Hanseatische Stadtrundgänge #1
Heimaturlaub

10. August 2016 • Text von

So richtig ernst gemeint in die eigene Stadt verreisen – macht das eigentlich jemals jemand? Wenn man in einer großartigen Stadt wie Hamburg lebt, kommt der Gedanke schon mal auf, wird aber meist auf „demnächst mal“ verschoben. Damit ist jetzt Schluss.

Tom Fecht: Namen und Steine, 1994

Tom Fecht: Namen und Steine, 1994

Der Plan: Ich nehme mir eine Woche, um endlich mal die Ecken von Hamburg besichtigen, die in den bummeligen fünf Jahren, die ich hier lebe, zu kurz gekommen sind. Als gallerytalk.net-Kunstenthusiastin will ich natürlich nicht nur all die Kunstorte besichtigen, die bisher irgendwo auf der To-do-Liste versauert sind, sondern auch davon berichten. Außerdem habe ich Urlaub, ich will jeden Tag ein Eis!

Tag 1: Montag

Gegensätze in St. Georg und ein bisschen Tagträumen in Uhlenhorst: Der erste Gang führt zum ehemaligen Bahnpostamt am Hühnerposten. Das riesige rot-weiße Gebäude beherbergt heute die Zentralbibliothek der Hamburger Bücherhallen und somit auch unzählige Hamburg-Reiseführer – genau das richtige für mein Vorhaben. Optimal ausgestattet geht es an dem ebenso übergroßen, von Stephan Balkenhol geschaffenen Paar „Mann und Frau“ vorbei, ins Getümmel St. Georgs. Überall auf den Straßen liegen noch übrig gebliebene Flitter der CSD Parade vom Wochenende.

Die Dreeieinigkeitskirche, im vordergrund Horst Hellingers Platzgestaltung, 1986

Die Dreeieinigkeitskirche, im Vordergrund Horst Hellingers Platzgestaltung, 1986

In unmittelbarer Nähe erhebt sich die Dreieinigkeitskirche, hier wird es auch gleich nachdenklicher. Auf engem Raum befindet sich hier zum einen die wohl älteste noch erhaltene Flüchtlingsunterkunft Hamburgs, der Kattenhof in der Georgstraße 5-7. Er gewährte einem Teil der Hamburger, die durch den großen Brand 1842 obdachlos geworden waren, Unterkunft. Zum anderen ist die kreuzförmige Pflasterung vor dem Haupteingang der Kirche ein Mahnmal für die Opfer des HI-Virus. Tom Fecht hat es hier 1994 zum Höhepunkt der AIDS-Epidemie geschaffen.

Trauer und Lebenslust liegen in St. Georg nur wenige Schritte auseinander und in der Langen Reihe locken zahlreiche Geschäfte und Cafés. In der t.boutique plane ich bei Matcha und Macarons das weitere Vorgehen. Trotzdem übersehe ich vor lauter Gucken im ersten Anlauf das Geburtshaus von Hans Albers in der Langen Reihe Nr. 71. Gibt halt viel zu sehen. Der legendäre Schauspieler wird mir hoffentlich nicht böse sein.

Aber genug der Beschaulichkeit, mein knurrender Magen will im traditionsreichen Café Gnosa einkehren. Dessen Geschichte umfasst den Ruhm, die ersten Buttercremetorten nach dem zweiten Weltkrieg angeboten zu haben genauso wie den eher zweifelhaften Umstand, in der Nachkriegszeit Standort des sogenannten „Hausfrauenstrichs“ gewesen zu sein. In den 90er Jahren wurde es schließlich zu einem queeren Treffpunkt. Heute genießen hier alle nach ihrer Fasson in dem gemütlich-plüschigen Interieur und ich nehme mit dringend vor, für den Kuchen wiederzukommen.

Stephan Balkenhol: Vier Männer auf Bojen, 1993

Stephan Balkenhol: Vier Männer auf Bojen, 1993

Zum Abschluss will ich noch ein bisschen spazieren, es geht an die Alster. Was wäre ein Tag in Hamburg ohne Wasser! Hier begegnet mir auch Stephan Balkenhol wieder. Ich begebe mich in ein Zwiegespräch mit einem seiner vier „Männer auf Bojen“. Stoisch guckt der Typ in die Ferne, die Hände in die Seiten gestützt, als würde ihn nichts schrecken. Sicher hat er an seinem Platz mitten in der Alster schon so einiges erlebt. Ob er nach seinen drei Kumpeln Ausschau hält? Weiter geht’s am Wasser entlang noch ein Stück durch Uhlenhorst. Mit einem Eis in der Hand lässt es sich hier ganz vorzüglich davon tagträumen, eine der schicken Wohnungen und Villen einzurichten. Erschöpfte Reisende werden sodann vom HVV ganz fußschonend und mit hübscher Aussicht an den Hauptbahnhof zurückchauffiert.

Die Ausrüstung: Sehr vernünftiges Schuhwerk, Notizbücher, Stift, Kamera, Stadtplan
Eis: Frozen-Yoghurt-Himbeere

Haus Michaelsen, 1923, Architekt Karl Schneider

Haus Michaelsen, 1923, Architekt Karl Schneider

Tag 2: Dienstag

Die noblen Elbvororte: Es geht raus ins Grüne, zum Kunstraum Falkenstein. Über das Gebäude selbst habe ich schon Vielversprechendes gelesen: Die Villa sei ein „Juwel“. Und in der Tat, der Architekt Karl Schneider hat das „Haus Michaelsen“ 1923 ganz der modernen Formensprache verpflichtet hoch über der Elbe erbaut. Allein der Blick ist umwerfend! Elke Droescher, die hier eine Galerie und ihr Puppenmuseum unter einem Dach betreibt, erzählt begeistert „Das Haus wurde von Walter Gropius schon im Bauhaus-Buch Nr. 1 verzeichnet!“. Der traumhaften Villa mit ihren elegant geschwungenen Flügeln sieht man heute nicht mehr an, wie heruntergekommen sie vor dem Wiederaufbau war: „Als ich die Ruine sah, habe ich nichts gesehen, aber gespürt.“

Jo Schöpfer im Kunstraum Falkenstein

Jo Schöpfer im Kunstraum Falkenstein

Wie fließend die Grenzen zwischen der Alltagskultur der Puppenhäuser und Architekturmodellen eigentlich sind, wird spätestens in der Galerie im Obergeschoss deutlich. Die „Architekturen“ der aktuellen Ausstellung wirken wie eine minimalistische Weiterführung der Architektur mit künstlerischen Mitteln.

Nach einem kleinen Spaziergang durch den angrenzenden Sven-Simon-Park habe ich Hunger. Das bodenständige „Zum Falkenstein“ ist nicht weit, und da ich mich tollkühn fühle, beschließe ich landestypische Spezialitäten zu bestellen. Labskaus schmeckt tatsächlich besser, als er aussieht.

Die Lindenterrasse des Cafés Louis C. Jacob heute

Die Lindenterrasse des Cafés Louis C. Jacob heute

Ich fahre weiter nach Nienstedten: Die Kirche ist entzückend, der Friedhof verwunschen und zum Kaffee wandle ich auf Max Liebermanns Spuren. 1902 malte er die „Terrasse im Restaurant Jacob in Nienstedten an der Elbe“. Als ich herausfand, dass es das Lokal noch gibt, war klar: Da muss ich hin. Und es sieht dort wirklich noch so aus wie bei Liebermann!

Die Ausrüstung: Die Tour wird mit dem Auto bequemer.
Das Eis: Ich bin pappsatt, ein Capri aus dem Supermarkt reicht mir heute.

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