Anklagen und Versöhnen
Die vierte Edition der Kapsel-Ausstellungen

2. Oktober 2017 • Text von

Düster und geheimnisvoll kommen die beiden Ausstellungen Kapsel 07 & 08 im Haus der Kunst daher. Oscar Murillo und Polina Kanis geben darin jeweils ein Rätsel auf, das es – wenn nicht ganz zu lösen – so zumindest zu erkunden gilt.

Oscar Murillo: a futile mercantile disposition, 2016 © Oscar Murillo und David Zwirner, Photo: Dan Bradica

Der kolumbianische Künstler Oscar Murillo bespielt den ersten Saal der Kapsel-Ausstellung mit seiner raumgreifenden Installation „Going Forth: The Institute of Reconciliation“. Großzügig hängt, faltet, arrangiert er hier überwiegend schwarze Leinenstoffe im Raum, die er zuvor mit Ölkreide und Farbe präpariert hat. Steif und schwer hängen sie über Drahtseilen, liegen auf Metallgerüsten und fügen sich in eine Gesamtkomposition, die durch farbintensive Collagen und abstrakte Gemälde erweitert wird. Murillos komplexe wie hermetische Arbeit hält einem einfachen Annäherungsversuch stand, ermöglicht den Zugang dann jedoch auf verschiedene Weise. Es sind vertraute Objekte wie Messgeräte, Schriftzüge, Formen, aus denen man sich seine individuelle Geschichte erbauen kann. Es ist die Materialität, das Organische, das man für sich wirken und so stehen lassen kann. Und es ist Murillos Langzeitprojekt „Frequencies“, das einen zentralen Platz im Raum gefunden hat und so einen universellen Verknüpfungspunkt mit den einzelnen Elementen der Arbeit darstellt. Für „Frequencies“ hat der Künstler in über dreißig Ländern Stoffe auf Schulbänke gespannt, die von Schülern bemalt und beschrieben werden konnten. Oben auf liegen die Stoffe aus Münchner Schulen, kindliche Zeichnungen, pubertäre Aufrufe und intuitive Formenspiele. Sie wirken wie ein Gegenpol zu Murillos düsterem Arrangement und ergänzen zugleich seine Betrachtung von Geschichte und Gesellschaft – ein spannendes Institut der Versöhnung.

Kapsel 07 / Oscar Murillo: Going Forth: The Institute of Reconciliation, Haus der Kunst 2017 Installationsansicht, Photo: Maximilian Geuter

Murillos Installation steht die kinematografische Arbeit der russischen Künstlerin Polina Kanis gegenüber, die auf drei Kanälen ein geheimnisvolles Universum konstruiert. In Kanis´ Film „The procedure“ scheint etwas Ungutes passiert. Was genau, bleibt lange unklar, denn auf der Tonspur wird nur deutlich, dass keiner etwas gesehen haben will. Blass und gleichförmig streifen Kanis´ Figuren durch den Wald in der Dämmerung, finden sich in einer kargen Halle wieder oder warten bis sie einzeln in den Verhörraum gerufen werden. Doch auch hier wird gesenkten Blickes nur vehement bekräftigt, was wie ein Mantra, monoton und eindringlich, über Kanis´ Arbeit liegt: „I saw nothing“.

Polina Kanis: The Procedure, Haus der Kunst 2017 Installationsansicht, Photo: Maximilian Geuter

Mal gleichzeitig auf allen Kanälen, mal zeitversetzt und fragmentarisch führt die Künstlerin ihre Protagonisten und Orte ein, fokussiert und zentriert sie, zeigt Blicke und wunde Körper. Und dennoch bleibt eine stete Distanz, ein omnipräsenter Nebel, der mysteriös verhüllt was passiert ist und aus Individuen ein schweigendes Kollektiv werden lässt. Der Plot ist bis zum Ende nicht ganz klar. Erst der Blick auf den Beschreibungstext erklärt: Kanis´ Protagonisten befinden sich nach der unergründlichen Beschädigung eines Museumsgebäudes im Wiederaufbau und loten dabei zugleich ihre persönlichen Beziehungen und Grenzen aus. Die Bilder, die sie dafür findet, sind eindringlich, die Komposition der Screens unterstützt diese Wirkung noch. Tief hinein zieht sie einen in ihre Arbeit, die bis zuletzt subtil und bitter Fragen nach Schuld, Beweggründen und Zusammenleben aufwirft.

Polina Kanis: The Procedure (Still), 2017 Video installation, HD, © Polina Kanis

Mit den Ausstellungen Kapsel 07 und 08 zeigt das Haus der Kunst zwei aktuelle künstlerische Positionen, die völlig unabhängig voneinander stehen und funktionieren und doch zugleich als nachbarschaftliche Komposition ein spannendes Gesamtkonstrukt bilden.

WANN: Die Ausstellung ist noch bis zum 18. März 2018 zu sehen. Ein Künstlergespräch mit Oscar Murillo findet am 18. Januar 2018 statt, ein Gespräch mit Polina Kanis am 02. Februar 2018.
WO: Haus der Kunst, Prinzregentenstraße 1, 80538 München.

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