Ich will deine Daten!
Bilder der Überwachung im Münchner Stadtmuseum

30. März 2017 • Text von

Anfang des Jahres feierte Georg Orwells Roman „1984“ ein Revival. Der Klassiker zum Thema Überwachung war zeitweise Nummer 1 der meistverkauften Bücher bei Amazon, wiederum selbst bekannt als ambitionierter Datensammler. Was zeigt uns das? Das Thema ist bisweilen paradox, weil noch komplexer als es scheint. Und: Es ist wirklich Zeit, sich damit auseinanderzusetzen.

Sebastian Arlt: Porträt der Schauspielerin Sibylle Canonica, © Sebastian Arlt

Sebastian Arlt: Porträt der Schauspielerin Sibylle Canonica, © Sebastian Arlt

Im Umgang mit der zunehmenden Digitalisierung unserer Umwelt, lassen sich zwei Gruppen von Menschen identifizieren. Den vorsichtigen Skeptikern, die in Big Data, bildgetriebenen Social Media-Plattformen und dem Internet of Things die schleichende, allumfassende Kontrolle über unsere Privatsphäre sehen, stehen die neugierigen tech-affinen Entdecker gegenüber, die neben bloßer Selbstoptimierung an einen generellen Nutzen für die Menschheit glauben. Alle, ob Pessimisten oder Optimisten, eint jedoch die Ablehnung einer maßlosen Überwachung durch Staat, Unternehmen oder kriminelle Organisationen. Die Gruppenausstellung im Münchner Stadtmuseum widmet sich dieser (realen) Angst vor Überwachung und leuchtet dabei diverse künstlerische und kunsthistorische Winkel aus, die sich im Umgang mit dem Thema eröffnen.

Brieftaubenkamera von Julius Neubronner, die im Ersten Weltkrieg zu Luftbildaufnahmen verwendet wurde, © Münchner Stadtmuseum

Brieftaubenkamera von Julius Neubronner, die im Ersten Weltkrieg zu Luftbildaufnahmen verwendet wurde, © Münchner Stadtmuseum

Neben einer zeitgeschichtlichen Herleitung, deren Highlight unter anderem die Protestposter gegen die Volkszählung in den 1980er-Jahren sind, stellt die Ausstellung vor allem aktuelle künstlerische Positionen nebeneinander und entwirft so ein globales Konzept zum Thema Überwachung. Zentriert liegt Alexander Steigs Videoarbeit, die simpel und zugleich raffiniert ist. Die Projektion zeigt die Live-Bilder einer Überwachungskamera am Ausgang des Stadtmuseums. Der Besucher, der beim Betreten der Ausstellung ohne es zu wissen noch selbst gefilmt und beobachtet wurde, wird nun eigens zum Beobachter und erwischt sich nicht selten dabei, welche Sogwirkung eine übergeordnete Draufsicht entwickeln kann. Ein zentraler Gedanke in der Auseinandersetzung mit Überwachung ist Macht. Steigs Arbeit zeigt im Kleinen, wie sich solche Machtverhältnisse zwischen Überwachendem und Überwachtem ausbilden.

Max Eicke, USAG Wiesbaden Military Training Area Mainz,  © Max Eicke

Max Eicke, USAG Wiesbaden Military Training Area Mainz, © Max Eicke

Die Position des Voyeurs, die Steig an die Besucher übergibt, scheint auch Sebastian Arlt für sich entdeckt zu haben. Er verwandelt – wenn auch gestellte – Überwachungsvideos in Künstlerporträts, die Mitglieder des Ensembles vom Münchner Residenztheater zeigen: Verpixelte Bilder, schwarzweiß oder dumpf koloriert, bisweilen auch zu nah am abgebildeten Objekt. Sind Arlts Porträts spannend, weil sie aus dem klassischen Raster fallen oder gibt es eine Ästhetik des Überwachens, die auf dem Glauben an einen exklusiven (Ein)Blick beruht?

Jens Klein, Aus der Serie: Briefkasten (Fotos aus Personenakten der Stasi-Unterlagenbehörde), © Jens Klein

Jens Klein, Aus der Serie: Briefkasten (Fotos aus Personenakten der Stasi-Unterlagenbehörde), © Jens Klein

Einen Einblick wie ihn auch Timm Ulrichs gewährt, wenn er den Betrachter mittels Röntgenstrahlen in seine Gepäckstücke und gar den eigenen Leib schauen lässt. Oder Jens Massmann, der im Stile polizeilicher Ermittlungsarbeit fotografische Cluster an der Wand arrangiert. Sie zeigen Orte, Attribute und Personen, die eine sinnhafte Anordnung evozieren, die es zu entschlüsseln gilt. Verschrieben sind sie jedoch einem rein ästhetischen, konzeptuellen Gedanken.

Die Ausstellung „No secrets! – Bilder der Überwachung“ zeigt, auch wenn man es in letzter Zeit ein wenig zu oft gehört und gesehen hat, wie vielfältig und wichtig die künstlerische Bearbeitung der Thematik ist. Sie wird, ob das nun Grund zur Sorge ist oder ein Zeichen für eine Entwicklung hin zur kritischen, mündigen Auseinandersetzung mit Datenschutz und Überwachung, gewiss nicht die letzte Ausstellung zum Thema sein.

WANN: Die Ausstellung ist noch bis zum 16. Juli zu sehen.
WO: „No secrets! – Bilder der Überwachung“ ist ein zweiteiliges Ausstellungskonzept und findet zeitgleich im Münchner Stadtmuseum, St.-Jakobs-Platz  1, und in der ERES-Stiftung, Römerstraße 15, in München statt. 

Weitere Artikel aus München