„Kunst dir a moi o schaugn“
Interview auf achtneun.com

18. Februar 2010 • Text von

Interview auf www.achtneun.com, erschienen in der Kategorie „Ich bin München“, „Kunst dir a moi o schaugn“.

Danke, David Lemmer!

 

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Kunst dir a moi o schaung – Und Benita Böhm von Gallerytalk sagt uns was und wo.

Als man vor ein paar Monaten bei Google Maps das Haus der Kunst suchte und dann mit der Maus über das Museum fuhr, poppte ein kleines Fenster auf. In dem stand: “Haus der Kunst. Kunst Dir a moi o schaung.” Ha, witzig, dachte ich mir und fühlte mich ertappt. Selten enttäuschte mich ein Museumsbesuch. Eigentlich kann ich mir gar nicht erinnern, wann das zuletzt überhaupt der Fall war … und trotzdem. Museum? Ausstellung? Wie oft? Im Monat? Im Jahr? In den letzten Jahren? Zu selten.

Ein Grund ist Unwissenheit, der andere Orientierungslosigkeit. Obwohl: Wer in München Ästhetisches, Schockendes, Skurriles oder Kritisches sehen will, der kann es jederzeit tun. Haken: Man weiß es nicht und wenn doch, dann läuft die Ausstellung noch fünf Tage und die letzten drei davon ist man schon zum Hütt’nwochenende verabredet.

Und um unsere Ärsche mal hochzubringen und uns auch das vor Augen zu führen, was wir alle so toll finden und viel zu selten und uns dann doch nur alle Jubel-Jahre anschauen, investiert Benita Böhm ihre Freizeit. Ihre Idee: eine Internetseite, die Kunst-Events in München (und Nürnberg) nicht nur sammelt, sondern auch so aufbereitet bietet, dass man sich bereits beim Lesen die Jacke anzieht, um sich auf den Weg zu machen. Und dann auch mit umgestürzten Stühlen und explodierten Farbeimern was anfangen kann. Auch wir, die wir eigentlich lustige Sprüche an öffentlichen Wänden am lustigsten finden.

Gallerytalk.net heißt das ehrgeizige Projekt, das sich von Bayern auf ganz Deutschland ausdehnen soll. Seit wenigen Wochen ist die Seite jetzt online und damit unsere Ausrede hinfällig, wir hätten von der und der Veranstaltung nichts gewusst oder hätten sie null verstanden. Denn wir hätten ja auf gallerytalk.net schauen können oder Benita fragen. Die ist nämlich tatsächlich dort. Und dort. Und da. Und bei der anderen auch. Und im Haus der Kunst ist sie eh oft. Und wenn’s nur auf ein Ginger Ale ist. Und wenn sie schon mal da ist, fragen wir sie doch gleich mal was. Und des kunst Dir jetzt wirklich mal durchlesen:

Mein Name ist Benita Böhm.

Ich bin kunstsüchtig.

Gallerytalk.net ist für mich eine Leidenschaft.

Wenn ich aber OB wäre, dann würde ich Tagesraves im Englischen Garten ermöglichen.

Das Schönste an München ist eine sonnenlichtdurchflutete Innenstadt.

Das Schlimmste hingegen sind fehlende Offenheit und Spontaneität.

Am liebsten halte ich mich in der Goldenen Bar bei einem hausgemachten Ginger Ale auf.

In den Biergarten würde ich gern mal mit der 92-jährigen Künstlerin Maria Lassnig gehen.

Wenn ich 5 Minuten lang die ganze Stadt mit einem Song bespielen könnte, wäre das der Titel „The Game“ von den Inland Knights.

Wer noch nie mit mir gegrillt hat, ist selber schuld!

Allen Münchnern gebe ich den Tipp: Im Sommer sonntags auf keinen Fall den Sunday Sundowner auf der Nordterasse des Haus der Kunst zu verpassen.

Allen Touris gebe ich den Tipp: Immer wieder faszinierend: Die Surfer auf dem Eisbach, die sich selbst bei Schnee oder nachts in die Welle trauen!

Und allen Zuagroasten: Sich auch mal in andere Münchner Viertel, als ihr eigenes zu begeben um eine wundersame Reise zu erleben.

Bitte erzähl uns Deine Lieblings-Anekdote aus Deiner Zeit in München:

Ich hatte mir, um mein Studentenleben offiziell zu machen, endlich ein Fahrrad zugelegt und damit gleich mal die Innenstadt unsicher gemacht. Der Fußgängerzone hatte ich bis dato noch keine Beachtung geschenkt. Eine Bekanntschaft mit der örtlichen Polizei blieb folglich nicht aus. Und als ich völlig perplex meinen Personalausweis zeigen musste, kam ich mir eher wie ein Terrorist, als jemand vor, der gerade sein Bike spazieren fährt. Sowas passiert einem auch nur in einer Polizeistadt wie München.

89: gallerytalk.net kennen wir erst seit wenigen Tagen. Seit wann gibt es Euch und was ist der Gedanke hinter Eurer Seite?

BÖHM: Im Juni 2010 habe ich aus einer fixen Idee heraus beschlossen einen Blog zu gründen, mit dem ich meine Leidenschaft für Kunst verwirklichen kann und einen Nutzen für die Gesellschaft stifte.

89: Wer steht hinter gallerytalk.net?

BÖHM: Was als Ein-Frau-Projekt begann, hat sich mittlerweile auf ein vierköpfiges Team, in München und Nürnberg ausgeweitet. Das sind alles Personen, die zeitgenössische Kunst als Leidenschaft und die Auseinandersetzung mit ihr als Ausgleich zu ihrem Studium oder ihrer Arbeit begreifen.

89: An wen richtet sich gallerytalk.net?

BÖHM: Ganz wichtig ist mir, den Menschen das Kulturangebot und vor allem die Kunst ihrer Stadt näher zu bringen. gallerytalk.net richtet sich als eine Art Kunststadtführer an jeden, Kunstexperten wie Fachfremden, der Interesse hat und begeisterungsfähig ist.

89: Was für ein Verhältnis habt Ihr persönlich zur Kunst?

BÖHM: Kunst ist für mich allgegenwärtig. Im Dialog mit ihr kann man sehr viel über sich selbst und seine Umgebung lernen. Das schätze ich sehr. Doch manchmal frage ich mich, ob es wohl auch sowas wie eine Kunstsucht gibt…

89: Eure Seite ist ein Sammelbecken für Kunst-Events in München und Nürnberg. Was ist Eurer Meinung / Erfahrung nach der entscheidende Unterschied zwischen der Kunst-Szene von München und Nürnberg?

BÖHM: Beide Kunstszenen und deren Potenzial werden im überregionalen Kontext unterschätzt, aber Nürnbergs Galerienlandschaft ist mehr als ausbaubedürftig. Da ist ihr München sehr weit vorraus, auch auf deutschlandweiter Ebene.

89: Entschuldigt, die sich ständig wiederholende Frage, aber sie MUSS einfach sein: Was ist das Besondere an der Münchner Kunst im Vergleich zu anderen Städten wie etwa Berlin oder Wien?

BÖHM: Ich denke diese Frage kann man allgemein auf die urbane Kreativszene übertragen. Hat man in München eine gute Idee und genügend Motivation und Engagement, kann man wirklich noch etwas in der Stadt bewegen und ein Teil von ihr werden. Ich denke Berlin, Wien oder auch London haben bereits so viel Input, dass es schwer sein kann sich dort zu positionieren.

89: Welche Rolle spielt Street Culture auf gallerytalk.net?

BÖHM: Für mich spielt sie nur eine Rolle, wenn sie mich im urbanen Kontext überraschen kann. Wie beispielsweise die Unterführung der Ludwigsbrücke.

89: Vor allem seit Banksy reißt die Diskussion nicht ab, ob Street Culture überhaupt ausstellbar ist oder nicht. Ausstellungen würden Street Culture aus ihrem Kontext reißen und damit manipulieren – wenn nicht gar für den Kommerz instrumentalisieren. Wie denkt Ihr darüber?

BÖHM: Ich habe früher bewusst keinen Standpunkt in dieser Diskussion eingenommen, weil ich glaube, dass jede Kunst auf ihre Weise einen Wirkungskreis hat. Meiner Meinung nach, erlangt ein Kunstwerk seine Daseinsberechtigung, sobald ein Betrachter sich damit in einen Dialog begibt. Das ist auf der Strasse sowie in einer Galerie möglich. Dennoch spricht mich Street Art durch unmittelbares Erleben in der Stadt mehr an. Ein Bild auf dem beispielweise ein Spruch steht, der nur auf diese Geburtsstätte verweist, lässt mich kalt.

89: Zehra Spindler und das Team from Hell haben in den letzten Jahren Kunst in München in ihren unterschiedlichsten Ausformungen greifbarer und erlebbarer gemacht – vor allem für Außenstehende. Was macht Zehra Spindler und Ihre Puerto Giesing oder Art Babel Projekte so besonders?

BÖHM: Auf dem Kunstmarkt ging es schon immer auch darum die Kunst salonfähig zu machen, um sie unter die Leute zu bringen. Das hat nichts mit der Kunst selbst zu tun, sondern mit ihrer Vermarktung. Und in unserer jungen Generation kommt es mehr und mehr darauf an, die Kunst nicht in einem elitären Institutionsumfeld darzustellen, sondern sie auf spielerische Art und Weise in einem auch durch andere Einflüsse geprägten Gesamtkonzept kennenzulernen. So beispielsweise bei „Kunstparties“.

89: Wie schätzt Ihr die Zukunft dieser Zwischennutzungsprojekte ein?

BÖHM: Sie haben eine magische Anziehungskraft, denn sie sind vergänglich. Daher will jeder, der was auf sich hält, mal da gewesen sein. Das liegt in der Natur der Menschen, vor allem derer, die im Informationszeitalter aufwachsen. Dennoch kostet es viel persönliche Energie und finanzielle Mittel, diese Pop-up-Geschichten auf die Beine zu stellen. Aber diese Investitionen bereichern und bereiten Freude. Solange es die Organisatoren schaffen, dass sie finanziell unterm Strich mit einem Plus für sich und ein neues Projekt dastehen, ist diese neue Form der Kulturlocations alles andere als vom Aussterben bedroht.

89: Im Idealfall: Wie schaut Gallerytalk.net in einem Jahr aus?

BÖHM: Mein nächstes Ziel ist die Ausweitung auf Städte wie Hamburg, Berlin, Wien, Köln und Düsseldorf. Ich bin stets auf der Suche nach qualifizierten Leuten, die gerne bei uns mitwirken wollen. Außerdem möchte ich, dass sich das Projekt finanziell selbst trägt. Ich bin aber davon überzeugt, dass die Zukunft das für uns bereit hält.

Zur Seite von Gallerytalk.net geht es hier.

(Bildrechte: Anatol Obolensky, www.anatol.ch)