Grauen in der Provinz
Der steirische herbst 2018

21. Oktober 2018 • Text von

Inmitten der Stadt Graz, im Süden Österreichs, zeichnet der steirische herbst ein differenziertes Bild der diskursiven Kampfhandlungen entlang der Grenzen von Heimat, Zugehörigkeit und dem Widerstand gegen historische und politische Interpretationshoheit.

Rosella Biscotti & Kevin van Braak: The Standing Wave, 2018. Photo: Nicolas Galani.

Ein scharfkantiges schwarzes Loch, eine unregelmäßige Form irgendwo zwischen Feuerwerk und Gekritzel, bedeckt den Stadtplan von Graz. Entlang der geografischen Eckpunkte des steirischen herbstes bildet sich ein umrisshaftes Symbol, das allzu gut den Titel der diesjährigen Ausgabe des Festivals visualisiert: Volksfronten – „absichtlich im Plural und stets auf Deutsch“, wie das Kuratorenteam in dem 300 Seiten starken Guidebook klarstellt.

Der steirische herbst, 1968 gegründet und somit das älteste Festival für zeitgenössische Kunst in Europa, widmet sich in diesem Jahr der Verortung von historischen Narrativen des 20. Jahrhunderts und aktuellen Fragen nach persönlicher wie demokratischer Einflussnahme auf die unmittelbare Umgebung. Das Lokale, im besten Falle in seiner pluralistischen Widersprüchlichkeit, im schlechtesten Falle in seiner Vereinnahmung durch rechte Ideologien, steht im Zentrum der Aufmerksamkeit.

kozek hörlonski & Alexander Martinz, Still: Dämonische Leinwände II – Arrival, 2018. Courtesy of the artists.

Im Minoritenkonvent, einer christlichen Ordensgemeinschaft mit eigenem Kulturzentrum, erkundet das Wiener Künstlerduo korek hörlonski in Zusammenarbeit mit dem Medienkünstler Alexander Martinz in einer mehrteiligen Filmarbeit den Horror ländlicher Mythen und provinziellen Alltagsgeschehens. Über mehrere kleine Räume verteilt wird das Publikum mit unheimlichen und gewaltvollen Szenen konfrontiert, die ihren Anfang in alltäglichen Situationen finden. Ein junger Mann geht am Rand eines Feldes entlang und wird von einem als ein Heustapel verkleideten Dämon überfallen. Zwei Gösser trinkende Parkwächter werden Zeuge des brutalen Zombiemordes an einem Passanten. Eine Assemblage von volkstümlichen Holzskulpturen und als Narren verkleideten Dorfbewohner*innen gruselt in schneller Abfolge über die Leinwand. Zwei Freundinnen beginnen zaghaft eine romantische Beziehung, bis sich herausstellt, dass eine von ihnen ein Vampir ist. Die visuelle Eindrücklichkeit der Bilder zeugt einerseits von dem shabby Chic der österreichischen Provinz und dem beiläufigen Aufbegehren der einheimischen Jugendlichen gegen Konventionen. Andererseits gelingt dem Künstlerduo die bildliche Verschränkung von erlebbarem Horror mit dessen politischer Spieglung in rechter Politik, die ländliche Idylle und mythologische Ursprünge in einem exkludierenden Heimatbild zusammenführt.

Yoshinori Niwa: Withdrawing Adolf Hitler from a Private Space, 2018. Photo: Mathias Völzke.

Eines gänzlich anderen Ansatzes bedient sich der in Wien lebende Künstler Yoshinori Niwa in seinem Projekt für den steirischen herbst: In mitten des Grazer Hauptplatzes, wo sich Straßenbahnen, Würstchenbuden, bummelnde Passant*innen und Prachtbauten aneinander vorbeischieben, positioniert er einen schwarzen Altkleidercontainer. Darauf zu lesen ist: „Sie sind gequält von der Uniform ihres Nazionkels, die immer noch auf dem Dachboden liegt? Wohin damit?, fragen Sie sich? Verkaufen zu peinlich, Verbrennen zu schmerzhaft? Dann habe ich DIE Lösung für Sie!“ Ob das Kunstwerk während der dreiwöchigen Festivallaufzeit für mehr Irritation im öffentlichen Raum sorgte, oder tatsächlich in weniger belebten Stunden von Bürger*innen genutzt wurde, ist irrelevant. Die einfache Handlungsaufforderung lässt sich als eine Fortführung der von korek hörlonski, ebenso wie Ulrich Seidl aufgeworfenen Frage nach dem Grauen verstehen, das sich in österreichischen Kellern und hinter zugezogenen Vorhängen verbirgt. Am Tag des Besuchs der Autorin wurde an der Vorderseite des Containers ein Sticker angebracht, auf dem in altmodischer Handschrift geschrieben steht: „Andenken meiner Vorfahren bewahre ich ehrfurchtsvoll als Teil der Familiengeschichte.“

Henrike Naumann: Anschluss ‘90, 2018. Photo: Mathias Völzke.

Auch die in Berlin lebende und in der DDR aufgewachsene Künstlerin Henrike Naumann beschäftigt sich mit dem Sammeln von Erinnerungsstücken. Nach „Aufbau Ost“ (2016 in der Galerie Wedding in Berlin) und „Das Reich“ (2017 beim 3. Berliner Herbstsalon in Berlin) imaginiert sie anlässlich des steirischen herbstes das Überschwappen des völkischen Zusammengehörgkeitsgefühls von 1990 auf Österreich und einen selbstgewählten Neu-Anschluss an die wiedervereinte Bundesrepublik. Mit sehr viel Geschick und Detailgenauigkeit inszeniert Naumann ein Möbelhaus aus den Neunzigern, das die Atmosphäre der risshaften Euphorie der Wiedervereinigung räumlich erfahrbar macht. In dem Kopfteil eines Bettgestells ist ein Radio eingebaut, aus dem Katy Perrys „Chained to the Rhythm“ mit seiner Ohrwurm-geeigneten Bridge “So comfortable, we’re livin’ in a bubble, bubble. So comfortable, we cannot see the trouble, trouble“ tönt.

Funda Gül Özcan: es ist eingetreten was zu erwarten war, 2018. Photo: Mathias Völzke.

Funda Gül Özcan wählt Rihannas “Diamonds” als Soundtrack für ihre Installation in der ehemaligen Ankara Türkü Bar in der Giesgasse, Graz. Während Naumann mit Objekten arbeitet, um ein Lebensgefühl zu illustrieren, bedient sich Özcan der Bilderflut des Internets. Auf abgenutzten Kunstledersofas sitzend, entfaltet sich vor den Augen des Publikums eine mehrkanalige Videoinstallation, die sich durch holografische Effekte in die Tiefe des Barbereichs erstreckt, ihre soghafte Wirkung. Auf einer Leinwand schluchzt ein computeranimierter Recep Tayyip Erdoğan, auf den beiden anderen reihen sich verschiedenste Videoausschnitte aneinander, stapeln sich übereinander und vermischen sich zu einem Gesamtbild über mediale Verwirrungsstrategien und politische Folgen eines sich auflösenden Wahrheitsbegriffs. Der Geruch nach Zigaretten und die verwinkelte Architektur dieses ehemaligen Treffpunkts einer türkisch-österreichischen Community erweitern den Bezugsrahmen der Installation „es ist eingetreten was zu erwarten war“ um post-migrantische Fragestellungen.

Der steirische herbst besticht durch ein politisch ambitioniertes Programm, das sich natürlich in die Struktur der Hauptstadt der Steiermark im Süden Österreichs einfügt. Den einzelnen Arbeiten wird sowohl räumlich als auch inhaltlich der Raum gegeben, ausgehend von dem vieldeutigen Titel unterschiedliche Perspektiven auf Geschichte, Mythen von Idylle und Zugehörigkeit, sowie den gegenwärtigen Zustand demokratischer Systeme zu entwickeln.

WANN & WO: Der steirische herbst 2018 fand vom 20. September bis zum 14. Oktober 2018 an verschiedenen Orten in Graz statt. Alle Infos zu dem diesjährigen Festival, sowie Termine für das nächste Jahr findet ihr online.