschaften der Peggy G.

11. Mai 2016 • Text von

Als Enfant terrible der mächtigen Guggenheim Familie hatte Peggy Besseres zu tun, als sich in den 1920er Jahren damengerecht in der High Society Manhattans zu langweilen. Mit 23 zog es sie nach Europa, wo sie eine heiße Liebe zu Kunst und Künstlern der Avantgarde auslebte. Das Produkt dieser Zeit ist eine der bedeutendsten Sammlungen moderner Kunst. Nun widmet sich ein von Lisa Immordino Vreeland regierter Dokumentarfilm dem faszinierenden Leben von Peggy Guggenheim.

 

Peggy Guggenheim im weißen Mantel auf einer Ausstellung des Brooklyn Museum of Art Ende der 50er Jahre. Vor ihr steht eine Skulptur von Louise Nevelson. © Roloff Beny / Courtesy of National Archives of Canada

Peggy Guggenheim im weißen Mantel auf einer Ausstellung des Brooklyn Museum of Art Ende der 50er Jahre. Vor ihr steht eine Skulptur von Louise Nevelson. © Roloff Beny / Courtesy of National Archives of Canada

Sie sagt es selbst gleich zu Beginn: In ihrem Leben ging es nur um Kunst und Liebe. Und diese zwei roten Fäden spannen sich, ineinander verknotet und verwickelt, durch den gesamten Film, wobei Liebe eher mit Sex gleichgesetzt wird. Alte, zufällig wiederentdeckte Tonaufnahmen eines Interviews mit der damals 80-Jährigen kurz vor ihrem Tod 1979 bilden hierfür die Basis. Sie untermauern die chronologisch verlaufende Erzählung und geben einen selbst in hohen Jahren exzentrischen und narzisstischen Charakter preis. Zugleich schaffen sie einen intimen und sehr menschlichen Bezug zu Peggy Guggenheim, die im Film als das Urbild der gestörten, emanzipierten Frau bezeichnet wird.

Gestört ist ein hartes, jedoch irgendwie auch passendes Wort, wenn man bedenkt, unter welchen Umständen sie herangewachsen ist. Anekdotisch wird aus ihrer Kindheit berichtet: Von der Mutter, die alles dreifach tat, von der Tante, die ihre Sätze sang statt sprach, von dem Onkel, der versuchte diese mit einem Baseball Schläger zu ermorden und sich danach selbst ertränkte. Und von dem heiß geliebten Vater, der mit der Titanic versank. Sie reagierte mit Rebellion, rasierte sich die Augenbrauen ab und ging 1921 nach Paris.

Peggy Guggenheim mit einem Mobile des amerikanischen Künstlers Alexander Calder (1898-1976). © Roloff Beny / Courtesy of National Archives of Canada

Peggy Guggenheim mit einem Mobile des amerikanischen Künstlers Alexander Calder (1898-1976). © Roloff Beny / Courtesy of National Archives of Canada

In Europas Kunstszene wehte zu damaliger Zeit ein revolutionärer Wind. Peggy umgab sich mit Künstlern und Literaten, in Paris waren es unter anderem Man Ray und Marcel Duchamp, der nicht nur ihr temporärer Liebhaber, sondern auch ihr größter Lehrer wurde. Besonders die Künstler hatten es der Nymphomanin – wie sie sich selbst bezeichnete – angetan, es folgten zahlreiche Affären und diverse Abtreibungen. Mit Laurence Vail und Max Ernst wagte sie sich sogar in die Ehe, doch scheiterten sie.  Allerdings war ihre Promiskuität nicht das Einzige was sie ausmachte: Sie hatte einen haarscharfen Spürsinn für die avantgardistische Kunst der Zukunft. In London eröffnete sie eine Galerie und stellte früh die Surrealisten und abstrakten Expressionisten aus, als diese Kunst noch belächelt oder verachtet wurde. Wassily Kandinsky hatte seine erste Ausstellung in der Galerie Guggenheim Jeune.

Peggy Guggenheim auf den Stufen des Griechischen Pavillons, in dem sie ihre Sammlung während der 24. Biennale in Venedig im Jahr 1948 ausstellte. In der Hand hält sie ein Gemälde ihrer Tochter Pegeen Vail (Interior, 1945). © Roloff Beny / Courtesy of National Archives of Canada

Peggy Guggenheim auf den Stufen des Griechischen Pavillons, in dem sie ihre Sammlung während der 24. Biennale in Venedig im Jahr 1948 ausstellte. In der Hand hält sie ein Gemälde ihrer Tochter Pegeen Vail (Interior, 1945). © Roloff Beny / Courtesy of National Archives of Canada

Während der Kriegsjahre baute sie mit einem heute lächerlichen Betrag von 45.000 Dollar ihre Sammlung auf und schaffte sie zurück nach New York. Künstler wie Picasso, Kandinsky, Paul Klee und viele Weitere wollten ihre Kunst so schnell wie möglich loswerden. Heute liegt nicht ein einziges Werk ihrer Sammlung unter diesem Wert. Diese Info hat es in sich, und man beginnt, sich nicht mehr nur mit Peggy auseinanderzusetzen, sondern auch mit dem Einfluss des 2. Weltkrieges und mit dem Kunstmarkt danach. Wie es scheint, hatte Peggy ein goldenes Händchen für die Kunst, sie war ihrer Zeit stets voraus, und das als Autodidaktin. Doch kann man hierbei nicht von der Art Kalkül sprechen, mit der heute in Kunst investiert wird. Eher noch bestätigte die Kunst der Avantgarde ihr Selbstbild als Außenseiterin, als das schwarze Schaf der Familie, das Mädchen mit dem missglückten Nose-Job. Eine gewisse Tragik ihres Lebens schwingt stets mit.

Roloff Beny fotografierte Peggy Guggenheim auf der Biennale in Venedig durch die Skulptur Developable Surface des Künstlers Antoine Pevsner hindurch. © Roloff Beny / Courtesy of National Archives of Canada

Roloff Beny fotografierte Peggy Guggenheim auf der Biennale in Venedig durch die Skulptur Developable Surface des Künstlers Antoine Pevsner hindurch. © Roloff Beny / Courtesy of National Archives of Canada

Doch ließ sich die enigmatische Persönlichkeit auch intensiv von ihren Künstlerfreunden beraten und beeinflussen, auf Piet Mondrians Rat hin lernte sie beispielsweise Jackson Pollock kennen, und entdeckte ihn für New York. Letztendlich war es womöglich die menschliche Nähe zu den Künstlern, die sie deren Genialität für die Nachwelt erkennen ließ.

WAS:  „Peggy Guggenheim. Ein Leben für die Kunst“ läuft seit dem 5. Mai im Kino. Mehr Informationen zu der Filmdoku findet ihr hier.