Die freundliche Postapokalypse
MS Artville 2018

30. Juli 2018 • Text von

Auch im Jahr 2018 lädt das MS Artville in seine magische Gegenwelt auf der Elbinsel – dieses Mal unter dem Motto “Der 105. Stadtteil”. Wir haben uns verzaubern lassen.

MS Artville 2018, Copyright: Harry Horstmann

MS Artville 2018, Copyright: Harry Horstmann

Ein bisschen wirkt es ja immer, als wäre die Welt gerade untergegangen, und die letzten Überlebenden ein paar Hippies, die sich aus Brettern und bunter Farbe ein provisorisches Zuhause gezimmert hätten: Das ist das verspielte Universum, das das MS Artville alljährlich auf dem Gelände des MS Dockville in Wilhelmsburg auf die Beine stellt.

Auch dieses Jahr klingt “Und wir singen im Atomschutzbunker/ hurra, die Welt geht unter” im Hinterkopf mit, als wir das Artville-Areal betreten. Vor allem die monumentalen Arbeiten aus den vergangenen Jahren, die das Gelände noch immer prägen, sorgen weiterhin für den richtigen Touch postapokalyptischer Ästhetik. So zum Beispiel das Trash-Wiesel von Bordalo II oder der gigantische Holzwal von Labor Fou, der zum MS Artville 2018 ein neues Innenleben aus grünem Pflanzenbewuchs und einer Bar erhalten hat.

Sabek: Black Eeagle, 2018, MS Artville, Foto: Martina John

Sabek: Black Eeagle, 2018, MS Artville, Foto: Martina John

Natürlich gibt es auch dieses Jahr zahlreiche Neuerungen. Gleich am Eingang begrüßt uns eine monumentale Vogelskulptur aus dunklem Holz. Der “Black Eagle” von Sabek breitet seine Schwingen aus und sorgt mit optischen Reminiszenzen an die Donnervögel der nordamerikanischen Ureinwohner für regelrecht mythische Anklänge.

Wenige Schritte weiter sind wir wieder im 21. Jahrhundert und der geneigte Medienmensch fühlt sich auf frischer Tat ertappt. “Werbung ist visuelle Umweltverschmutzung” proklamiert die Plakat-Installation “Art not Ads” von Dies Irae und verstärkt ihren Claim gleich noch einmal mit einem Strom umgedrehter und ausgekippter Caprisonnen auf der Rückseite.

Auch “Create your own God” von Elmar Karla reflektiert kritisch unsere Weltwahrnehmung. In Form eines riesigen Drehwürfel-Puzzles kann man sich seinen eigenen Götzen zusammenbasteln: Ein Roboter, der geldgierige Dagobert Duck oder ein totalitär uniformierter Soldat stehen zur Auswahl. Und die mit ihren Smartphones wedelnden Smombies auf René Scheers Wandbild am “Nest” halten uns fleißig instagrammenden Millennials ebenfalls einen Spiegel vor…

Generell fällt auf, dass diesmal viele partizipative Arbeiten auf dem MS Artville an Bord sind. Besonders schön ist der “poetomat”, der einem nach Einwurf einer Münze und eines selbsterdachten Stichworts ein handgeschriebenes Gedicht ausspuckt. Uns hat er eine gar wundervolle Ode an das Schnabeltier gezaubert.

Irene Lasivita: Female Nude with Clit, 2018, MS Artville, Foto: Martina John

Irene Lasivita: Female Nude with Clit, 2018, MS Artville, Foto: Martina John

Im Zentrum des “105. Stadtteils” – so das diesjährige Motto, das sowohl auf den künstlerischen Freiraum des Geländes als auch auf die Verortung im Stadtteil Wilhelmsburg hinweisen will – steht wie im vergangenen Jahr wieder ein monumental-geometrisches Objekt in Knallfarben. Letztes Jahr der Tunnel von Darko Caramello, diesmal heißt die turmartige Skulptur “Babel” und stammt von Kitra. Zusammen mit den vielen bemalten Überseecontainern – zum Beispiel “Female Nude with Clit” von Irene Lasivita – trägt der Turm viel zum “Sense of Place” des Festivals bei und lässt das Artville tatsächlich wie eine kleine Siedlung wirken.

Ein Stadtteil aus der – eventuell ein bisschen abgerockten – Zukunft, eine Utopie mit rustikalem DIY-Charme – und auf jeden Fall ein Ort, an dem es uns jedes Jahr wieder gerne zurückzieht.

WANN: Noch bis zum “Burgfest” mit Flohmarkt am 11. August hat der 105. Stadtteil seine Pforten geöffnet. Immer dienstags, mittwochs und sonntags von 14 – 20 Uhr könnt ihr die Installationen auf der Elbinsel bestaunen.Beim “Kunstgucken” ist der Eintritt frei. Näheres zu den Veranstaltungen auf dem Gelände erfahrt ihr hier

WO: Reiherstieg-Hauptdeich / Alte Schleuse, 21107 Hamburg.

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