Das Testosteron, das ich rief
Eine Installation in Bewegung

29. Mai 2019 • Text von

Monira Al Qadiri betreibt mit „Phantom Beard“ auf den Wiener Festwochen queeren Ahnenkult und poetische Geisterbeschwörung und durchforscht dafür ihre kuwaitisch-japanische Vergangenheit.

Monira Al Qadiri: Phantom Beard, 2019. Copyright Photo: Nurith Wagner-Strauss.

Es gibt eine Serie von Fotos von Monira Al Qadiri, die sie im Alter von 14 Jahren zeigt. Ihre Schwester, die Musikerin und bildende Künstlerin Fatima Al Qadiri, hat sie aufgenommen. Umgeben von den Jagdtrophäen ihres Vaters posiert Monira mit kurzen, streng nach hinten gekämmten Haaren, einem fein angezeichneten Schnurrbart und in den Kleidern ihres Vaters. Auf weiteren Fotos der Serie trägt Monira eine Kufiya, ein arabisches Kopftuch für Männer, auf wiederum anderen eine Pelzstola, eine Faschingsmaske oder einen losen Hidschāb, ein weibliches Kopftuch. „Bored, 1997“ zeigt uns nicht die starre Aufspaltung in Weiblich/Männlich, sondern verweist auf die Durchlässigkeit und die Performativität dieser Grenzziehung: Wo beginnt das Weibliche, wo endet das Männliche und andersherum?

Die auf den Wiener Festwochen uraufgeführte Performance „Phantom Beard“ beginnt mit einer Videoprojektion: ein Meteorit, der langsam, aber stetig auf uns zufliegt. Je näher uns der Gesteinsbrocken kommt, desto sichtbarer werden die Spuren seiner Geschichte, die Einkerbungen und Ablagerungen, die er in seiner kosmischen Vergangenheit erworben hat. Eine Sequenz, die sich Zeit nimmt, um auf uns einzuwirken, bevor Monira Al Qadiri die Bühne betritt und mit verhülltem Gesicht, in kleinen Geisha-Schritten auf und ab trippelt. Statt des Meteorits erblicken wir nun hinter ihr einen Sperma-Regenschauer. Faszination Männer: ihre Körper, ihre Augen, Bärte, Muskeln, der Duft von Oud und Schießpulver, ihr Narzissmus und ihre Selbstsicherheit! Ach wäre ich doch ein echter Kerl! „I love Masculinity – what can I do. ( I know it’s wrong) “, wird sie im anschließenden Publikumsgespräch sagen.

Der Haufen Männerkleider, den sie sich vors Gesicht hält, wird erst auf den Boden geschmissen, dann angezogen. Schicht für Schicht wird die Verkleidung angelegt, männliche Gesten eingeübt, bis die Geschlechter-Verwandlung gelungen zu sein scheint. In Drag kann das Ritual der Ahnenbeschwörung beginnen.

Monira Al Qadiri: Phantom Beard, 2019. Copyright Photo: Nurith Wagner-Strauss.

Es war in ihrem letzten Jahr in Japan – Monira Al Qadiri verbrachte dort zehn Jahre – als eine Bekannte sie mit der traditionell-japanischen Technik des Geisterlesens bekannt machte. Aber wohingegen Geister- und Ahnenkult in Japan nicht nur Mythos, sondern Teil des Alltags sind, ist dieser streng ritualisierte Umgang mit den eigenen Toten der arabischen Tradition, der Al Qadiri entstammt, fremd. Und so adaptierte sie dieses ihrer Kultur uneigene Werkzeug, um Kontakt mit ihren Stammesvorfahren aufzunehmen. Lässt sich so ein Zugang zu einer rein männlich definierten Vergangenheit herstellen, mit ihren jahrtausendelang gehüteten Erinnerungen und Geschichten?

 Der Testosteron-Schauer materialisiert sich nun in vierzig weißgekleideten Männern, deren Blicke sich auf Monira Al Qadiri richten. In poetischen Rätseln beginnen sie zu sprechen: Sklaven seien sie, verloren in dieser radikal veränderten Welt. Sie aber, Monira Al Qadiri, sei ihre Erbin und Rächerin, eine Frau stark wie vierzig Männer. Das lauthalse Lachen, in das der Geisterchor ausbricht, kündigt das nächste Bild an. In einem gläsernen Kasten sitzt die Künstlerin in aufrechter Haltung und goldglänzendem Kostüm, den Blick in die Ferne gerichtet. Im Hintergrund schweben wie auf einem Bildschirmschoner die geglitschten, schwummerigen Gesichter von Monira Al Qadiri und eines ihrer Vorfahren. Wir erfahren: Der Tag der Abrechnung ist gekommen! Und wir fragen uns, hat die Vergangenheit nun ihren Weg in die Gegenwart gefunden? Wurde die 14-jährige Monira in den Kleidern ihres Vaters in die männliche Ahnenwelt ihrer Vorfahren aufgenommen? Will sie das überhaupt?

„Phantom Beard“ ist nach „Felling Dubbing“ (2017) Monira Al Qadiris zweites Bühnenstück und, dass sie eigentlich aus der bildenden Kunst kommt, ist der Performance deutlich anzumerken. Die Bilder, die sie präsentiert, sind eindrucksvoll inszeniert, leiden aber unter den allzu harten Cuts (verstärkt durch das sichtbare Auf- und Abtreten der Bühnenstatisten), die ihre Abfolge zerschneiden und lose aneinandergereihte Versatzstücke hinterlassen. So droht das Theaterstück – verstärkt durch die diffuse Narration – auseinanderzufallen. Zusammengehalten wird es dann doch durch Monira Al Qadiris performativen Einsatz ihres Körpers. Er ist das Medium, das die Verbindung zur Vergangenheit herstellt. Denn das Interessante an Drag ist nicht, dass es Normen reproduziert und verfestigt, sondern dass es als ein Spiel mit Rollen diese erkennbar macht und dadurch die dazugehörigen Unterwerfungsstrategien ins Blickfeld geraten. Denn es geht nicht um dieses oder jenes Geschlecht: es geht um die Macht dahinter.

WANN: Die Performance findet vom 17. – 19. Mai um 19:30 Uhr, am 20. Mai um 20:30 Uhr statt.
WO: Schauspielhaus, Porzellangasse 19, 1090 Wien Schauspielhaus, Wien. Details und Tickets hier.

Weitere Artikel aus Wien