DIStopia
9. Berlin Biennale

30. Mai 2016 • Text von

Das Kollektiv DIS untergräbt nach allen Regeln der Kunst die Regeln der Kunst. Nun kuratieren die vier New Yorker die diesjährige Berlin Biennale. Wir wissen nicht, was uns erwartet, aber wir spekulieren.

Theater für Transhumanisten, Make-up Tutorials zur Tarnung vor Überwachungskameras, Kleidung mit integrierter Milch-Pumpmaschine – klickt man sich durch das DIS Magazine fühlt man sich entweder wie in einem Futurismuslabor oder wie auf einer Fashion-Party. 2001 wurde die Online-Plattform von Lauren Boyle, Solomn Chase, Marco Roso und David Toro gegründet, inzwischen ist sie längst zum mustergültigen Exempel der sogenannten „Post-Internet Art“ avanciert. Statt sich der feindlichen Werbeindustrie mit ihren eingängig-kommerziellen Slogans zu verweigern, bedient sich das Kollektiv nach Herzenslust aus dem kreischenden Fundus und impft den verflachten Inhalten eine ganz neue Bedeutung ein. Was dabei herauskommt, ist ein ästhetisches Mash-Up, in dem Kunst und Kommerz miteinander in Symbiose treten und welches zugleich als äußerst bissiger Kommentar auf gegenwärtige, gesellschaftliche Zustände funktioniert. Dass DIS als Sprachrohr der Digital-Natives-Generation gefeiert wird, ist keine Überraschung: Mit ihrem Magazin bewegt sich das Kollektiv so nah am Puls der Zeit, dass es ihn bisweilen zum Stillstand bringt.

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DIS, kuratorisches Team der 9. Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst. Foto: Sabine Reitmaier.

Und nun die Biennale. Selten wohl wurde Berlins größtes Kunst,- (und Marketing-) Event von einer derart unkonventionellen, lässigen und rebellischen Gruppe angeführt. „The Present in Drag“ lautet der diesjährige Titel, den man allerdings – laut Aussage der Kuratoren selbst – nicht zu wörtlich nehmen sollte. Um die Paradoxien des gegenwärtigen Zeitalters – und auch die des gegenwärtigen Berlins – sichtbar zu machen, werden dieses Jahr durchweg Orte von den Künstlern beschlagnahmt, denen eine gewisse „Paradessenz“ innewohnt: die Akademie der Künste als Projektionsfläche visueller staatlicher Codes, die ESMT European School of Management and Technology als Sinnbild globaler Wirtschaftsmacht, die Feuerle Collection als Exempel des hauptstädtischen Kulturmarketings, das Schiff Blue-Star der Reederei Riedel als Tourismusmagnet und das KW Institute for Contemporary Art, welches das „Berlin der Insider“ repräsentiert. Die Hauptstadt als Ort der Sehnsüchte und Projektionen, zugleich aber auch des Kapitals, der versteckten Machtstrukturen und der Manipulation. Das ist es, worauf DIS mit ihrer Wortschöpfung „Paradessenz“ anspielt.

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Korpys/Löffler: Transparenz, Kommunikation, Effizienz, Stabilität, 2016. Courtesy Korpys/Löffler; Meyer Riegger, Berlin/Karlsruhe.

Richtig spannend wird’s dann, wenn man einen Blick auf die Liste der unterschiedlichen Biennale-Plattformen sowie der beteiligten Künstler wirft. Da wäre zum Beispiel das Format „Anthem“, ein von dem Musiker Ashland Mines eigens für die Veranstaltung komponierter Soundtrack, der in einer achtteiligen Vinyl-Serie released und später auch verscherbelt wird. In der Akademie der Künste stehen Nik Kosmas Fitnessgeräte herum und fordern jeden Samstag zum Workout unter Künstleranleitung auf. Und unter dem Schlagwort „Fear of Content“ wird ein Feed an Inhalten produziert, der die Besucher ähnlich des übervollen Posteingangs permanent zu überschwemmen droht. Dass sich in der Teilnehmerliste Namen wie atelier le balto, Centre for Style und ayr wiederfinden, lässt außerdem schon erahnen, dass DIS nicht nur Künstler im herkömmlichen Sinne, sondern auch Architekten, Designer und Fashion-Experten ins Boot geholt hat. Der Zeitgeist pocht und prickelt hinter den Formaten und macht sich dabei gleichzeitig durchlässig für Kritik.

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Ryan Trecartin: Permission Streak, 2016. Courtesy: the artist; Sprüth Magers.

Vermutlich wird man sich auf der diesjährigen Berlin Biennale ähnlich fühlen wie beim Durchstöbern des DIS Magazins: ob der Verworrenheit ein bisschen verloren, gleichzeitig aber bis aufs äußerste fasziniert. Nach der Enttäuschung im letzten Jahr bleibt zu hoffen, dass mit DIS 2016 ein Kuratorenteam auserkoren wurde, das die Veranstaltung tatsächlich wieder zu dem Kunstabenteuer werden lässt, das sie vorgibt zu sein. Die ohnehin offensichtliche Tatsache, dass die Biennale nicht nur im Dienst der Kunst, sondern auch der städtischen Kulturwirtschaft steht, versuchen DIS jedenfalls nicht heuchlerisch zu vertuschen, sondern machen sie vielmehr selbst zum Thema. Eine längst überfallige Maßnahme.

WANN: Die Eröffnung der 9. Berlin Biennale findet am 3. Juni 2016, von 19 – 22 Uhr, statt. Laufzeit ist bis zum 18. September 2016. Teilnehmende Künstler sind unter anderem Simon Denny, Yngve Holen, Timur Si-Qin, Hito Steyerl und viele, viele mehr. Den vollständigen Überblick gibt’s hier.
WO: AdK, KW Institute for Contemporary Art, ESMT, The Feuerle Collection, Fahrgastschiff Blue-Star der Reederei Riedel.

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