Explosive Wunderkammer

2. Februar 2016 • Text von

Im Spannungsfeld zwischen großformatigen Gemälden und phantasievollen Zeichnungen kreiert Peter Sengl im Farbrausch eine Welt der Wunderkammern und entführt uns in sein Paralleluniversum aus Märchen, Tanz und Erotik.
Text: Lisa Leutner

Das Leopold Museum in Wien widmet dem österreichischen Malerfürsten anlässlich seines 70. Geburtstags eine umfassende Retrospektive. Im Besonderen werden Sengls berühmte und provokante Tabubrüche in Form seiner radikalen Auseinandersetzungen mit Sexualität und dem menschlichen Körper thematisiert.

Peter Sengl, SICH ETWAS IN UND VOR EINEN KOPF SETZEN, Leopold Museum

Grundthema seines gezeigten Werkes ist das Spannungsfeld zwischen Leben und Tod, das plakativ durch Anwesenheit von Skeletten und Totenköpfen zum Ausdruck kommt, dem wiederum mit aller Lebendigkeit und Farbenfreude eine reiche Tierwelt gegenübersteht.

Peter Sengl,DIE 2 FRIDASFRIDAPUPPENHALTUNG, Leopold Museum

Sengl ist ein Meister der ins Skurrile verzerrten Alltagssituationen. Körper werden verschraubt, vernagelt und mittels technischer Hilfsmitteln in Posen festgehalten, in enge Räume gesperrt und dennoch scheinen sie nicht zu leiden – explosiv bedrückende Spannung trotz eingeschränkter Bewegungsfreiheit. Sengel zeigt deformierte Gliedmaßen, die prothesenhaft in Tierkörpern enden, Künstlerpersönlichkeiten wie Frida Kahlo, die er wie Trophäen präsentiert, kirchliche Würdenträger, deren Gesichter er mit die Wangen durchbohrenden Kreuzen ästhetisiert, in Korsagen verschnürte sexualisierte weibliche Akte, die er in Tanzposen zwingt.

Peter Sengl,DER TOD TANZT ROT UND SCHWARZ UND BLAU, Leopold Museum

In diesen Extremen aus Erotik, menschlichen Maschinen und Märchenwelt bewegt sich der Besucher, stets auf der Suche nach dem Motivschatz des Künstlers. Der speist sich aus der Natur, Religion, Kunstgeschichte und Musik. Es kann seinen Werken allerdings eine gewisse Tiefgründigkeit abgesprochen werden, wenn allzu plakative, an Werbung erinnernde Szenerien und Sujets auftauchen: Exzentrische Pin-up- Girls, Küchengeräte, Lebensmittel.

Bereits im ersten Ausstellungsraum wird die narrative Leidenschaft des Malers deutlich: Hier werden Sengls freie Paraphrasen zu Werken der Sammlung Leopold gezeigt. Er greift Schieles Hockende Frauen, Egger Lienz Totentanz, Klimts Tod und Leben auf und interpretiert sie als Hommage an die Leopold- Sammlung in neuer, ungewohnter Weise. In jedem dieser großformatigen Werke ist ein Selbstbildnis eingefügt, nur die Muster und Farbigkeit seiner auf den Bildhintergrund abgestimmten Anzüge variieren. In Denkerpose mit Dandy-Attitüde, den Betrachter ins Visier nehmend fordert Sengl uns auf, in die Handlung im Hintergrund einzutauchen, auf die er selbst keinen Einfluss zu haben scheint.

URSPRÜNGLICHER HOCHMÜTZENMASOCHIST

Peter Sengl, URSPRÜNGLICHER HOCHMÜTZENMASOCHIST, Leopold Museum

Einen Einblick in seine oftmals skurrile Gedankenwelt ermöglicht Sengl über die Bildtitel, die im Bildraum selbst platziert sind. Überhaupt nehmen diese in Sengls Werk eine zentrale Rolle nicht nur als Teil der Malerei ein, sondern können als literarische Sprachspielerein, Wortverdrehungen und Bildbeschreibungen funktionieren und zeigen von seiner Lust am Erzählen. Für den Künstler, der seine Bilder häufig übermalt und als letzten Akt kreativen Schaffens tituliert, hängen sie mit der Entstehungsgeschichte der entsprechenden Arbeit zusammen und lassen auf den Werkprozess schließen. Es ist daher für den informationshungrigen Betrachter durchaus überraschend, wenn er die im Titel genannten Objekte nicht finden kann, weil sie längst seiner Übermalungswut zum Opfer gefallen sind. Umso bedauerlicher für internationale Besucher, denen mangels englischer Übersetzung der Bildtiteln, diese unterhaltsamen, skurrilen und auch provokanten Schöpfungen vorenthalten werden.

Die Geschichten, die Sengl in seinen Werken erzählt, handeln von praller Lebensfreude, emotionalem Rausch und menschlichen Abgründen und dennoch überfällt den Betrachter der Wunsch, weiter vorzudringen, um ein Teil dieser Wunderwelt zu werden.

WANN: Zu sehen bis 08. Februar. 2016
WO: Leopold Museum
 MuseumsQuartier Wien

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