Imagine all of this differently
Julien Bismuth bei Emanuel Layr

1. Februar 2019 • Text von

Stücke heißen „pieces“ auf Englisch und „morceaux“ auf Französisch. Die aktuelle Einzelausstellung von Julien Bismuth – New York based, Paris raised – bei Emanuel Layr trägt den deutschen Titel „Stücke“.

Die lichtdurchfluteten Räume der Galerie Emanuel Layr in der Wiener Innenstadt erscheinen beim Betreten vollkommen leer. Julien Bismuth hat für seine Einzelausstellung „Stücke“ fast ausschließlich transparente oder weiße Bildträger an den Wänden angebracht. Visuell verschmelzen die Werke mit dem White Cube zu einem die Erfahrung räumlich begrenzenden Kubus.

Julien Bismuth: Stücke, 2019, Installation view, Galerie Emanuel Layr Vienna. Photo: Maximilian Anelli-Monti. Courtesy of the artist and Galerie Emanuel Layr Vienna.

Entlang der linken Wand sind durchsichtige Plexiglaspaneele platziert, auf die Ausschnitte aus Foren und Kommentarbereichen von verschiedenen Webseiten gedruckt sind. Der Text beginnt auf Augenhöhe und erstreckt sich bis zum Boden. Während die Breite der Paneele einem Laptopbildschirm entspricht, wird in der Vertikalen der Prozess des Scrollens durch ein körperliches Sich-Bücken oder Sich-Hinknien ersetzt. Teilweise entspinnt sich die Unterhaltung an einem bestimmten Thema, sodass sich das vielstimmige Narrativ ansatzweise nachvollziehen lässt: Zum Beispiel, dass Kelly Ripa einen Pappaufsteller von Keanu Reeves besessen hat und an diesem ihre jugendliche Schwärmerei ausgelebt hat und wie das vor dem Hintergrund der Metoo-Debatte zu bewerten ist, oder dass es bei einem Videospiel eine Waffe gibt, die den Angreifer in eine Kuh verwandelt und was eigentlich passiert, wenn man mit dieser Waffe auf eine Kuh schießt. In anderen Fällen sind es nur die codeähnlichen Benutzernamen und Bezeichnungen von Dateianhängen, die nach Sinn abgeklopft werden.

In der oberen rechten Ecke oder als aktuellster Kommentar in der Karawane von Meinungen steht eine Notiz des Künstlers, von der zunächst unklar ist, an wen sie gerichtet ist. Bereits visuell hebt sich dieser Text von den ihn umgebenden Sätzen hab: Drei Zeilen überschreitend, durch Groß- und Kleinschreibung im Schriftbild hüpfend und mittels Anführungszeichen und Klammern Wörter voneinander abgrenzend. Die genaue Datierung von Julien Bismuths Notizen vervollständigt die sensible, intellektuelle Prosa und verleiht dem Text eine intime, geradezu kostbare Wirkung.

Julien Bismuth: Context and content, 2019. Inkjet print on plexiglass, Diptych, each 152 x 58.4 cm. Photo: Maximilian Anelli-Monti. Courtesy of the artist and Galerie Emanuel Layr Vienna/Rome.

Überraschend ist nicht, dass wir als Betrachter*innen geduldig und interessiert belanglose Kommentare aus beliebigen Zusammenhängen lesen. Denn der transparente Untergrund und die räumliche Ausdehnung des Bildschirms bis zum Galerieboden, können nicht darüber hinwegtäuschen, dass eine ordnende Künstlerinstanz und ein wertgenerierendes Galerieumfeld uns um die Bürde des Scrollens, Klickens und Entscheidens erleichtern. Überraschend ist auch nicht, dass sich in den Kommentaren eine Vielzahl von gesellschaftlichen Fragestellungen und Debatten wiederfinden lässt, die auch im Kunstkontext relevant sind. Die Trennung von Popkultur und einer irgendwie höher gelagerten Kultur ist ein Mythos, der eigentlich schon im 20. Jahrhundert dekonstruiert wurde.

Überraschend ist, dass Julien Bismuth mit der feingliedrigen und durchlässigen Präsentation von digitalen Randzonen kein gesellschaftskritisches oder pädagogisch motiviertes Statement abzugeben versucht. Die Betrachter*innen werden eben nicht in eine voyeuristische Position gezwungen, während sie beispielsweise Auszüge aus rechtsradikalen Foren lesen, wie sie allzu oft von Gegenwartskunst zu einem minoritären Kuriosum stilisiert werden, dass wir anschauen sollen wie Tiere in einem Zoo. Julien Bismuth visualisiert mit seinen „Stücken“ die Gleichzeitigkeit des digitalen Umfelds, in dem wir lesen, denken und schreiben. Der vorgefundene Text ist im eigentlichen Sinn Kontext für seinen eigenen sprachlichen Ausdruck: Er rahmt, ordnet und verbindet, und macht somit all die Dinge sichtbar, die uns der inflationäre Gebrauch des Wortes Kontext oft vergessen lässt.

Julien Bismuth: Context and content, 2019 (Detail). Inkjet print on plexiglass, Diptych, each 152 x 58.4 cm, Photo: Maximilian Anelli-Monti. Courtesy of the artist and Galerie Emanuel Layr Vienna/Rome.

Auf die gegenüberliegenden Wand wurden sechs kleinformatige Plots geklebt. Ein weißes Quadrat rahmt die kurzen Sätze, deren phrasenartige Undefiniertheit auch dem digitalen Raum von Instagram, Tumblr oder ähnlichem entspringen könnte. Gleichzeitig erinnern die linguistischen Zirkelschlüsse und die deskriptive Unkonkretheit an Werke der frühen Konzeptkunst, wie beispielsweise die Sprachspiele von Bruce Nauman. Der Begleittext zu Ausstellung erläutert, dass „A work that spreads rumors about itself“ die textuelle Fixierung einer Arbeit ist, die eben genau daraus besteht das Gerücht in Umlauf zu bringen eine Arbeit über ein Gerücht zu machen. Ähnlich verhält es sich mit „A work that lies about itself“, während “Translation is a horizon” und „Die Übersetzung ist eine Entfernung“ ohne Interpretationshilfen präsentiert werden.

Julien Bismuths Stücke verleiten dazu sie zu betrachten und über sie nachzudenken, auch ohne den konkreten Zusammenhang ihrer Entstehung und Intention zu kennen. Es sind Texte, die das Bedürfnis auslösen weiterzulesen. Die große Qualität der Ausstellung liegt darin, dass der Kontext in dem die Arbeiten entstanden sind, nicht Voraussetzung dafür ist einen emotionalen Zugang zu den Werken zu finden. Der individuelle Blick und der interpretatorische Rahmen ergänzen sich gegenseitig, ebenso wie Text und Kontext von Julien Bismuths Stücken selbst.

Julien Bismuth: everything has a face and every face has its thing, 2019. Make up, installation gesture, inkjet print, Dimensions variable. Photo: Maximilian Anelli-Monti. Courtesy: The artist and Galerie Emanuel Layr Vienna/Rome.

WANN: Die Ausstellung ist noch bis zum 09. März 2019 zu sehen, jeweils von Mittwoch bis Samstag, von 12 bis 18 Uhr.
WO: Galerie Emanuel Layr, Seilerstätte 2, 1010 Wien. Mehr Info online.

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