Ein abendländischer Harmonist
Elger Esser bei Kewenig

30. November 2017 • Text von

Der Fotograf Elger Esser liebt Harmonie. So kam er von seinen Reisen durch den nahen Osten mit jeder Menge friedlicher Landschaftsansichten zurück. Verwerflich? Aktuell, da wir mit grausamen Bildern aus dem sogenannten Morgenland medial regelrecht bombardiert werden, vielleicht sogar gerade wichtig.

Elger Esser, Akko II, 2015 Israel, C-Print, DiaSec Face, 154,5 × 184 × 5 cm, Ed. 2/7, © Elger Esser, Courtesy Kewenig

Gleich zu Beginn des Pressegesprächs thematisiert Elger Esser die Problematik des Begriffs „Morgenland“, der im 16. Jahrhundert von Martin Luther geprägt wurde und heute den Titel seiner Ausstellung in der Galerie Kewenig trägt. Als „kolonialistischer Begriff kultureller Art“ wird das „Abendland“ auch in heutigen politischen Debatten in exklusivistischer Manier einem Europa gleichgesetzt, in dem Einflüssen seines Antonyms kein Platz eingeräumt wird. Nicht zu vergessen sei auch, dass Luther ein vehementer Antisemit war und somit eine Wertfreiheit und Vorurteilslosigkeit in der Verwendung der Begriffe nicht garantiert werden kann.

Elger Esser, Morgenland, Installationsansicht, Courtesy Kewenig

Entsprechend betritt man die Ausstellungsräume des ehemaligen Stadtpalais mit der Erwartungshaltung, dass die Fotografien der Serie, die zwischen 2004 und 2015 in Israel, Ägypten und dem Libanon entstanden sind, eine konkrete politische Haltung transportieren. Stattdessen stößt man auf die meist menschenleeren, ruhigen und dunstigen Landschaftsdarstellungen in Horizontalität und Großformat, wie man sie von Elger Esser bereits kennt. Von Krieg, Armut, Leid und Aufständen ist weit und breit nichts zu sehen. Die Aufnahmen vom Flussufer des Nils, von der libanesischen Küstenlandschaft, von Akko und dem See Genezareth bestechen wie auch frühere Fotografien von der normannischen Landschaft durch zeitlose Erhabenheit, bescheidene Romantik und eine verfeinerte Ästhetik. Zu Recht wird sein Schaffen oft mit der frühen Fotografie des 19. Jahrhunderts und niederländischer Malerei im 17. Jahrhundert in Zusammenhang gebracht. So bezeichnete ihn die art zuletzt als „hoffnungslosen Nostalgiker mit anhaltender Schwäche für bourgeoise Malereimotive aus einer vermeintlich besseren Zeit.“

Elger Esser, Shivta, 2015 Israel, C-Print, Alu-Dibond, 184 x 228,5 x 4 cm | 72 1/2 x 90 x 1 1/2 in Ed. 2 of 7 + 1 AP, © Elger Esser, Courtesy Kewenig

Wenn man diese Haltung vertritt, trifft man mit „Morgenland“ auf saftigen Nährboden für seine Kritik. Denn Esser legt seinen westlich geschulten, französisch geprägten und literarisch verklärten Blick auch in der fremden Welt nicht ab. Als persönlichen Reisebegleiter nennt der die Schriften von Gustave Flauberts und Maxime du Camps Reise nach Ägypten im Jahr 1837. Doch muss man deswegen nicht gleich von rückwärtsgewandtem Eskapismus und Utopismus sprechen. Ja, er blendet vieles aus, bleibt aber zugleich auch seiner individuellen Sicht treu. Und eine aktive Weglassung der Menschen und ihrer Schicksale muss keine Ignoranz bedeuten, sondern kann als bewusste Entscheidung gerade hierdurch quasi dank Negativregel auf diese aufmerksam machen. Auch kann man argumentieren, dass er sich keinem Exotismus beugt. Nach eigener Aussage betrachtet er die jeweilige Landschaft „ganzheitlich, vielleicht auch demokratischer.“

Elger Esser, Jisr az-Zarqa I, Israel 2015, C-Print, Diasec Face, 146 × 183,5 × 5 cm, Ed. 2/7 + 1 AP, © Elger Esser, Courtesy Kewenig

Und demokratisch bedeutet wiederum auch nicht gänzlich unpolitisch. Eine wunderschöne Fotografie zweier in unmittelbarer Nähe voneinander erbauter Leuchttürme an der Küste von Jisr az-Zarqa hat in Israel sogar für Furore gesorgt. Das unweit von Tel Aviv entfernte Fischerdorf wird heute von Palästinensern bewohnt und verfügt weder über eine Autobahnabfahrt noch über Strom, Wasser oder eine Schule. Die Israelis konnten die übertragene Symbolik der zwei fest am Meeresgrund verankerten Leuchttürme sofort erkennen. Umso irritierender ist bei diesem Hintergrundwissen die friedliche Stimmung des Bildes. „Ich kann nur Harmonie“, sagt Esser dazu. Und fügt, noch bevor man Solidarität mit der art-Redaktion bekunden kann, den entscheidenden Punk hinzu: „Sie müssen sich vorstellen, welch extreme innere Unruhe es erfordert, um diese zu erzeugen.“ Vielleicht bedeutet das so viel wie dass er die erlebte Zwietracht gewissermaßen zugunsten seines Publikums in sich aufnimmt und mit sich austrägt, damit etwas entstehen kann, das nicht eskapistisch, sondern vielmehr versöhnend ist. Esser hat auf seinen Reisen unzählige brenzlige Situationen aushalten müssen, um uns nun auch die idyllischen Seiten der Länder nahebringen zu können. Und er weist so darauf hin, das solche auch in von blutigen Auseinandersetzungen erschütterten Ländern noch existieren. Denn der abgebildete Moment war ja – wenn auch nur ausschnitthaft – zumindest für einen kurzen Moment real. Hier ist alles analog, nichts wird nachträglich manipuliert. Das Problem liegt wohl eher darin, dass der Mensch, und ganz besonders der Kritiker, sich nicht mehr mit reiner Ästhetik zufriedengeben kann, obgleich sie doch gar nicht proklamiert, mehr zu sein als das. Esser bemerkt dazu etwas kampflustig: „Wenn Kunst auf Schönheit trifft, werden die Menschen in Deutschland ganz ängstlich und verkrampft. Da kriegt der Deutsche Pickel!“

WANN: Die Ausstellung ist noch bis zum 28. Januar 2018 zu besichtigen.
WO: Kewenig, Brüderstraße 10, 10178 Berlin.

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